Räder, die die Welt veränderten

Eine echte Perle der Museumslandschaft in unserer Region ist das Zweirad- und NSU-Museum in Neckarsulm. Mit jährlich zwischen 18.000 und 20.000 Besuchern lockt es nicht nur Motorradfreaks und Oldtimerfans in seine Ausstellung. Das Museum spricht auch Familien sowie Kultur- und Geschichtsinteressierte an.

Freiheit, Adrenalin, Geschwindigkeit – Attribute, die untrennbar mit dem Motorradfahren verbunden sind. Der Wind, der die Motorradkombi förmlich auspeitscht; die in Millisekunden vorbeiziehende Landschaft; der Nervenkitzel, den man auf seiner Maschine sitzend mit jeder Faser seines Körpers empfindet – da schlägt jedes Bikerherz höher. Die Kawasakis, Vespas und wie sie alle heißen, auf denen zahllose Abenteuergeschichten geschrieben worden sind, gäbe es allerdings gar nicht ohne den Erfindergeist zweier bekannter Schwaben: Gottlieb Daimler und Wilhelm Maybach.

Bereits 1885 beginnt die Geschichte des Motorrads mit dem sogenannten Reitwagen, mit dem den beiden Konstrukteuren der Durchbruch des schnelllaufenden Verbrennungsmotors gelingt. Den Reitwagen wiederum gäbe es nicht ohne das Fahrrad, das im Übrigen in diesem Jahr seinen 200. Geburtstag feiert. 1817 erfindet der Forstmeister Karl Drais, gebürtig in Karlsruhe, die Laufmaschine – und legt damit den Grundstein für die Mobilität. Ein echter Geniestreich, dem vieles in der Fortbewegungstechnik zu verdanken ist.

All diese Errungenschaften und die Fahrzeuge, die sich daraus entwickelt haben, kann man im Deutschen Zweirad- und NSU-Museum in Neckarsulm bestaunen. Es ist das erste Museum in der Bundesrepublik dieser Art – und auch das größte. Eröffnet wurde es 1956 in Neckarsulm, dem Produktionsstandort des einstigen, weltweit größten Zweiradherstellers mit der Markenbezeichnung NSU, was als Kurzwort für den Stadtnamen gebräuchlich war. Das Museum befindet sich im ehemaligen Deutschordensschloss aus dem 15. Jahrhundert und beherbergt auf einer Gesamtfläche von etwa 2000 Quadratmetern annähernd 350 Exponate – vom Drais’schen Laufrad bis zur Harley Davidson. Auf sechs Ausstellungsetagen mit drei Themenbereichen wird die deutsche Zweiradgeschichte lebendig.

Zeitreise

Wer diese mal im Zeitraffer hautnah erleben möchte, sollte sich zwischen Dienstag und Sonntag zwei bis drei Stunden Zeit nehmen und sich entweder auf eigene Faust, aber mit Audioguide, oder gemeinsam mit einem Museumsführer auf einen Rundgang durch das geschichtsträchtige Gebäude begeben. Dabei ist das NSU-Museum nicht nur etwas für Oldtimerfans und Motorradfreaks, sondern eignet sich auch bestens als Familienausflugsziel. „Zu uns kommen viele Großeltern mit ihren Enkeln und zeigen ihnen, mit welchen unserer Exponate sie früher selbst unterwegs waren“, erzählt Museumsleiterin Natalie Scheerle-Walz. Darüber hinaus gibt es spezielle Frauenführungen und Kinder können an einer Rätsel-Ralley durchs Haus teilnehmen.

Die Reise in die Vergangenheit der Zweiradgeschichte startet im Erdgeschoss. Dort gibt es einen kleinen Kinosaal, eine Tribüne für Zuschauer und fünf historische Motorräder, auf denen man Platz nehmen und quasi mitfahren kann. Denn der zehnminütige Film zeigt einen Vater, der mit seinem Sohn eine Ausfahrt unternimmt – beginnend am Neckarsulmer Marktplatz. Nachdem man von dem rasanten Trip zurück ist, taucht man in die Motorradgeschichte ein, deren Anfänge sich im Reitwagen von Daimler und Maybach finden. Da der echte bei einem Fabrikbrand zerstört wurde, steht im Zweiradmuseum lediglich ein nachgebauter – allerdings einer der weltweit besten.

Darüber hinaus entdeckt der Besucher im ersten Obergeschoss eine Hildebrand & Wolfmüller von 1894 – das erste Serienmotorrad der Welt. Dieses war außerdem das erste Zweirad, das den Namen Motorrad trug, was sich der Hersteller sogar patentieren ließ. „Wir haben eines der wenigen öffentlich ausgestellten Originale, andere Museen haben meist nur Repliken“, weiß Scheerle-Walz. Eine Pionierleistung stellt die Clement aus dem Jahr 1902 dar, das erste Motorrad mit einem V-Motor. Auch die Megola von 1922 ist ein Highlight, da ihr Motor – inspiriert vom Flugzeugbau – im Vorderrad verbaut ist.

Weiter geht es im Untergeschoss, wo die NSU-Sammlung untergebracht ist. „Nicht mehr laufen, Quickly kaufen“ – damit rührte NSU die Werbetrommel für seine Quickly, eines der ersten Mopeds der Nachkriegszeit. Das Zweirad, für das man keinen Führerschein brauchte, sollte vor allem Frauen ansprechen, daher wurden auch verschiedene Farbkombinationen für die Verkleidung angeboten. „Eines der innovativsten Fahrzeuge seiner Zeit, der Ro 80, feiert dieses Jahr seinen 50. Geburtstag“, weist die Museumsleiterin hin. Ja, ganz recht: Im Zweiradmuseum gibt es auch einige wenige vierrädrige Fahrzeuge. Das Besondere am Ro 80: ein Wankelmotor, der die Verbrennungsenergie direkt – ohne den Umweg einer Hubbewegung – in eine Drehbewegung umsetzt.

In einem Zwischengeschoss findet der Besucher die Fahrradgeschichte – vom Drais’schen Laufrad bis hin zum heutigen E-Bike. Insgesamt sind hier mehr als 35 Exponate ausgestellt.

Auf der zweiten Etage werden Laien und Kennern Motorräder von 1946 bis heute präsentiert. Dabei hat die Sammlung einen internationalen Charakter, denn sie enthält deutsche, niederländische, italienische, amerikanische, britische und japanische Fahrzeuge. Dass letztere Hersteller sich einiges von den Europäern abgeschaut haben, ist deutlich an den beiden nebeneinander aufgestellten Modellen Kawasaki W1 und BSA Road Rocket zu erkennen. Doch: „Das europäische Motorrad wurde einfach viel zu teuer“, erklärt Scheerle-Walz, was dazu führte, dass die Japaner die Deutschen hier als Weltmarktführer ablösten. Absoluter Hingucker auf dieser Ebene: ein Nachbau der Harley Davidson aus dem Film „Easy Rider“ mit Peter Fonda.

Wer sich für den Rennsport begeistert, sollte auf keinen Fall die dritte Etage auslassen. Dort stehen die Geschwindigkeitsweltmeister par excellence. Abgerundet wird die Ausstellung von Rennmaschinen aus den 1930ern bis heute durch Bilder und Kurzporträts bekannter Rennfahrer. „Ab Sommer wird es hier eine Kreidler-Sammlung mit rund 30 Exponaten geben“, informiert die Kunsthistorikerin und freut sich jetzt schon auf die Resonanz.

Olga Lechmann