Das Leben nach der Flut

Heute, am 29. Mai, jährt sie sich zum ersten Mal: die Unwetterkatastrophe, die in Braunsbach wütete und binnen Stunden das Dorf in einen Ort der Verwüstung verwandelte. Viele Braunsbacher haben dabei einen Großteil ihres Hab und Guts verloren – so auch Familie Frick. Den Kopf stecken sie dennoch nicht in den Sand.

Als das Wasser, oder besser gesagt die braune Brühe kam, habe ich mit den Nachbarn über die Straße hinweg noch Witze gemacht. ‚Was für eine Sauerei. Mal schauen, wie es morgen hier aussehen wird`, haben wir gesagt“, erinnert sich Ulrike Frick wehmütig. Wie viel Zynismus in dieser harmlos gemeinten Bemerkung stecken würde, ahnte in diesem Moment niemand. Denn diese „braune Brühe“ sollte verheerende Auswirkungen haben. Es ist der Abend des 29. Mai vergangenen Jahres. Ein Abend, den so schnell in Braunsbach niemand vergessen wird. Ein Abend, der das beschauliche Dorf in einen Ort der Zerstörung verwandeln wird. Ein Abend, der das Leben von so vielen Menschen – auch das von Ulrike und Eduard Frick – für viele Monate auf den Kopf stellen wird.

„Als es angefangen hat zu regnen, war ich bei der Theaterprobe“, erzählt die Standesbeamtin. Die erste Szene habe man noch im Freien gespielt, aufgrund des stärker werdenden Regens, habe man die Probe jedoch ins Innere einer Scheune verlegt. „Es war nichts Besonderes.“ Dass sich Ulrike Frick irren sollte, wird wenige Stunden später bittere Erkenntnis. Nach der Theaterprobe macht sich die 49-Jährige auf den Heimweg, in ihr Haus in der Orlacher Straße. Sie beginnt zu kochen. Ihr Mann Eduard, im Nebenberuf Landwirt, beschließt, noch nach den Kühen zu sehen, die am Tag zuvor auf die Weiden gekommen sind. Keiner von beiden ahnt, was in dieser Nacht noch auf sie zukommen soll.

„Ganz plötzlich war der Strom weg.“ Ulrike Frick blickt misstrauisch aus dem Fenster. Der Regen lässt nicht nach – im Gegenteil. Ein kleines Rinnsal, das immer größer wird, bahnt sich inzwischen seinen Weg die Orlacher Straße hinunter, wächst weiter zu einem Strom, gar zu einer Sturzflut an, die alles, was sich ihr in den Weg stellt, mit sich reißt. Die Wassermassen bringen Zerstörung. Sie bergen Unmengen von Geröll.

„Plötzlich gab es einen lauten Knall. Das Feuerwehrauto der gegenüberliegenden Wehr wurde weggespült, ist gegen unser Haus geknallt. Alles hat gebebt.“ Auch das eigene Auto, das vor der Haustür steht, wird weggeschwemmt. Ulrike Frick muss hilflos zusehen. „Dann erst habe ich begriffen, was hier geschieht. Ich wurde panisch. Mein Mann war da draußen. Sein Auto war weg. Ich war sicher, dass ich Witwe geworden bin.“ Eineinhalb Stunden nimmt sie an, ihren Gatten in der Sturzflut verloren zu haben. Dann steht ihr Eduard wieder vor ihr. „Ich dachte, ich sehe ein Phantom.“ Der 55-Jährige hatte nicht das Auto genommen, er war zu Fuß zu den Tieren gegangen. Sein Heimweg führte ihn über die höher gelegene Panoramastraße. Sein Auto wurde vom Wasser weggetragen.

„Es war klar, dass wir in dieser Nacht nicht im Haus bleiben konnten. Wir hatten keinen Strom, aber auch kein Wasser. Wir wussten nicht, was passieren würde.“ Also sind sie zum Schwager, der ebenfalls in Braunsbach wohnt, gegangen, haben dort in einem Kinderzimmer geschlafen. Dieses sollte für die nächsten Monate ihr Zuhause werden. Erst Ende September sind die Eheleute wieder in ihr Haus gezogen. „Vorher war nicht daran zu denken“, schildert Ulrike Frick.

Das Haus aus dem 19. Jahrhundert war zugeschüttet. Eineinhalb Meter hoch türmte sich das Geröll vor dem Gebäude. Das Erdgeschoss unter Trümmern vergraben. Der Stall, der neben dem Wohnhaus liegt, bis zur Decke voll mit Gestein und Geäst, das Scheunentor weggespült. „Als wir am nächsten Morgen zum Haus gegangen sind, sind wir noch davon ausgegangen, dass wir nur kurz aufräumen würden. Wir haben das Ausmaß zunächst gar nicht erfassen können“, erinnert sich das Ehepaar. Daraus wurde nichts. „Irgendwann wurde klar, dass es doch etwas Größeres war. Also haben wir angepackt; das gemacht, was möglich war.“ Die Arbeit war hart. Das historische Gebäude steht am oberen Teil der Orlacher Straße. An ein Durchkommen mit großem Gefährt war über einen Zeitraum von über zwei Wochen nicht zu denken. Es gab keine Zufahrt. Also blieben Fundament und Erdgeschoss unter Steinen begraben. „Wir sind durch Fenster eingestiegen oder durch die Hintertür, die im ersten Stock liegt“, sagt Ulrike Frick.

Ein Jahr später: Im Ort sind die Spuren der Verwüstung noch immer zu sehen. Eine Zufahrt zum Frick`schen Haus gibt es wieder. Doch die Schäden daran sind immer noch zu erkennen. Sandsteine, die einst den Sockel des Gebäudes bildeten, liegen auf der gegenüberliegenden Straßenseite. Eine Treppe, die zuvor zum Haus führte – weg, von den Fluten mitgerissen. Baumaterial stapelt sich vor der Tür. Das Gebäude steht nackt da, ganz ohne Putz. Vieles wirkt provisorisch – weil es eben nicht anders geht. Auch im Haus sind die Spuren der Flut heute noch zu sehen: „Telefon, Internet und Strom sind auch jetzt noch Notlösungen. Aber damit haben wir uns arrangiert“, sagt Frick lachend. Insgesamt ist ein Schaden von über 400.000 Euro entstanden – allein am Haus. Hinzu kommen 35.000 Euro im Bereich der Landwirtschaft. „Zum Glück ist das Haus elementarversichert. Bei der Landwirtschaft war das leider nicht der Fall“, schildert das Ehepaar. Hier konnte ein Teil der Summe mit Spendengeldern gedeckt werden.

Das Ehepaar hat im vergangenen Jahr den Kopf nicht in den Sand gesteckt. Die beiden sind optimistisch geblieben – und wollen es auch bleiben. „Wir machen weiter“, resümiert Ulrike Frick, und ergänzt nachdenklich: „Ich bin seit der Sturzflut demütiger geworden, habe ein anderes Verhältnis zur Natur bekommen. Ich fühle mich – so absurd das klingen mag – verbundener mit ihr und weiß sie wieder mehr zu schätzen.“

Lydia-Kathrin Hilpert