„Unternehmen stehen vor einem Dilemma“

Unterstützt Unternehmen in Personalfragen: Bernd Rath, Geschäftsführer des Personaldienstleisters BERA. Foto: Dirk Täuber

Gehen uns die Arbeitskräfte aus? Bernd Rath, Geschäftsführer des Personaldienstleisters BERA, analysiert die aktuelle Situation – und hat Lösungsvorschläge für die Zukunft.

Die Konjunktur zieht an und es wird wieder über Fachkräftemangel geklagt. Wie erleben Sie die aktuelle Situation?

Bernd Rath: Der Fachkräftemangel ist dramatisch und wird sich weiter verschärfen. Es ist nicht nur das Wachstum, das weitere Arbeitskräfte erforderlich macht. Die Babyboomer gehen in Rente und dafür brauchen wir Ersatz. Und Unternehmen müssen aufpassen, dass sie kein Know-how dadurch verlieren. Durch den Mangel an Fachkräften herrscht enormer Druck im Arbeitsmarkt, die Leute sind eher wechselwillig. Dadurch steigen die Löhne massiv. Wer wechselt, will auch mehr Geld. Bei einem Kunden von uns haben wir im gewerblichen Bereich dieses Jahr dreimal die Löhne erhöht, in Summe um 20 Prozent – irre. Ersatzkräfte zum bisherigen Lohnniveau sind einfach nicht zu bekommen. Für Unternehmen droht damit die Gefahr des Hamsterrads. Mit viel Mühe holen sie vorne einen neuen, teureren Mitarbeiter rein und hinten fallen ihnen zwei raus, weil sie sich um die bestehenden nicht ausreichend kümmern und deren Lohnniveau nicht ebenfalls anheben. Das ist ein Aspekt des Fachkräftemangels, der oft übersehen wird – und natürlich ein Riesendilemma, vor dem die Unternehmen stehen.

Hat sich diese Situation zusätzlich durch die Corona-Krise verschärft?

Rath: Der Arbeitskräftemangel hat sich verschärft, weil sich zeigt, dass Kurzarbeit Fluch und Segen ist. Viele Menschen sind in Kurzarbeit, die per se in dieser Aufgabe, in dieser Firma keine Zukunft haben. Die sind dem Markt in großem Stil künstlich entzogen. Das erhöht den Druck und hat direkt mit der pandemischen Lage zu tun. Hinzu kommt, dass die Geschäftsfelder unserer Kunden volatiler geworden sind. Sie setzen daher stärker auf Arbeitnehmerüberlassung, weil sie nicht wissen, ob sie notwendige Teile bekommen oder ihre Kunden die Abrufe tätigen. Was hinzu kommt: Die Lieferketten sind zusammengebrochen, Produktionen werden hierher verlagert. Auch dafür brauchen wir Arbeitskräfte.

Wie wirkt sich diese Situation auf Ihr Geschäft als Personaldienstleister aus?

Rath: Wir sind der klassische Flexibilisierungsfaktor für die Unternehmen. Unser Instrument der Arbeitnehmerüberlassung ist aber mittlerweile ganz stark ein Rekrutierungsinstrument geworden. Durch den Fachkräftemangel gibt es ein wichtiges Phänomen, das immer mehr zunimmt. Ich nenne es „das Gap“ – also Gap zwischen Anforderungsprofil und Bewerberprofil. Die Anforderungen für offene Stellen nehmen massiv zu. Unternehmen wollen Arbeitskräfte mit immer spezifischeren Kenntnissen haben. Die gibt es aber nicht. Da kommen wir ins Spiel, können jemanden vermitteln, der zwar nicht perfekt auf die Stelle passt, aber dem wir es zutrauen. Wir gehen mit ins Obligo und bereiten ihn gemeinsam auf diese Stelle vor.

Wie stark hat sich das Geschäft von der Überlassung zur Vermittlung verlagert?

