„Digitalisierung beginnt im Kopf“

Avatare mit Künstlicher Intelligenz sind in der Lage, einfache Kundenanfragen zu beantworten. Foto: Adobe Stock/WrightStudio

Gesteigerte Effizienz ist einer der Vorteile digitaler Prozesse. Wie durch Künstliche Intelligenz immer mehr einfache Tätigkeiten entfallen und deshalb Mitarbeiter künftig besser qualifiziert werden müssen, erläutert Dr. Tim Walleyo im Interview.

Sie beraten und begleiten Firmen bei Organisations- und IT-Projekten sowie bei der Digitalisierung. Was ist dabei aus Ihrer Erfahrung heraus die größte Herausforderung?

Dr. Tim Walleyo: Digitalisierung beginnt im Kopf. Es geht darum, sich auf neue Denkmodelle einzulassen und diese in Unternehmen und Organisationen zuzulassen. Projekte scheitern meist nicht an der Technik, sondern am Willen, bestimmte Dinge umzusetzen. Der technologische Wandel ist vielleicht nicht so sichtbar wie bei früheren Veränderungen. Aber er vollzieht sich rasend schnell, weil die Skalierfähigkeit viel größer ist.

Wie muss sich das Denken, das Mind-Set der Unternehmen ändern, um digitale oder digital erweiterte Geschäftsmodelle zu entwickeln?

Walleyo: Grundsätzlich ist es wichtig, Veränderung zuzulassen. Mit der Einstellung, „das haben wir schon immer so gemacht“, kommt man nicht weiter. Notwendig ist eine sehr starke Kundenfokussierung. Feedback der Kunden sollte genutzt und implementiert werden, sowohl im B2B- als auch im B2C-Bereich. Digitalisierungsprojekte zwingen dazu, über bestehende Prozesse nachzudenken, sie zu verändern und zu verbessern. Das ist eine Herausforderung und fällt vielen schwer.

Digitalisierung ist ein vielbenutztes Schlagwort, aber auch nebulös. Womit setzen Sie sich in der Praxis konkret auseinander?

Walleyo: Wir arbeiten unter anderem sehr stark im Bereich der Kundenbeziehungen, im Customer Relationship Management, kurz CRM. Dafür nutzen wir den Ansatz der digitalen Plattformen, die viele verschiedene Systeme und Tools beinhalten, und vermarkten die entsprechende Software. Es geht vor allem darum, Unternehmen mit Hilfe dieser Werkzeuge zu ermöglichen, mit durchgängigen Prozessen das Unternehmen signifikant zu verbessern. Dabei geht es unter anderem um Fragestellungen, ob die Mitarbeiter für den digitalen Wandel bereit sind, ob der Business Case valide ist, ob die Prozesse, die einen Wettbewerbsvorteil darstellen, optimal genutzt werden. Ein klassisches Thema ist, dass unsere Kunden versuchen, am Markt sichtbarer zu werden.

Lässt sich jedes analoge Geschäftsmodell digital transformieren?

Walleyo: Ich finde das Hype-Wort Transformation inzwischen anstrengend und spreche lieber vom technologischen Fortschritt. Letztlich geht es darum, Geschäftsabläufe effizient zu gestalten – möglichst papierlos, möglichst digital. Grundsätzlich ist das für beinahe jeden Prozess möglich bzw. kann die IT immer unterstützen. Unser Kerngeschäft sind die IT-Strukturen, die dafür notwendig sind.

Ist die vielbeschworene Revolution also kein disruptiver Wandel?

Walleyo: Disruptiver Wandel findet an der ein oder anderen Stelle durchaus statt, aber auch das ist letztlich dem technologischen Fortschritt geschuldet. Die Entwicklungsschritte sind im Vergleich zu früher viel größer und schneller. Das liegt an der Intelligenz der Systeme – und auch an der KI und Sensorik.

Arbeiten Sie mit Künstlicher Intelligenz?

Walleyo: Wir haben in Zusammenarbeit mit einem Partner einen Avatar entwickelt, den ich auch beim Gipfeltreffen der Weltmarktführer vorstellen werde. Der Avatar kann bald durch KI spontan auf Sprache reagieren, um Kundenanfragen zu beantworten. Avatare werden 60 bis 80 Prozent aller Serviceanfragen lösen können. Sollten sie die Anfragen nicht lösen können, werden diese weitergeroutet zu einem Servicemitarbeiter oder einem Callcenter. Das ist die Zukunft.

Das bedeutet aber, dass im Service künftig weniger Mitarbeiter benötigt werden, oder?

Walleyo: Das ist ein Trugschluss. Es wird besser qualifiziertes Personal benötigt. Aus meiner Sicht werden vor allem einfache Dienstleistungen automatisiert. Das passiert heute schon. Die Qualität steigt. Der Schlüssel für die Zukunft sind Bildung und Qualifikation. Leider wird beides meiner Meinung nach durch die Politik und im Prinzip auch durch die Gesellschaft etwas vernachlässigt. Wir müssen uns darüber Gedanken machen, wie die Zukunft aussieht. Einfache Tätigkeiten werden automatisiert. Es wird Lösungen geben, die für Unternehmen effizienter sind. Wir müssen Personal mehr qualifizieren. Wenn ein Avatar einfache Anfragen beantwortet, ist das unendlich skalierbar. Kunden müssen nicht mehr in der Hotline warten – das ist der Wettbewerbsvorteil, der generiert wird. Aber das Aufkommen im 2nd oder 3rd Level wird höher werden. Sobald die Kunden merken, dass es bei einfachen Anliegen total schnell geht, werden die Fragen komplizierter und dann kommt wieder der Faktor Mensch ins Spiel. Das ist der Wettbewerbsvorteil, den ich generiere. Die Leute, die im 1st Level gesessen haben, können dann im 2nd oder 3rd Level die schwierigeren Kundenfragen beantworten, müssen aber dann die entsprechende Qualifikation besitzen.

Also müssen Unternehmen, die ihre Mitarbeiter auf dem Weg der Digitalisierung mitnehmen wollen, viel stärker in Weiterbildung investieren?

Walleyo: Sicherlich. Aber das ist kein neues Thema für Deutschland als hochpreisiges Lohnnebenkostenland und insbesondere für prosperierende Regionen. Weltmarktführer wird man nicht, wenn man einfache Tätigkeiten durchführt, sondern weil man sich auf etwas spezialisiert hat, das auch im globalen Vergleich sehr wettbewerbsfähig ist – auch wenn der hiesige Mitarbeiter das Fünffache eines anderen Mitarbeiters auf der Welt kostet. Diesen Wettbewerbsvorteil kann man sich nur dadurch erhalten, indem man sich spezialisiert oder in die Forschung, Entwicklung sowie die Bildung der Mitarbeiter investiert.

Wie schlägt sich Deutschland bei der Digitalisierung im Vergleich?

Walleyo: Es gibt durchaus Innovationen aus Deutschland und der EU. Auch viele KI-Startups wurden gegründet. Aber die Musik spielt nach wie vor in den USA. Das hat vielfältige Gründe. In der Pandemie hat sich gezeigt, wie digital wir unterwegs sind, was Förderalismus, Datenschutz etc. bedeuten kann und wie sehr wir hinterherhinken. Das war ein Trauerspiel Da ist noch viel Luft nach oben.

Interview von Dirk Täuber

 

Zur Person: Dr. Tim Walleyo ist Mitglied der Geschäftsführung der PTA Programmier–Technische Arbeiten GmbH mit Hauptsitz in Mannheim und Niederlassungen in ganz Deutschland.