In die Ökobilanz eines Unternehmens fließen in Zukunft viel mehr Daten – auch von der gesamten Nutzungszeit beim Endverbraucher. Unternehmen aus dem Netzwerk Qesar haben bei einem Nachhaltigkeitsgipfel Erfahrungen ausgetauscht.
Die Zügel werden straffer: Mit dem europäischen Green Deal wurden Nachhaltigkeitsziele verschärft – aber auch die Berichtspflichten, die für größere Unternehmen ab 2025 greifen. So etwa für den Crailsheimer Verpackungsmaschinen-Hersteller Schubert.
Mit Scope 1 und 2 war es nach dem Greenhouse Gas Protocol noch relativ leicht, Daten zum eigenen CO₂-Fußabdruck zu ermitteln. Was fließt in Heizung und Maschinen? Welche Mengen Energie werden selbst produziert? Wie ökologisch ist der Strom, der bezogen wird? Deutlich komplexer wird die Erfassung in Scope 3 – denn dann geht es auch um die Werte der Zulieferer sowie die Ökobilanz während der kompletten Nutzungsdauer eines Produkts beim Kunden oder Endverbraucher.
Die nötigen Daten zu erheben, ist eine Herkulesaufgabe, wovor manche noch zurückschrecken. Das hat auch das Netzwerk Qesar erkannt und seine Mitglieder zum Nachhaltigkeitsgipfel nach Scharnhausen bei Stuttgart eingeladen. Zu den großen Partnern gehören Schubert, Rommelag und Optima. Inzwischen sind es 27 Konzerne samt Tochterunternehmen. Der Kreis der Lieferanten, der bevorzugt behandelt wird, zählt 165 Betriebe. Führungskräfte aus den beteiligten Firmen tagen kürzlich inmitten der Produktionsstätte für Steuerungs- und Automatisierungstechnik bei Festo. Ziel ist es, zu komplexen Anforderungen Best-Practices-Erfahrungen auszutauschen – bei Vorträgen und Diskussionen. „Praktiker lernen von Praktikern“, sagt Alexander Friton von der Qesar GmbH. Denn manche Unternehmen haben inzwischen eigene Abteilungen für Nachhaltigkeit installiert.
Darunter auch Bosch. Mit ihren weltweit mehr als 400 Standorten ist die Bosch-Gruppe seit 2020 insgesamt CO2 neutral (Scope 1 & 2)*. Hierfür wurden im Jahr 2022 verbleibende Emissionen in Höhe von 0,7 Mio. Tonnen CO2 durch Carbon Credits kompensiert, so Lisa Reehten, Geschäftsführerin von Bosch Climate Solutions.
Idealerweise sollte jedes Einzelteil, das eingekauft wird, in Scope 3 so bilanziert werden, dass sämtliche Werte von der Rohstoffgewinnung über Produktion und Transport mit einfließen. Dafür müssten die Zulieferer aber erstmal Daten erfassen und liefern. Bosch berücksichtigt beispielsweise den CO₂-Ausstoß und die Aktivitäten der Lieferanten zum Klimaschutz verstärkt bei der Vergabe von Ausschreibungen. Unabhängig von der Größe müssen sich Unternehmen mit diesem Thema befassen.
Für Festo steht Nachhaltigkeit fest auf der Agenda. Über den Nachhaltigkeitsbericht sowie Daten zur Bewertung von Produkten (Product Carbon Footprint) informiert Festo seine Kunden. Das Unternehmen steht hier bereits mit Kunden wie Schubert im Austausch. Neben der Datentransparenz geht es immer darum, die beste Lösung für die jeweilige Automatisierungsaufgabe zu finden. Bereits bei der Planung der Produkte werde großer Wert auf die Bedürfnisse der Kunden gelegt, berichtet Global Key-Account-Manager Martin Rüdele bei einer Führung durch die Betriebsstätte. Julia Bikidis (Head of Corporate Sustainability) ergänzt, dass exakte Auslegung der Produktlösung dabei hilft, über den gesamten Lebenszyklus signifikant Energie und CO2 einzusparen – allein die Unterscheidung zwischen zwei Baugrößen ermöglicht bis zu 40 Prozent Ersparnis und das über den gesamten Lebenszyklus.
Der Aufwand für Nachhaltigkeit lohnt sich, nicht nur für die Umwelt, meint Daniel Höhr, Sustainability & Innovation Advisor bei SAP, der als Referent dabei ist. Kombiniere man Ökologie mit Ökonomie, entstünde ein Mehrwert für die Konzerne. Höhr spricht von der „Twin-Transformation“, also digitale Weiterentwicklung, gepaart mit ökologischen Ansätzen. Ressourcen würden gespart, Prozesse optimiert, Abläufe automatisiert.
Das hat auch die Crailsheimer Schubert-Gruppe mit mehr als 1.600 Mitarbeitern erkannt und Nachhaltigkeit als eine „absolute Frage der Zukunftsfähigkeit“ definiert, so Geschäftsführer Marcel Kiessling, der persönlich beim Gipfel mitwirkt. Ziel des Unternehmensgründers Gerhard Schubert, der dieses Jahr verstarb, sei gewesen, die weltbeste Verpackungsmaschine zu bauen. Das habe er geschafft. „Doch was kommt als Nächstes?“ Das Unternehmen habe mit externer Moderation ein Jahr lang die „Vision 2050“ entwickelt.
Im Fokus steht unter anderem, den Konsum umweltfreundlicher zu gestalten. Zwar stelle Schubert nicht selbst die Verpackung her, sondern die Maschinen. Es sei aber im eigenen Interesse, dass das Verpackungsdesign nachhaltiger werde. Denn letztendlich bestimme der Konsument im Laden die Anforderungen. Auch dringend benötigte Fachkräfte sprechen laut Kiessling die Nachhaltigkeit bei Bewerbungsgesprächen immer häufiger an.
Bei Schubert mache man sich darüber seit vielen Jahren Gedanken. Bereichsleiter Reiner Weidmann berichtet von etlichen energetischen Maßnahmen an den Gebäuden, auch in der neu gebauten Halle 3. Aber auch die Prozesse seien optimiert worden. Seit 2010 würden etwa manche Ersatzteile nicht mehr aufwendig gefräst, sondern in der additiven Fertigung per 3D-Druck erstellt. Inzwischen seien es 80 000 Teile. Sollte eine Maschine in den USA ausfallen, erhalte der Kunde dort eine Datei, um sich die Komponente direkt mit einem von Schubert bereitgestellten Drucksystem selbst auszudrucken. Eine CO₂-intensive Luftfracht entfällt.
* Scope 1, 2, 3 werden gemäß dem Greenhouse Gas Protocol Corporate Accounting and Reporting Standard verwendet.
red.