Aus der Region der Weltmarktführer ins Weltall

Gipfeltreffen der Weltmarktführer
ESA-Astronaut Alexander Gerst (l.) zu Gast beim Gipfeltreffen der Weltmarktführer. Im Gespräch mit Wirtschaftswoche-Chefredakteur Horst von Buttlar gab er spannende Einblicke in die Raumfahrt. Foto: Dirk Täuber

Produkte der Weltmarktführer und Hidden Champions aus Heilbronn-Franken sind nicht nur auf der Erde, sondern auch im Weltall unverzichtbar. Das bestätigt ESA-Astronaut Alexander Gerst, der beim Gala-Abend des Gipfeltreffens der Weltmarktführer zu Gast war.

Die Raumstation ISS ist eine der komplexesten Maschinen, die die Menschheit je gebaut hat – und Teile davon kommen von Unternehmen aus Heilbronn-Franken, seien es Schrauben, Ventilatoren oder andere Produkte. Das hat Alexander Gerst, der wohl berühmteste „Weltraum-Export“ unserer Region, bei seinem Auftritt beim Gala-Abend des Gipfeltreffens der Weltmarktführer im Carmen Würth Forum verraten. Der in Künzelsau geborene ESA-Astronaut, liebevoll „Astro-Alex“ genannt, gab im Interview mit Wirtschaftswoche-Chefredakteur Horst von Buttlar faszinierende Einblicke in die Raumfahrt.

Für die Missionen Blue Dot und Horizons flog Alexander Gerst zweimal zur ISS und verbrachte insgesamt fast ein Jahr im Weltall. 2018 war er Kommandant der Internationalen Raumstation. Zu den Hauptaufgaben des Geophysikers gehörten dort Experimente aller Art, die nur im Orbit unter den besonderen Bedingungen der Schwerelosigkeit durchgeführt werden können. Beispiele sind etwa Tests von Krebsmedikamenten an Tumoren, die in der Schwerelosigkeit natürlicher wachsen als in einer Petrischale auf der Erde, oder Forschungen an Stammzellen, die sich im Weltall schneller vermehren und potentere Eigenschaften entwickeln. Auch Materialwissenschaft wird durchgeführt, etwa Analysen von Metalllegierungen im geschmolzenen Zustand, ohne dass diese ein Randgefäß berühren, das sie beeinflussen könnte.

Laut Gerst bietet die ISS als Forschungsstation unvergleichliche Möglichkeiten für die Wissenschaft und liefert wertvolle Erkenntnisse, mit denen sich Innovationen auf der Erde vorantreiben lassen. Weiterhin Weltraumforschung zu betreiben, ist aus Sicht von Gerst enorm wichtig. Angesichts wachsender Konkurrenz in der Raumfahrt durch kommerzielle Anbieter müsse Europa allerdings aufpassen, nicht abgehängt zu werden. Die Entwicklung eines europäischen Frachtraumschiffs halte er daher für eine gute Idee.

Nach den Sternen greifen

Astronaut zu werden und ins Weltall zu fliegen ist ein Kindheitstraum vieler Menschen, doch Gerst hatte in jungen Jahren durchaus andere Ziele. Er wollte unter anderem Feuerwehrmann, Lokführer oder auch Müllwagenfahrer werden, wie er berichtet. Sein Großvater, ein Amateurfunker, habe schließlich sein Interesse für Naturwissenschaft und Technik geweckt. „Er richtete seine Funkantenne auf den Mond aus und empfing elektromagnetische Wellen, die von dort reflektiert wurden. So konnte ich das Rauschen des Mondes hören“, erinnert sich Gerst. Auch seine eigene Stimme habe er als Kind zum Mond gefunkt und wenige Sekunden später wieder empfangen.

Diese und weitere Inspirationen haben ihn schließlich auf den Weg in die Wissenschaft geführt. Für Alexander Gerst sei es daher heute sehr wichtig, Kinder zu inspirieren, etwa durch Projekte wie „Sendung mit der Maus“, und ihnen Mut zu machen, ihre Ziele und Träume zu verwirklichen. „Wenn Kinder sich denken, was der Typ kann, das kann ich schon längst, dann ist mein Job erfüllt“, sagt Gerst.

Als sich Alexander Gerst 2008 für die Aufnahme ins Astronauten-Corps der ESA bewarb, rechnete er sich nur geringe Chancen aus – es gab über 8000 Mitbewerber. „Ich wollte es einfach mal probieren und dann abhaken“, sagt er. „Ich wollte mir später nicht vorwerfen müssen, es nicht wenigstens versucht zu haben.“ Als die Zusage der ESA kam, habe er zunächst an eine Verwechslung gedacht.

Es folgten Jahre intensiven Trainings, um sich auf alle erdenklichen Situationen vorzubereiten, etwa stundenlang unter Wasser im Raumanzug zu arbeiten. Auch Zähne ziehen und Wunden versorgen habe Gerst erlernt, schließlich ist man im All auf sich allein gestellt.

2014 kam der große Moment: der erste Flug ins All – und der erste Blick vom Orbit auf die Erde. „Die ist ja wirklich rund“, war sein erster spontaner Gedanke, gesteht Gerst schmunzelnd. Obwohl er als Geophysiker viele Fakten zu unserem Planeten kenne, habe in diesem Augenblick das Gefühl das Wissen überlagert.

Erst zum Mond, dann zum Mars

Als Wissenschaftler freut sich Gerst über Pläne zu einer erneuten Mondmission. „Der Mond ist ein Geschichtsbuch der Erde“, erläutert Gerst. Dort gebe es Gesteine, die auf der Erde nicht zu finden seien. Diese ermöglichten einen Blick in die Vergangenheit und könnten Wissenslücken über die Entstehung der Erde sowie des Mondes schließen. Des Weiteren könnten durch eine intensivere Erforschung des Mondes bessere Erkenntnisse über die Wahrscheinlichkeit von Meteoriteneinschlägen gewonnen werden. „Dafür müssen wir Meteoritenkrater studieren“, sagt Gerst. „Die Krater auf der Erde sind bereits verwittert, aber auf dem Mond gibt es jede Menge Krater in allen Größen und Formen. Dort können wir genau untersuchen, wie alt sie sind und errechnen, wann erneute Einschläge drohen könnten.“

Der Mond sei zudem ein wichtiges Sprungbrett, um irgendwann auch eine bemannte Marsmission zu starten. Das könnte die spannende Frage beantworten: Sind wir allein im Universum oder gibt es da draußen noch Leben? „Das könnte der Mars beantworten, falls sich dort fossiles oder eventuell sogar noch existierendes Leben finden lässt“, sagt Gerst.

Dirk Täuber