Nichts Geringeres als das „Wissensmonopol auf Wasserstoff“ wollen die Akteure der Initiative „H2 Impuls“ in Heilbronn und Umgebung etablieren. Für den Wirtschaftsstandort Heilbronn-Franken könnte die geballte H2-Kompetenz zum Fortschrittsmotor und Alleinstellungsmerkmal in Deutschland werden.
Die Natur hat ein „Produkt“ geschaffen, das der Traum eines jeden Marketingstrategen sein dürfte: Ein Element, das wie selbstverständlich überall die Nummer Eins ist. Im Periodensystem, weil sein Kern nur aus einem Proton besteht. Im Massevergleich, weil es so klein und leicht ist wie kein anderes. Und beim Marktanteil, um in der Sprache der Vertriebsexperten zu bleiben: Dieses „Produkt“ hält unübertroffene 70 Prozent Anteil am Universum und ist auf unserem Planeten in Verbindung mit anderen Elementen die Basis allen Lebens.
Diesem chemischen Rekord-Element trauen die Experten das entscheidende Potenzial zu, Deutschland bis 2045 klimaneutral zu machen: Das farblose Gas soll erneuerbaren Strom speichern, Autos und Lkw antreiben und Wohnungen heizen, es soll langfristig Kohle und herkömmliches Gas in der Industrie ersetzen. Auch in Heilbronn-Franken haben die Verantwortlichen längst die Chance erkannt, mit der Nummer Eins im Periodensystem der Elemente selbst auf Platz Eins in Sachen Know-how und Nutzung von Wasserstoff zu rücken. Deshalb schlossen sich der Landkreis Heilbronn, der Regionalverband Heilbronn-Franken und die Wirtschaftsförderung Raum Heilbronn (WFG) zusammen, um unter dem Titel „H2 Impuls“ eine Strategie für H2-Wirtschaft und -Infrastruktur zu koordinieren.
Herausragende Kompetenz im Umgang mit Wasserstoff
Forschungspartner wie das Deutsche Luft- und Raumfahrtzentrum DLR, die Hochschule Heilbronn, die TUM, das Fraunhofer-Institut mit seinem Forschungs- und Innovationszentrum für angewandte Dienstleistungen KODIS sowie Unternehmen und Institutionen in der Region befassten sich intensiv mit H2 als Energiespeicher der Zukunft. Unter der Federführung der WFG traten die Akteure an, um Modellregion Grüner Wasserstoff zu werden. Auch wenn die Bewerbung damals gescheitert sei, wie Patrick Dufour, Geschäftsführer der Wirtschaftsförderung Raum Heilbronn GmbH, einräumt – die Ambitionen, die Region auf lange Sicht als Vorreiter in Sachen CO2-Neutralität zu positionieren, sind ungebrochen: „Wir haben hier ein mindestens europaweites, wenn nicht sogar weltweites Alleinstellungsmerkmal am Standort“, sagt er – „nämlich herausragende Kompetenz im Umgang mit großen Mengen an Wasserstoff“.
Diesen Spitzenplatz will die Initiative „H2 Impuls“ halten, auch wenn nicht alle Vorhaben aus der Bewerbungsbroschüre von vor drei Jahren umgesetzt wurden. Norbert Heuser, Landrat im Landkreis Heilbronn, ist mittlerweile kreis- und landesweit Wasserstoff-Vorkämpfer: „Mit ‚H2 Impuls‘ wollen wir alle Akteure, für die Wasserstoff künftig relevant sein wird, vernetzen und informieren“, sagt er – von energieintensiven Unternehmen, die auf den saubere Spitzen-Speicher setzen, über Kommunen und deren Einrichtungen über Stadtwerke, Kammern und Verbände bis zu Wirtschaftsförderungen. Die Information interessiert deshalb so viele, weil die H2-Strategie alle Sektoren umfasst, wie Heuser darlegt: Ausbau Erneuerbarer Energien, die Anbindung an die überregionale Wasserstoffleitung SEL, mögliche Standorte zur Gewinnung von H2 und die großen Verbraucher.
