Das Konjunkturpaket der Bundesregierung setzt wichtige Impulse für einen Aufschwung in der Region – davon ist Oliver Hambrecht überzeugt. Wie das von ihm geleitete IT-Unternehmen Bechtle die Krise bisher gemeistert hat, welche Rolle die Digitalisierung künftig in der Wirtschaft spielt und wieso wir erst am Anfang einer sehr spannenden Entwicklung stehen, verrät er im Interview.
Mit einem milliardenschweren Konjunktur- und Krisenbewältigungspaket will die Bundesregierung die Wirtschaft wieder ankurbeln. Ist bereits ein Aufschwung sichtbar in der Region Heilbronn-Franken?
Oliver Hambrecht: Covid-19 hat die regionale Wirtschaft hart getroffen, und die Folgen werden noch länger spürbar sein. Wir merken aber auch, dass sich die Situation bei vielen Unternehmen im Sommer wieder zunehmend besserte. Beispielsweise lagen die Umsätze der regionalen Industrie im Juli 2020 bereits zwölf Prozent über den Umsätzen des Vormonats. Die Lücke im Vergleich zum Vorjahrszeitraum ist allerdings noch groß. Insgesamt verbuchte die regionale Industrie von Januar bis Juli 2020 ein Umsatzminus von satten elf Prozent verglichen mit dem Vorjahreszeitraum. Selbst wenn der Wirtschaftseinbruch nicht so gravierend ausfallen wird, wie ursprünglich befürchtet, ist und bleibt die Rezession folgenschwer für die regionale Wirtschaft. Das von der Bundesregierung Anfang Juni 2020 beschlossene Konjunkturpaket im Umfang von 130 Milliarden Euro ist deshalb notwendig und sendet ein positives Signal. Mit den Maßnahmen, die die Liquidität der Unternehmen stärken, mit der befristeten Senkung der Mehrwertsteuer, mit der Entlastung bei der EEG-Umlage, mit öffentlichen Investitionen, beispielsweise in Digitalisierung, und der Möglichkeit degressiver Abschreibungen werden wichtige Impulse gesetzt.
Bechtle wächst trotz Corona-Krise. Inwiefern profitiert Ihr Unternehmen dabei auch vom Konjunkturpaket?
Hambrecht: Es stimmt, dass wir bisher bemerkenswert gut durch die Corona-Krise gekommen sind. Zu Beginn erlebten wir sogar eine Art Sonderkonjunktur im Bereich der IT-Ausstattung von Home-Offices und den entsprechenden Dienstleistungen. Selbst danach gab es glücklicherweise keinen Komplettabriss der Nachfrage. Aber auch Bechtle geht es nur dann gut, wenn Unternehmen und die öffentliche Hand in der Lage sind, in zukunftsorientierte IT investieren zu können. Daher begrüßen wir selbstverständlich das Konjunkturpaket als Maßnahme, der gesamten Wirtschaft beim Wiederanlauf zu helfen.
Gibt es Branchen, in denen die Nachfrage nach Ihren Leistungen in den vergangenen Monaten besonders stark gestiegen ist?
Hambrecht: Über die gesamte Bechtle-Gruppe stellen wir eine starke Nachfrage im Public Sector fest, also bei den öffentlichen Auftraggebern. In der Industrie hingegen bemerken wir keine herausgehobene Nachfrage in einzelnen Branchen. Hier setzt sich der vielfältige Branchenmix bei Bechtle fort.
Und welche Branchen sollten noch stärker in Digitalisierung investieren?
Hambrecht: Die Pandemie hat uns eindrucksvoll gezeigt, wie wichtig eine kluge und strategisch wirksame Digitalisierung ist. Sie kann entscheidend sein bei der Frage: Geht der Erfolgsweg weiter oder bleiben wir auf dem Abstellgleis zurück. Alle Branchen können von der Digitalisierung profitieren – in unterschiedlicher Ausprägung natürlich. Es ist also für jedes Unternehmen ratsam, das Potenzial der Digitalisierung auszuloten.
Ein Zukunftspaket soll den technologischen Vorsprung Deutschlands sichern. Was ist aus Ihrer Sicht wichtig?
