Täglich warten Menschen hierzulande und an vielen anderen Orten der Welt auf ein Spenderorgan, das ihnen das Leben rettet und damit verlängert. Eugen Hermann aus Künzelsau zählt zu den Glücklichen, für die das Warten zu Ende ist – nach langer Zeit.
„Ich merke, dass etwas fehlt“, sagt Eugen Hermann, auf seinem gemütlichen weißen Sofa in einem sehr modern eingerichteten Wohnzimmer sitzend, im Hintergrund läuft leise russische Musik. Die Hand darf er wegen Ansteckungsgefahr nicht zum Gruß reichen. Der 54-Jährige, der einen Mundschutz trägt, weil seine Frau erkältet ist, meint damit die Dialyse – eine Prozedur, die er elf Jahre lang fünfmal am Tag über sich ergehen lassen musste. Vor 17 Jahren wurde bei Eugen Hermann diagnostiziert, dass seine Nierenfunktion kritisch ist, 2006 stand der gebürtige Russe dann kurz vor einem kompletten Nierenversagen. Die Ursache dafür ist allerdings bis heute ungeklärt, denn Hermann litt weder an Diabetes noch an Bluthochdruck – was die häufigsten Gründe für Nierenschädigungen sind. Es müsse wohl irgendeine Vorerkrankung im Jugend- oder möglicherweise sogar Kindesalter vorgelegen haben, welche die Nierenfunktion stark beeinträchtigt habe – so zumindest die Vermutung. „2006 habe ich dann mit der Dialyse begonnen“, erinnert sich der Vater zweier Töchter (25 und 27). Diese Blutwäsche war für ihn fünfmal eine halbe Stunde lang fester Bestandteil seines Tagesablaufs. „Ich konnte die Dialyse sogar auf der Arbeit machen“, erzählt Hermann, der bei der Firma Ziehl-Abegg in Bieringen in der Montage beschäftigt ist. Er habe das Behinderten-WC dafür nutzen können, das sogar eigens für seine Bedürfnisse eingerichtet worden war. So habe er ganz normal seiner Tätigkeit nachgehen können – mit kleineren Unterbrechungen – und das sogar im Zweischichtbetrieb.
Noch im selben Jahr, in dem Hermann erfuhr, dass er sich künftig täglich einer Dialyse unterziehen müsse, kam er auf die Warteliste für eine Spenderniere. Elf Jahre stand er auf dieser – bis am 13. Januar 2017, dem Geburtstag seiner Frau Helena, der langerwartete Anruf kam. „Es war bereits kurz vor 23 Uhr, da rief uns das Nierenzentrum Heidelberg an“, weiß der zweifache Großvater noch ganz genau. „Meine Frau ging ans Telefon und ihre Hände begannen zu zittern.“ Man habe eine passende Spenderniere für ihn gefunden, er müsse sofort nach Heidelberg kommen. Also fuhr der Schwiegersohn ihn und seine Frau dorthin. „Nach einer Stunde waren wir schon dort“, sagt Hermann. Zwischen drei und halb vier Uhr in der Nacht sei dann die Niere eingetroffen, um halb fünf sei er im OP gewesen. „Mein Blutdruck war über 200“, lacht der Künzelsauer. Die Ärzte hätten sich schon Sorgen gemacht, aber das sei lediglich die Aufregung und Freude wegen der bevorstehenden Transplantation gewesen.
Nach etwa drei Stunden war alles vorbei. Die Operation verlief reibungslos, Hermanns Immunsystem nahm die neue Niere problemlos an. Zwölf Tage musste er noch im Krankenhaus bleiben, bis er dann am 26. Januar entlassen wurde. Seine Frau wich nicht von seiner Seite. „Sie ist meine Lokomotive“, sagt der Russlanddeutsche scherzhaft und um seine Augen bilden sich Lachfältchen.
Da die Niere ein sogenanntes paariges Organ ist, kann auch ein Lebender eine davon spenden. Als klar war, dass Eugen Hermann früher oder später eine neue Niere transplantiert werden müsse, habe sich seine Frau ohne zu zögern als Spenderin angeboten. Sie kam allerdings nicht infrage, weil sie gewisse Kriterien nicht erfüllte. „Dass meine Töchter mir eine Niere spenden, habe ich kategorisch abgelehnt“, betont Hermann. „Sie haben ihr ganzes Leben noch vor sich“, ergänzt er. Und da sich auch sonst niemand aus der Verwandtschaft als passender Spender erwiesen hatte, blieb nur die Niere eines Verstorbenen als Option.
Sieben Wochen nach dem Krankenhausaufenthalt geht es Eugen Hermann sichtlich gut. Bei schönem Wetter kann er bereits langsam spazieren gehen und sogar Fahrradfahren. In Acht nehmen muss er sich vor großen Menschenansammlungen und auch zu Kindern muss er noch ein, zwei Monate Abstand halten, was besonders schwer für ihn ist. Denn im Januar ist sein zweites Enkelkind zur Welt gekommen, das er natürlich gerne so oft wie möglich sehen würde.
Selbst hat Eugen Hermann nie einen Organspendeausweis besessen, genau wie seine Frau. Das soll sich jetzt ändern. „Ich habe mich schon darüber informiert“, sagt Helena Hermann. Die 47-Jährige hofft, damit möglicherweise selbst einmal jemandem ein solches Geschenk machen zu können, wie sie und ihr Mann es bekommen haben – „das beste Geschenk im Leben“.
Olga Lechmann