Erstellung eines strategischen Regionalentwicklungskonzepts
Die Energie der Beteiligten zahlte sich jüngst finanziell aus: „H2 Impuls“ sicherte sich Fördergelder in Höhe von insgesamt 550.000 Euro. Davon kommen 100.000 Euro vom Ministerium für Umwelt, Klima und Energiewirtschaft Baden-Württemberg, um die Wasserstoffstrategie der Region weiter zu stärken. Den Löwenanteil steuerte das Bundesministerium für Wohnen, Stadtentwicklung und Bauwesen bei. „Diese Mittel sollen im Wesentlichen dazu dienen, ein strategisches Regionalentwicklungskonzept zu erstellen.
Ziel ist es, auf zentrale regionsspezifische Herausforderungen zu fokussieren und für die kommenden zehn bis 15 Jahre Maßnahmen zu priorisieren“, erläutert Andreas Schumm, Direktor des Regionalverbands Heilbronn-Franken, der die Finanzspritzen beantragt hatte – in enger Zusammenarbeit mit WFG und Wirtschaftsregion Heilbronn-Franken WHF, in der Schumm 13 Jahre lang die Geschäfte führte.
Welche regionsspezifische Herausforderungen Schumm meint, erläutert WFG-Geschäftsführer Dufour: Der Großteil des Stroms aus Erneuerbaren Energien wird im Norden und Osten von Heilbronn-Franken erzeugt, verbraucht wird er aber überwiegend in Stadt und Landkreis Heilbronn. „Und wenn man sich die Energieleitungen ansieht, stellt man fest, dass wir eigentlich gar keine Möglichkeit haben, den Strom von Osten nach Westen zu transportieren“, erläutert er. Die Fördergelder sollen dieses Gefälle nun ebnen und dafür sorgen, dass „Erzeugung und Verbrauch im regionsweiten Maßstab besser zueinander gebracht werden können“, formuliert es Schumm.
Mit überschüssigem Strom selbst Wasserstoff produzieren
Landrat Heuser sieht darin eine starke Wachstumschance: „Mit der Zusage wollen wir die Grundlagen dafür schaffen, dass auch langfristig ausreichend Energie für die Belange der Unternehmen zur Verfügung stehen wird“, sagt er. Das bedeutet: Den Umbau von Gas-Hauptleitungen und Verteilnetzen so zu begleiten, dass sowohl die Infrastruktur stehe, als auch ausreichend H2 für die Versorgung der Betriebe vorhanden sei. Umfangreiche Lobbyarbeit in Abstimmung mit der Landespolitik und der Agentur e-mobil Baden-Württemberg sei nötig, damit genug Wasserstoff durch die Pipelines nach Heilbronn-Franken komme. Dazu komme, dass die Region noch mehr Erneuerbare Energien erzeugen und den überschüssigen Strom nutzen müsse, um selbst Wasserstoff zu produzieren, sagt Heuser.
Die zentrale Rolle des Deutschen Luft- und Raumfahrtzentrums
Um zu verstehen, warum ausgerechnet Heilbronn-Franken den Managerposten bei der Vermarktung des „Erfolgselements“ H2 übernimmt, und wie Unternehmen in der Region aktuell und in Zukunft davon profitieren, sind mehr als ein Jahrzehnt im Zeitraffer zu überblicken: „Der Nukleus all unserer Wasserstoff-Aktivitäten ist das Deutsche Luft- und Raumfahrtzentrum DLR am Standort Lampoldshausen“, sagt WFG-Chef Dufour.