Hambrecht: Bei der Digitalisierung belegt Deutschland im Ländervergleich des europäischen Index für digitale Wirtschaft und Gesellschaft aktuell nur einen Platz im Mittelfeld. Hier sind verstärkte Anstrengungen nötig, um die Wettbewerbsfähigkeit zu stärken. Dafür sind flächendeckende digitale Infrastrukturen unbedingt erforderlich. Ganz wesentlich sind beispielsweise Gigabit-Mobilfunknetze – und zwar nicht nur in Ballungsgebieten, sondern flächendeckend, also auch und gerade im ländlichen Raum. Das lässt sich nur realisieren, wenn alle Akteure – Netzanbieter, Bund, Länder und Kommunen bis hin zu den Tiefbauunternehmen – gemeinsam an einem Strang ziehen und die Genehmigungsprozesse gestrafft, vereinheitlicht und digital ablaufen. Wir dürfen hier keine Zeit mehr verlieren. Vor diesem Hintergrund wird deutlich, wie wichtig eine regionale Gigabit-Allianz für Heilbronn-Franken ist und es erklärt den Einsatz der IHK für ein solches Bündnis. Was wir bei aller Diskussion um die Digitalisierung nicht vergessen dürfen, ist der Faktor Mensch. Eine der wichtigsten Ressourcen wird künftig die digitale Kompetenz sein. Wir brauchen zum einen Fachkompetenzen etwa bei Entwicklern, zum anderen brauchen wir in allen Bereichen Medienkompetenz, Innovations-, Kooperations- und Teamfähigkeit und nicht zuletzt Freude daran, sich in einem dynamischen Umfeld mit komplexen Themen ständig weiterzuentwickeln. Die Unternehmen tun viel, um ihre Mitarbeiter in Schulungen und betriebsinternen Weiterbildungen zu qualifizieren. Doch die Grundlagen für diese Kompetenzen müssen künftig viel früher, nämlich in der schulischen Bildung, gelegt werden. Die Corona-Krise hat deutlich gezeigt, dass es hier noch viel Verbesserungspotenzial gibt. Wichtig ist, daraus Lehren zu ziehen.
Künstliche Intelligenz (KI) soll stärker gefördert werden. Wie kann sie zum Aufschwung nach der Krise beitragen?
Hambrecht: Wir alle haben in unserem Alltag schon heute mit KI zu tun, oftmals wahrscheinlich unbewusst. Nehmen Sie die sprachgesteuerte Dateneingabe, vollautomatische Einparkassistenten oder Chatbots, die uns im Kundenservice bereits bei Standardfragen weiterhelfen. Es gibt bereits kooperative Industrieroboter, die mit Menschen an ihrem Arbeitsplatz zusammenarbeiten, und es gibt Teststrecken für autonomes Fahren. Anfang 2020 haben übrigens rund 25 Prozent der Großbetriebe und 15 Prozent der KMU bereits KI-Technologien eingesetzt. Ein Anfang. Länder wie China oder auch die USA sind hier schon weiter und haben sich Wettbewerbsvorteile verschafft. Wenn Europa und Deutschland nicht den Anschluss verpassen möchten, müssen wir die Potenziale von KI ebenfalls nutzen. Eine im Auftrag des Bundeswirtschaftsministeriums erstellte Studie besagt, dass allein das produzierende Gewerbe in Deutschland eine zusätzliche Bruttowertschöpfung von mehr als 30 Milliarden Euro bis 2023 mit Hilfe von KI-Anwendungen erzielen kann. Demnach rechnet die Mehrheit der Unternehmen in den nächsten fünf Jahren mit einem stark wachsenden Einsatz in allen Wertschöpfungsstufen. Mit KI werden neue Dienstleistungen und Geschäftsmodelle entstehen und die Geschäftsprozesse werden sich in allen Unternehmensbereichen ändern. Wir stehen hier am Anfang einer überaus spannenden Entwicklung.
Bechtle hat mit der Übernahme von Azubis aus Unternehmen in wirtschaftlicher Schieflage ein starkes Signal gesetzt. Wie ist die Ausbildungssituation jetzt? Bilden Sie über Ihren Bedarf hinaus aus?
Hambrecht: Wir bilden weiterhin aus. Gerade haben wieder über 200 junge Menschen ihren Berufsweg bei Bechtle begonnen. Unser Ziel ist immer, möglichst alle Azubis und dual Studierenden auch zu übernehmen. Momentan sind mehr als 600 Auszubildende bei Bechtle beschäftigt. Für mich eine wirklich beeindruckende Zahl.
Wie haben Sie persönlich die vergangenen Monate erlebt? Das Unternehmen geht gestärkt durch die Krise – welche positiven Impulse konnten Sie im Privaten mitnehmen?
Hambrecht: Zunächst mein persönliches Fazit im direkten Berufsumfeld: Ich bin unbeschreiblich stolz auf mein Team – mit welcher Disziplin und mit wie viel Engagement sich jeder Einzelne eingebracht hat, war bewundernswert. Der Kollegenzusammenhalt ist in dieser Zeit, selbst als wir ausschließlich von zu Hause gearbeitet haben, noch gewachsen. Toll mitzuerleben war auch, dass große Nähe – auch zu unseren Kunden – trotz der verordneten Distanz möglich wurde. Vielleicht hat uns die Corona-Krise als Gemeinschaft sogar noch stärker zusammengeschweißt. Im Privaten zählt für mich vor allem, dass meine Familie gesund bleibt – und die unerschütterliche Verlässlichkeit aufeinander!
Interview von Dirk Täuber