Rath: Die Vermittlung war früher zehn Prozent unserer Arbeit, jetzt sind wir bei einem Viertel. Und ich rechne damit, dass wir im kommenden Jahr von der Arbeitszeit her auf die Hälfte kommen. Die Marge bei der Vermittlung ist größer, allerdings auch das unternehmerische Risiko. Wenn ich niemanden vermitteln kann, habe ich null Umsatz. Die Arbeitnehmerüberlassung sorgt für kontinuierliche Umsätze, bringt aber weniger Gewinn.

Was können die Unternehmen selbst tun, um Fachkräftemangel vorzubeugen?

Rath: Es gibt nicht die eine Lösung, sondern viele kleine Lösungen. Das Arbeitskräftepotenzial der Frauen wird leider immer noch viel zu wenig beachtet und entwickelt. Hier liegen aus meiner Sicht die größten Chancen. Aber das erfordert Unterstützung, von der Kinderbetreuung über die Weiterbildung und Reintegration in den Beruf nach der Elternzeit bis zu flexiblen Arbeitszeitmodellen und Homeoffice-Lösungen. Da sind nicht nur die Unternehmen gefordert, sondern auch die Kommunen und Arbeitsagenturen. Ein weiteres Potenzial sehe ich bei den älteren Mitarbeitern. Menschen nicht vorzeitig in Ruhestand zu schicken oder insgesamt länger zu arbeiten, wäre eine Lösung. Dabei darf man natürlich nicht vergessen, dass die Arbeitsinhalte komplexer werden und der Stress am Arbeitsplatz zugenommen hat. Da muss man ganzheitlich denken. Wenn man will, dass die Menschen länger arbeiten, muss man sich etwas einfallen lassen, damit sie auch arbeitsfähig bleiben, sowohl körperlich als auch geistig. Lebenslanges Lernen ist ein wichtiges Thema. Wir werden viele Lösungen brauchen, die nur gemeinsam umzusetzen sind und nicht allein von den Unternehmen bewältigt werden können. Das sind gesellschaftliche Aufgaben.

Und was ist mit dem Nachwuchs?

Rath: Das größte Potenzial sehen die Firmen nach wie vor in der eigenen Ausbildung. Das Problem ist: Sie bekommen keine Azubis. Oder müssen ihre Anforderungen massiv herunterschrauben.

Was heißt das?

Rath: Viele verlassen die Schule, ohne grundlegendes Wissen für eine Ausbildung mitzubringen und sind völlig perspektivlos. Da muss man praktisch bei Null anfangen. Aber da schlummert ein Riesenpotenzial, das wir heben müssen. Wir haben hierfür gemeinsam mit der Agentur für Arbeit Schwäbisch Hall ein zweimonatiges Programm entwickelt, um qualifizierte Helfer auszubilden. Wir beschaffen die Jobs, der Rest läuft über Weiterbildungsträger. Im erten Monat investieren wir nur in die Grundtugenden, damit die Teilnehmer lernen, morgens pünktlich zur Arbeit zu erscheinen, zuverlässig zu sein, Interesse zu haben an ihrer Entwicklung. So traurig ist das schon. Doch solche Projekte ziehen wir durch, weil wir sonst keine anderen Leute kriegen.

Und was ist mit Zuwanderung?

Rath: Zuwanderung ist ein wichtiger Punkt. Wir brauchen pro Jahr 400.000 zusätzliche Arbeitskräfte in Deutschland. Im Moment fehlen uns nicht die Hochqualifizierten, sondern die mittlere Fackkräfteebene. Wir stehen aber im Wettbewerb mit anderen Ländern und haben keine gute Willkommenskultur – eher das Gegenteil.

Wie könnte eine Lösung aussehen?

Rath: Ich finde, wir sollten über ein Gastarbeitermodell wie in den 1960er Jahren nachdenken. Durch reine Zuwanderung bluten die Herkunftsländer aus, die Menschen fehlen dann ja dort. Es macht mehr Sinn, die Menschen für fünf Jahre ins Land zu holen. In dieser Zeit können sie hier Know-how aufbauen und auch Geld nach Hause schicken. Danach gehen sie zurück und die nächsten kommen. Dabei gewinnen beide Seiten. Und wer dauerhaft hierbleiben möchte, soll es einfach tun können.

Interview: Dirk Täuber