Eine Entscheidung fürs Leben

Organspende ist ein umstrittenes Thema. Die Anzahl der Spenden ist in den vergangenen Jahren bundesweit zurückgegangen. Wie stehen die Menschen in Heilbronn-Franken zum Thema? Wir haben nachgefragt.

Alle acht Stunden stirbt in Deutschland ein Mensch. Nicht etwa an Altersschwäche oder aufgrund eines Unfalls, sondern weil dieser Mensch vergebens gewartet hat. Worauf? Auf ein passendes Spenderorgan. Allein in der Bundesrepublik sind über 10 000 Menschen – besser gesagt deren Organe – so krank, dass sie aus eigener Kraft nicht mehr gesund werden. Ohne ein neues Organ können diese Menschen nicht überleben. Sie stehen auf den Wartelisten und hoffen auf den erlösenden Anruf, der ihnen ein neues, ein gesundes Leben ermöglicht. Das bedeutet im Umkehrschluss: Jeden Tag könnten hierzulande drei Menschenleben gerettet werden, würden ausreichend Organe zur Verfügung stehen.

Doch die gibt es nicht. In den vergangenen fünf Jahren ist die – ohnehin überschaubare – Anzahl an Spenderorganen spürbar zurückgegangen. Die Zahlen sprechen eine deutliche Sprache: Wurden im Jahr 2010 in Deutschland noch 1296 Organspenden durchgeführt, so waren es fünf Jahre später nur noch 877 – das entspricht einem Minus von über 32 Prozent. Dem gegenüber steht eine ganz andere Ziffer: Laut einer Studie der Deutschen Stiftung Organtransplantation (DSO) stehen rund 80 Prozent der Deutschen dem Thema Organspende positiv gegenüber. Dennoch besitzen nur rund 20 Prozent einen Ausweis, in dem sie ihre Spendenbereitschaft dokumentieren. Der Großteil der Bevölkerung ist schlichtweg unentschlossen.

Matthias Fabian, Vizepräsident der baden-württembergischen Ärztekammer, erklärt dies wie folgt: „Das hat ganz banale Gründe – etwa, momentan keinen Ausweis zur Hand, gerade keine Zeit, ist noch nicht notwendig.“ Christine Kornhaas, Pressereferentin bei der DSO, ergänzt: „13 Prozent sind außerdem der Ansicht, dass sie wegen ihres Alters oder aufgrund vorliegender Erkrankungen nicht als Spender infrage kommen.“

Ein weiterer Faktor: Viele schrecken vor der Ernsthaftigkeit des Themas zurück. Wer sich mit Organspende beschäftigt, setzt sich automatisch mit dem eigenen Tod auseinander – für manche Menschen unvorstellbar. „Heutzutage kommt der Tod in der Erfahrungswelt der Menschen nur noch selten vor. Wenn man nicht aus beruflichen Gründen damit konfrontiert wird, ist der Tod nicht Bestandteil des Alltags. Dies ist auf der einen Seite gut, auf der anderen Seite führt das auch zur Verdrängung“, so der Mediziner Fabian.

Diese Vermutung kann auch Wolfgang Ullrich, Intensiv- und Notfallmediziner im Schwäbisch Haller Diak, bestätigen. Der 55-Jährige ist Transplantationsbeauftragter des Klinikums: „Wir erleben es selten, dass ein Patient tatsächlich einen Organspendeausweis besitzt. Und oft wissen auch die Angehörigen nicht genau, was der Patient gewollt hätte.“ Das bringt die Betroffenen in eine schwierige Situation. „Viele haben Angst, eine falsche Entscheidung zu treffen. Eine, die nicht im Sinne des Patienten ausfällt“, schildert der Oberarzt.

Auch deshalb rät Ärztekammer-Vize Fabian, sich frühzeitig mit dem Thema auseinanderzusetzen: „Im Falle des Falles wäre es gut zu wissen, was der ‚Gestorbene‘ gewollt hätte. Wenn man nie darüber gesprochen hat und kein Organspendeausweis vorliegt, liegt eine große Last auf den Schultern der Angehörigen. Rechtzeitig über Organspende zu sprechen, hilft.“ Im Zweifel fällt die Entscheidung eher zuungunsten der Organentnahme aus. „Über 50 Prozent entscheiden sich dagegen“, macht Transplantationsbeauftragter Ullrich deutlich.

Generelle Voraussetzung für eine Organspende ist die Feststellung des irreversiblen Hirnfunktionsausfalls – umgangssprachlich auch Hirntod genannt. Dies bringt weitere Herausforderungen mit sich: „Hinterbliebene mystifizieren den vermeintlich lebenden Körper, insbesondere das Herz“, sagt Ullrich. Dabei scheint der Patient nur noch am Leben zu sein; das Herz schlägt, der Mensch atmet, der Körper ist warm. „Der Tod ist definitiv eingetreten. Loslassen fällt vielen schwer.“

Wie stehen die Menschen in Heilbronn-Franken zum Thema? „Es könnte unterschiedlicher kaum sein“, gibt Heidi Nesper-Eckstein einen Einblick in ihre Freiwilligenarbeit. Die Frau aus Untergruppenbach engagiert sich seit vielen Jahren im Verein Lebertransplantierte Deutschland. Sie und ihre Kollegen stehen Betroffenen zur Seite, machen aktive Aufklärungsarbeit – etwa an Schulen, an Infoständen oder in Unternehmen. Auch sie spürt in Gesprächen die Unsicherheit, die beim Thema Organspende mitschwingt, glaubt aber, eine Tendenz im Denken der Menschen feststellen zu können: „Vom Gefühl her würde ich sagen, dass vor allem junge Menschen diesbezüglich recht offen sind.“ Dennoch, so sagt sie, bedeute Akzeptanz nicht gleich auch Zustimmung. So appelliert auch sie daran, sich rechtzeitig darüber Gedanken zu machen, ob Organspende für einen selbst infrage kommt oder nicht. „Im Grunde ist es wichtig, dass man eine Entscheidung trifft. Auch wenn sie negativ ausfällt. Das muss man ebenso akzeptieren“, findet sie, „letztlich muss es einfach eine bewusste Entscheidung sein – dafür oder dagegen.“

Lydia-Kathrin Hilpert