Dieser Kompetenzkern liegt 25 Kilometer nordöstlich von Heilbronn in Hardthausen am Kocher. Auf 51 Hektar Fläche testet und entwickelt das DLR-Institut für Raumfahrtantriebe flüssig-chemische Raketentriebwerke unter anderem für die „Ariane“. Wer sich an den Chemieunterricht erinnert, weiß: Wasserstoff gibt es in zwei Aggregatszuständen – gasförmig und flüssig. Die liquide Form ist das Mittel der Wahl, um Raketen in den Weltraum zu bringen, weil sie deutlich weniger Lagerkapazität in Tanks benötigt.
Laut Dufour habe sich das DLR vor etwa zehn Jahren mit dem Heilbronner Energieversorger Zeag zusammengetan. Ziel: grünen Wasserstoff selbst herzustellen. Im Rahmen des Forschungsprojekt H2orizon stellten die Partner einen ersten Elekrolyseur auf, der mit elektrischem Strom Wasser in seine Bestandteile Sauerstoff und Wasserstoff zerlegt. Solche Elektrolyseure sind – auch abseits von Raketenwissenschaft – überall dort nötig, wo in Deutschland klimafreundlich aus grünem Strom grüner Wasserstoff erzeugt werden soll. Doch im Fall des Großverbrauchers DLR sei schnell klar gewesen, dass die Menge für den Bedarf am Standort nicht ausreiche.
DLR produziert bereits selbst grünen Wasserstoff
Deshalb startete das DLR das dreiteilige Projekt ZeroEmission. Im ersten Schritt wurde unter dem Titel „grüne Raumfahrt“ ein zusätzlicher Elektrolyseur installiert. Damit kann das DLR schon heute nach eigenen Angaben bis zu 280 Tonnen grünen Wasserstoff selbst generieren. Eine Bedarfslücke bleibt, denn an den Raketenprüfständen wird vor allem flüssiger Wasserstoff benötigt. Das DLR hat daher auch die Möglichkeit, einen eigenen Verflüssiger zu betreiben, untersucht.
Der für die regionale Wirtschaft interessanteste Aspekt des Projekts ZeroEmission ist das „H2Technikum“. „Das ist die erste und schnelle Antwort auf mangelnde Wasserstoff-Testinfrastruktur gewesen“, beschreibt Dr. Daniela Lindner, Abteilungsleiterin Angewandte Wasserstofftechnologien am DLR. Zusammen mit Partnern aus Industrie und Forschung soll dort die gesamte H2-Wertschöpfungskette untersucht und verbessert werden. An den Prüfständen am Standort Lampoldshausen können Unternehmen und Forschungseinrichtungen eigene Wasserstoff-Anlagen und -systeme testen. Bereits jetzt seien an bestehenden Prüfständen eine zu 100 Prozent mit Wasserstoff betriebene Mikrogasturbine und ein Flüssigwasserstoff-Wärmetauscher für Flugzeuge untersucht worden, berichtet sie. Ein Forschungstank für Schwerlastmobilität soll als nächstes im frisch eröffneten Technikum geprüft werden.
Testmöglichkeiten für regionale Unternehmen
Von den Möglichkeiten dort profitierten insbesondere Kunden, die Komponenten oder Systeme für den Energie- und Mobilitätssektor entwickeln und herstellen: „Besonders KMU aus der Region könnten einen Vorteil aus der räumlichen Nähe zum DLR in Lampoldshausen gewinnen“, ist die Expertin überzeugt. Sie können dort eigene Technologien zur Wasserstoffnutzung testen. Eine Testkampagne dauere Wochen bis Monate und bedinge oft die tageweise Anwesenheit von Kunden oder Mitarbeitern. Unser Angebot bedeutet für nahegelegene Unternehmen geringere Kosten. Man kann sich entspannter auf diese Testphasen einstellen“, sagt sie.
