Der digitale Zwilling

Die Technik Virtual Reality, sprich eine virtuelle Realität zu erzeugen, kennt man sonst nur aus Filmen und man hat den Eindruck, als würde das alles noch in ferner Zukunft liegen. Doch Irrtum: Die Technik ist bereits Wirklichkeit und wird in der Verpackungsindustrie eingesetzt – mit Erfolg.

Als die Brille auf der Nase sitzt, brauchen die Augen kurz, um das Bild scharf zu stellen. Dann erscheint plötzlich ein Gang mit einer Fließbandmaschine direkt vor dem Gesicht. Und das, obwohl es keine Realität ist, sondern sich nur vor dem inneren Auge abspielt. Das Ganze fühlt sich merkwürdig an, weil der Kopf genau weiß, dass der Körper stillsteht. Das Bild passt sich dennoch der Kopfbewegung an.

Festzuhalten ist, die Simulation einer Verpackungsmaschine in der sogenannten virtuellen Realität (VR) funktioniert tatsächlich. Auch die eigene Fortbewegung kann man steuern, mittels eines sogenannten Fly-sticks. Vergleichbar ist das Fortschreiten in der virtuellen Welt mit dem Gefühl, sich auf einem schwankenden Schiff zu befinden. Man kann an der Maschine vorbei, an ihr entlang gehen oder unter sie drunter sehen. Auch haptische Aktionen sind durch die Technik möglich, die sich hier der Technolgie aus der Spielebranche bedient: Mittels einer optimierten Fernbedienung der Nintendo Wii sind verschiedene Optionen verfügbar. Durch die Auswahl einer davon kann beispielsweise das Produkt vom Fließband genommen und an anderer Stelle wieder draufgesetzt werden. Nach Ende der Vorführung ist es trotz der faszinierenden Erfahrung ein gutes Gefühl, festen Boden unter den Füßen zu haben – obwohl das die ganze Zeit über so war.

Die virtuelle Realität ist eine echte Chance für die Verpackungsindustrie. Die Vorteile, die sich durch die Technik eröffnen, liegen auf der Hand. „Man kann schon im frühen Stadium Maschinen betrachten, die es so noch gar nicht gibt“, erläutert Kurt Engel, Geschäftsführer des Packaging Valley Germany e. V.. Er spricht dabei vom „perfekten digitalen Zwilling“ des Endprodukts. Im Vergleich zu der bisherigen Modellierung aus Holz könne so schon im Vorfeld der Produktion die Absprache mit dem Kunden verbessert und gleichzeitig individuell auf Wünsche eingegangen werden. Dies spare Kosten und Zeit, da eventuelle Produktionsfehler vermieden werden können.

Zu finden ist die Technik im VR-Center von Packaging Valley im Technologiezentrum in Schwäbisch Hall. Der Verein vernetzt 40 Unternehmen der Verpackungsbranche aus der Region Heilbronn-Franken und der Metropolregion Stuttgart. Die Administration und die technische Umsetzung der Räumlichkeit übernimmt ein externer Dienstleister. „So haben wir nur einen Betreuer und alle Firmen können dieses Know-how nutzen“, erklärt Engel.

Das Center wurde im Dezember 2015 mit dem Ziel eröffnet, es drei Jahre lang als Pilotprojekt zu testen. Der Kostenpunkt über den gesamten Zeitraum liegt bei rund 700.000 Euro. Genutzt werde die Anlage die Hälfte der Zeit von den beteiligten Partnern. Aber auch Firmen außerhalb der Verpackungsbranche würden die Technik testen, so der Geschäftsführer. „Ich könnte mir auch vorstellen, dass die Technologie zum Beispiel bei der Stadtplanung und baulichen Projekten genutzt wird“, berichtet er.

Ein weiterer Vorteil der virtuellen Realität für die Verpackungsbranche macht sich in der Konzeption von Objekten deutlich. Die Planung auf diese Weise fördert die Kooperation der einzelnen Projektbereiche. Es sei eine andere Art der Zusammenarbeit, wenn Arbeiter aus verschiedenen Bereichen zusammensitzen und sich realitätsnah über das Produkt unterhalten können. Engel erläutert: „Durch direkten Austausch am quasi fertigen Produkt verstehen sich die Leute besser.“ Dies vermeide abermals Produktionsfehler.

Insgesamt bezeichnet der Vertreter von Packaging Valley die Technologie als „Quantensprung“, der sich maßgeblich auf den Verkaufserfolg auswirken kann. „Wir stellen fest, dass alle, die das VR-Center das erste Mal nutzen, begeistert sind.“

Alexander Liedtke

Info

Die Simulationen im VR-Center Schwäbisch Hall werden auf eine riesige in die Wand eingelassene Glaswand projiziert. Eine Brille, die einer Sonnenbrille gleicht, ermöglicht den Zugang zur virtuellen Welt. Die Kopfbewegungen werden mittles Kameras, die sich über der Glaswand befinden, erfasst.