Oberste Priorität: die globale Erderwärmung bremsen. Um diese Herausforderung zu bewältigen, ist eine Automatisierung des Bauens erforderlich. Im Gespräch erklärt Uni-Professor Panagiotis Spyridis, welche Rolle die Befestigungstechnik dabei spielt.
Inwiefern prägt das Thema Nachhaltigkeit die Zukunft der Befestigungs- und Verstärkungstechnik?
Panagiotis Spyridis: Nachhaltigkeit ist ein Kernziel unserer Arbeit als Ingenieure und Bauleute. Ihre Bedeutung hat in den vergangenen Jahren angesichts der schockierenden Auswirkungen des Klimawandels noch erheblich zugenommen, was zwei Maßnahmen erfordert: die Entwicklung und Umsetzung von robusten Konzepten gegen extreme Belastungen und Umwelteinflüsse aufgrund des Klimawandels sowie die Minimierung negativer Umweltauswirkungen durch den Verbrauch von Energie und Materialien in der gebauten Umwelt.
Was bedeutet das konkret?
Spyridis: Es ist sicher, dass in Zukunft neue Materialien verwendet werden müssen, vielleicht am typischsten emissionsarmer Beton. Auf der anderen Seite müssen Anstrengungen zur energetischen Verbesserung unserer Gebäude und Infrastrukturen unternommen werden, was in hohem Maße Befestigungsanwendungen einschließt. Wir sollten auch nicht vergessen, dass Nachhaltigkeit in der Produktion und im Betrieb derzeit auch ein festes Mandat unserer Gesellschaft an unsere Industriepolitik auf europäischer und nationaler Ebene ist. Daher gibt es auch eine Motivation innerhalb des Business Ökosystems hin zu mehr nachhaltigen Materialien und Methoden.
Und wie können Befestigungs- und Verstärkungsmethoden zur Verbesserung der Energieeffizienz von Gebäuden beitragen?
Spyridis: Die Befestigungstechnik spielt eine besondere Rolle bei der Verbesserung der Energieeffizienz von Gebäuden. Sie sorgt für eine effiziente Montage von Dämmstoffen und -bauteilen, beispielsweise Wärmedämmverbundsysteme. Außerdem gibt es geeignete Systeme, um Wärmebrücken zu minimieren.
Gibt es weitere Beispiele, die Sie bei der Verbesserung der Energieeffizienz nennen können?
Spyridis: Effiziente Befestigungssysteme sollten auch für die Luftdichtheit von Bauteilen wie Fenster, Türen und Fassadenelemente in Betracht gezogen werden, um unkontrollierte Luftaustritte und Energieverluste zu verhindern. Aber natürlich ist die Befestigungstechnik auch unverzichtbar, wenn es um die Installation von Solarzellen, Windturbinen oder anderen Systemen zur Erzeugung Erneuerbarer Energien und die Integration intelligenter Gebäudetechnologien wie Sensoren und Aktoren zur Steuerung von Beleuchtung, Heizung, Lüftung und anderen Gebäudefunktionen geht.
Welche Forschungsthemen werden Ihrer Meinung nach diesbezüglich in den kommenden Jahren besonders relevant sein?
Spyridis: Wir müssen durch bahnbrechende Forschung auf die akuten Bedürfnisse und Herausforderungen von heute reagieren, die wir vorher auch erwähnt haben. Meiner Ansicht nach sollte unsere oberste Priorität die Bremsung der globalen Erwärmung sein. In der Zwischenzeit müssen wir Anstrengungen unternehmen, um die Widerstandsfähigkeit unserer Gebäude und der Bevölkerung gegenüber dem Klimawandel zu gewährleisten. Bei all dem sollten wir die demografischen Veränderungen in Europa nicht vergessen sowie die weltweite Urbanisierung und den Bevölkerungszuwachs, aber auch den immer größer werdenden Mangel an Fachkräften.
Und wie kann das gelingen?
Spyridis: Um diese Herausforderungen zu bewältigen, ist eine Beschleunigung und Automatisierung des Bauens erforderlich. Darüber hinaus sollten nachhaltige Bauteile und Materialien verwendet und effiziente Lebenszyklus- und Kreislaufwirtschaftskonzepte angewandt werden. Hier bietet die Digitalisierung eine große und sehr zeitgemäße Chance. Strukturelle Zusammenhänge spielen sowohl bei etablierten als auch bei zukunftsweisenden Bauprozessen und -techniken eine wesentliche Rolle, aber diese Themen sind in der gesamten Bauforschung essenziell, und es können sich zahlreiche Forschungsthemen ergeben. Jede Forschungsarbeit sollte jedoch klar mit den Nachhaltigkeitsprioritäten verknüpft und in Bezug auf diese bewertet werden.
Stichwort Digitalisierung: Welche Technologien werden derzeit erforscht, um die Effizienz und Leistungsfähigkeit von Befestigungen und Verstärkungen zu verbessern?
Spyridis: In der Forschung werden aktuell beträchtliche Fortschritte zu verschiedenen Themen erzielt. Zu den Bereichen, die die Forschung und Entwicklung in den letzten Jahren stark beschäftigt haben, gehören das Verhalten von Befestigungen unter Dauerbelastung, Erdbeben und Brand, die Wechselwirkung von Befestigungen mit Hängebewehrung und Faserbeton, die nichtlineare Bemessung von Gruppenverankerungen, das Verhalten von Direktbefestigungen sowie nachträglich eingebaute Bewehrungsstäbe. Zu erwähnen ist auch die anhaltende Entwicklung des modularen und vor- gefertigten Bauens, zum Beispiel mit Wand- und Fassadenmodulen, wobei Verbindungen eine wichtige Rolle spielen.
Und welche Rolle spielen digitale Technologien wie Building Information Modeling (BIM) und 3D-Druck?
Spyridis: Natürlich ist jetzt ein höherer Automatisierungsgrad in der gewerblichen Lieferkette sowie der Planung und dem Bauprozessmanagement zu verzeichnen, was sich im Wesentlichen auf die Verwendung aller kommerziellen Produkte und somit aller Bauprodukte auswirkt. Ein grundlegender Schritt war die Integration von Befestigungen und Einbauteilen in die BIM-Modellierung. Eine interessante Entwicklung ist die kürzliche Einführung einiger erster Beispiele von selbstfühlenden Befestigungsmitteln, zum Beispiel um ihr Tragverhalten zu überprüfen. Außerdem hat der Einsatz von Robotern in der Baubranche zugenommen, und sie werden auch für Befestigungs- und Verstärkungsaufgaben eingesetzt.
Interview: Teresa Zwirner
Zur Person
Panagiotis Spyridis ist Professor für Massivbau an der Universität Rostock. Ergänzend leitet er ein Forschungsteam an der TU Dortmund im Bereich Befestigungstechnik.