Doch auch das Technikum ist nur der Anfang: Laut Dufour hatte sich, gestützt auf Studien des Landes, schnell gezeigt, dass man noch größer denken müsse. Der H2-Hub „Hydrogenium“ war geboren, eine noch umfangreichere Testumgebung. „Diese Erweiterung wird von uns gern als „der große Bruder“ des H2-Technikums bezeichnet. Es baut auf einer Bedarfsanalyse im Rahmen von ZeroEmission auf, und wird das H2-Technikum in Größe und technischen Möglichkeiten übertrumpfen“, prognostiziert Lindner. Die Bagger stehen nach Dufours Worten schon bereit, um nach der Winterpause in Hardthausen mit dem Bau zu beginnen. „Sogar aus Sicht der EU ist das Hydrogenium so einzigartig, dass es dort zu einem Projekt von strategischem Interesse geworden ist“, schwärmt der WFG-Chef.
Wissensmonopol in Sachen Wasserstoff als Ziel
Doch nicht nur in Sachen Leitungsausbau und Teststandort will die Region Maßstäbe setzen. „Unser Ziel ist es, irgendwann die Einzigen zu sein, die im großen Maßstab Wasserstoff-Anwendungen testen können“, hofft Dufour. Hätte Heilbronn-Franken damit quasi das Wasserstoff-Monopol – in Deutschland, möglicherweise EU-weit? „Zumindest das Wissensmonopol“, sagt er.
Von diesem Wissensmonopol profitiert auch die regionale Wirtschaft. „Das Fraunhofer IAO/ KODIS in Heilbronn hat in einer aktuellen Studie ermittelt, dass die Akzeptanz von Wasserstoff bei Unternehmen sehr hoch ist. Viele Unternehmen schätzen ihn als Energieträger für die künftige Versorgung als sehr wichtig ein und informieren sich eigeninitiativ“, berichtet Landrat Heuser. Bestehende Gas-Heizungen in Privathaushalten könnten schon heute mit einem bis zu 30-prozentigen Anteil an H2 reibungslos betrieben werden. Das habe der Testlauf „Wasserstoff-Insel Öhringen“ gezeigt, in dem ausgewählte Haushalte von der Netze BW mit dem Gemisch versorgt worden waren.
Beratung von Kommunen und Unternehmen
„Wir müssen jetzt ins Handeln kommen, um in Heilbronn-Franken nicht von der dynamischen Entwicklung abgehängt zu werden“, appelliert Heuser. Dem Wunsch der Unternehmen und Kommunen, das chemische Erfolgs-Elements zu nutzen, kommt die WFG nach: „Wir haben im zweiten Teil des Hydrogenium-Projekts mit unseren Partnern eine Art Baukasten erstellt, der uns in die Lage versetzt, beraten zu können. Wenn morgen eine Kommune oder ein Unternehmen anruft, weil sie auf Wasserstoff umstellen wollen, können unsere Expertin bei der WFG, Iris Ley, und zwei weitere Experten helfen“, sagt Dufour.
Dazu hat das DLR Anfang dieses Jahres mit seiner Kompetenzausgründung H2Know eine Schulungs- und Beratungs-Plattform für Wirtschaft und Industrie geschaffen. „Wir versuchen so, den Technologietransfer, den das DLR mit Unterstützung der WFG und der Landespolitik seit Jahren erfolgreich umsetzt, um Leistungen zu ergänzen, die das DLR nicht anbieten kann“, erläutert Expertin Lindner. Etwa Schulungen und Beratungen, hauptsächlich für Ingenieure und technisches Personal. „Hier taucht auch wieder das Thema Flüssigwasserstoff als eine Kompetenz auf, die man nicht häufig findet“, sagt Lindner, Co-Founderin von H2Know. „Deshalb ist vor allem die Luftfahrt derzeit sehr interessiert an unserem Angebot.“ Momentan entstünden schrittweise Schulungsmodule. Basiseinheiten und weiterführende Angebote für Planung und Sicherheit biete H2Know schon an. Dufours Zukunftsvision: „Ein Schulungszentrum – jeder, der über H2-Einsatz nachdenkt, soll automatisch über Lampoldshausen und Heilbronn stolpern.“
Natalie Kotowski