Da schlägt das Herz höher

Der Hohenlohekreis besticht durch seine Vielfalt, Wirtschaftsstärke und Idylle. Im Interview mit Kreisarchivar Dr. Thomas Kreutzer gehen wir dieser Entwicklung auf den Grund.

Herr Dr. Kreutzer, der Hohenlohekreis ist heute für seine Vielzahl an Weltmarktführern einerseits und sein landschaftliches Idyll andererseits bekannt. Wie kam es dazu?

Kreutzer: Dass wir heute so eine Vielzahl an Weltmarktführern im Hohenlohekreis haben, hängt auch mit einigen historischen Zufällen zusammen. Viele Unternehmen sind während und nach dem Zweiten Weltkrieg aus den zerstörten Städten, etwa Stuttgart, hierher gekommen – auf der Suche nach einem Standort, der nicht in Schutt und Asche lag. Im Hohenlohekreis war ausreichend Fläche vorhanden, der Platz war da – und günstig obendrein. Bombardiert wurden ja vor allem die Ballungszentren, weniger der ländliche Raum. Warum sich das Ganze dann genauso entwickelt hat, ist schwer zu beantworten. Ich denke aber, dass es auch mit den Menschen von hier zu tun hat. Ohne die richtigen Persönlichkeiten vor Ort wäre das sicher nicht denkbar gewesen. Dass der Landkreis landschaftlich so viel zu bieten hat, liegt daran, dass hier eben doch nicht so viel Industrie ansässig ist, als dass sie das Landschaftsbild zerstören würde. Außerdem sind die Menschen hier sehr darauf bedacht, die Natur zu erhalten. Das sieht man auch jetzt noch. Der Aufschrei ist groß, wenn beispielsweise Windparks gebaut werden sollen. Viele sprechen sich gegen solche Maßnahmen aus, weil sie die Umgebung nicht zerstören möchten.

Wie sah der Landkreis noch vor zwei Generationen aus, wie vor einer?

Kreutzer: Bis zum Krieg war der Landstrich vor allem landwirtschaftlich geprägt. Der Großteil der hier lebenden Menschen war in der Landwirtschaft tätig. Das ist in den Jahren danach drastisch zurück gegangen. Viele kleine Betriebe wurden aufgegeben. Es konzentrierte sich mit der Zeit mehr und mehr auf einige Großbauern. Das ist ja auch heute noch so. Kleinbauern, die ihren Betrieb nebenberuflich führen, gibt es immer weniger. Im Jahr 2002 waren nur noch fünf Prozent der Erwerbstätigen im Hohenlohekreis in der Landwirtschaft tätig, in den 1930er Jahren waren es noch 70 Prozent. Dagegen hat der Dienstleistungssektor massiv zugenommen. Rund 50 Prozent der Erwerbstätigen sind in diesem Bereich beschäftigt. Auch die Industrie ist stark. Dennoch: Der Hohenlohekreis ist trotz seiner Entwicklung für das heutige Verständnis ein ländlicher Raum. Das hat sich auch über die vergangenen Generationen kaum geändert – nur, dass eben mehr Menschen dort leben und arbeiten. Hier gibt es einige Kleinstädte sowie zwei Mittelzentren. Aber eben keine Großstädte.

Wie hat sich der Landkreis mit der Zeit entwickelt?

Kreutzer: Nach dem Zweiten Weltkrieg gab es eine einschneidende Veränderung im Gebiet des heutigen Hohenlohekreises. Tausende Flüchtlinge, Vertriebene und Aussiedler kamen in die beiden Altkreise Künzelsau und Öhringen. Die Menschen mussten integriert werden, sie brauchten Wohnraum und Arbeit. 1950 lebten im Altkreis Öhringen 42.021 Menschen, in Altkreis Künzelsau 30.432. Das war in Summe ein Plus von 40 Prozent gegenüber vorher. Das war sicher keine leichte Aufgabe, die Menschen aufzunehmen. Dennoch hat es funktioniert. Es war für die Hohenloher selbstverständlich, diese Leute zu integrieren. Diese Begebenheit hat einen regelrechten Bauboom ausgelöst. Damit hat sich auch die Wirtschaft entwickeln können, weil das Arbeitskräftereservoir plötzlich da war. Die Industrie hätte sich sonst nicht weiter aufbauen können.

Welche Probleme hatte der Landkreis in den Jahren nach dem Zweiten Weltkrieg?

Kreutzer: Es waren die typischen Herausforderungen der damaligen Zeit. Einerseits war das der Wiederaufbau mancher Städte und Gemeinden. Dieser setzte unmittelbar nach dem Zweiten Weltkrieg ein. Ein Beispiel, wo Wiederaufbauarbeit geleistet werden musste, ist Waldenburg. Die Stadt wurde in den letzten Tagen des Krieges fast vollständig zerstört. Eine weitere Herausforderung war es, die Menschen, die in den Kreis gekommen sind, zu integrieren.

Wie beurteilen Sie als Archivar – ein Mensch, der viel mit der Vergangenheit zu tun hat – den Landkreis?

Kreutzer: Der Landkreis ist enorm geschichtsträchtig. In fast jedem kleinen Dorf gibt es ein Schloss, eine Burg, ein Kloster oder zumindest eine Ruine. Das lässt mein Historikerherz schon höher schlagen. Viele dieser Gebäude hatte ich zuvor gar nicht gekannt. Mich beeindruckt vor allem die Vielfalt der alten Bausubstanz. Aus jeder Epoche gibt es hier etwas zu finden. Mein persönlicher Höhepunkt ist Kloster Schöntal – sowohl touristisch als auch aus Sicht eines Historikers. Da ist einfach unglaublich viel geboten. Aber auch die geologische Struktur des Landkreises fasziniert mich. Man muss mit offenen Augen durch den Hohenlohekreis gehen, dann lassen sich immer wieder neue Dinge entdecken.

Was ist die ungewöhnlichste Entwicklung, die – Ihrer Meinung nach – der Landkreis gemacht hat?

Kreutzer: Die Industrialisierung hat sehr spät eingesetzt. Das liegt auch daran, dass es lange Zeit einen Arbeitskräftemangel und erst ab 1862 eine Eisenbahnstrecke gab. Entlang dieser hat sich dann nach und nach Industrie niedergelassen. Zuvor war es schwer, Waren zu transportieren. Vor dem 19. Jahrhundert gab es im Hohenlohekreis kaum protoindustrielle Betriebe. Eine Ausnahme bildet da allein Ernsbach, ein Teilort von Forchtenberg. Hier gab es schon vorher, neben verschiedenen Mühlen, auch zwei Hammerschmiedewerke. Der Ort gilt daher als erster Industrieort in Hohenlohe. Nach dem Zweiten Weltkrieg, also ab den späten 1940er Jahren, gab es dann aber eine regelrechte Aufholjagd. Und diese war so nicht zu erwarten.

Interview: Lydia-Kathrin Hilpert