„Der Druck ist hoch“

Die Branche erlebt einen Boom: Laut Bundesverband für Spedition und Logistik (DSLV) gab es im 1. Quartal des Jahres Rekordzahlen im Sammelgutaufkommen mit einem Umsatzplus von 20 Prozent. Ein Anstieg des jährlichen Aufkommens von 119 auf 130 Millionen Stückgutsendungen ist daher wahrscheinlich, schätzt der DSLV. Foto: Adobe Stock/assetseller

Gesellschaft und Politik fordern, dass der Warenverkehr künftig nachhaltiger und klimafreundlicher werden soll. Vor welche Herausforderungen das die Player der Speditions- und Logistikbranche in der Region stellt, fassen die Professoren Roland Pfennig und Dirk Lohre von der Hochschule Heilbronn im Interview zusammen.

Welchen Stellenwert hat Nachhaltigkeit in der Speditionsbranche in Heilbronn-Franken?

Roland Pfennig: Aktuell sehen wir in unseren Projekten und auch in den Gesprächen mit Unternehmensvertretern einen deutlichen Fokus auf die ökologische Komponente der Nachhaltigkeit. Es liegen ja nun einige Erfahrungen in diesem Bereich vor, beispielsweise bei der Messung von CO2-Emissionen, also dem Carbon Footprinting, oder auch bei der Erschließung von Reduktionspotenzialen. Trotzdem ist der Druck aus Gesellschaft, hier etwas zu tun, gerade auf den Mittelstand relativ hoch. Gleichzeitig nimmt die Zahl der relevanten Regelungen und Normen zu. Manche Unternehmen haben das Gefühl, dass sie den Wald vor lauter Bäumen nicht mehr sehen. Bäume sind hier politische Vorgaben, aber auch existierende und sich entwickelnde Regelungswerke, wie beispielsweise die Berichterstattung über die emittierten Treibhausgase erfolgen soll.

Zu den Versuchen, die Nachhaltigkeit in der Branche durch Regularien zu beschleunigen, gehört das „Fit-For-55-Paket“ der EU-Kommission. Ist das der richtige Weg?

Dirk Lohre: Speditions- und Logistikunternehmen sorgen vor allem dafür, dass der in Wirtschaft und Gesellschaft bestehende Verkehrsbedarf gedeckt wird. Das wird in der Diskussion manchmal übersehen. Sie bündeln dabei die Bedarfe mehrerer Auftraggeber und sorgen aufgrund ihrer Bündelungsfunktion dafür, dass dieser Verkehrsbedarf viel effizienter gedeckt wird, als wenn jeder Versender das allein für sich machen würde. Die sogenannten spezifischen Emissionen, also die Treibhausgase, die pro Stellplatz auf einem LKW oder pro Tonnenkilometer entstehen, konnten in den letzten Jahren deutlich gesenkt werden. Aber der Verkehrsbedarf ist so stark gestiegen, dass die Effizienzgewinne der Speditions- und Logistikunternehmen deutlich überkompensiert wurden und so die Gesamtemissionen des Sektors gestiegen sind. Das ist der wesentliche Grund, weshalb der Verkehrssektor keinen Beitrag zur Erzielung der nationalen Reduktionsziele leisten konnte. Um nun über die Effizienzgewinne hinaus weiter zu gehen, sehe ich primär die Ansatzpunkte in der schnellen Verfügbarkeit relevanter Technik, vor allem alternativer Antriebe, um die Gesamtemissionen deutlich zu senken. Es fehlt teilweise ja noch an der Einsatzreife. Die Politik kann hier eher durch den schnellen Ausbau der Tank- und Ladeinfrastruktur unterstützen. Hier startet ja gerade die Initiative Klimafreundliche Nutzfahrzeuge des Bundesministerium für Verkehr und digitale Infrastruktur (BMVI).

Pfennig: Ganz wichtig ist aber auch: Die Planbarkeit und Investitionssicherheit muss für die Unternehmen gegeben sein, was vor allem sichere, berechenbare Rahmenbedingungen voraussetzt. Das Hin und Her um die Förderung und Mautbefreiung von Liquified Natural Gas (LNG)-Fahrzeugen ist hier ein Beispiel dafür, wie es nicht gemacht werden sollte.

Erhöhen die steigenden CO2- und Energiepreise den Kostendruck auf die Logistiker?

Lohre: Ich glaube, dass dies für die Unternehmen weniger ein Problem ist. Fast alle Speditions- und Logistikunternehmen haben mit ihren Auftrag­gebern sogenannte Floater-Modelle vereinbart, mit denen schwankende Treibstoffkosten verrechnet werden. Letztendlich trifft den Transportdienstleister die CO2-Steuer an der Zapfsäule, da sie ja über den Dieselpreis verrechnet wird. Dies könnte dann über den Floater an den Kunden weiterverrechnet werden. Auch die Mauteinführung ist ein Beispiel dafür, dass die Speditions- und Logistikunternehmen die staatlich induzierten höheren Kosten an die Nachfrager weiterreichen. Die Spediteure haben also weder etwas gegen die Maut, noch gegen eine höhere Belastung durch energiebezogene Abgaben. Wichtig ist nur, dass sie nicht selbst auf den Kosten sitzen bleiben.

Was wären Maßnahmen für mehr Nachhaltigkeit, die die Branche aus sich selbst heraus leisten könnte?

Pfennig: Ansatzpunkte im Operativen sind eigentlich nicht neu und werden von den meisten Unternehmen auch schon seit langem praktiziert, da sie in der Regel komplementär zu betriebswirtschaftlichen Zielen sind. Dazu gehören dann, wie schon angedeutet, eigentlich alle Maßnahmen zur Steigerung von Auslastung und Reduzierung des Ressourcenverbrauchs. Maßnahmen wie „Slow logistics“, also vor allem das Bündeln über die Zeit, führen zu Servicebeeinträchtigungen. Denn dadurch steigen die Laufzeiten. Solche Maßnahmen müssen von den Kunden akzeptiert werden und können nicht allein vom Spediteur durchgeführt werden. Erfreulicherweise gibt es mittlerweile einzelne Auftraggeber, die dazu bereit sind. Die Verlagerung auf umweltfreundlichere Verkehrsträger, wie die Bahn oder das Binnenschiff, müssen immer im Einzelfall auf Eignung überprüft werden, können aber auch zu Servicebeeinträchtigungen führen.

Wen sehen Sie in der Pflicht für den Wandel in Supply-Chain-Prozessen?

Pfennig: Den Endkonsumenten als Verkehrsinduzierer, der seine Serviceanforderungen überdenken sollte. Den Auftraggeber des Logistikdienstleisters, der Akzeptanz für Modifikationen an Logistiksystemen aufbringen sollte. Die Lkw- und Technikhersteller, welche die benötigte Technik einsatzbereit zur Verfügung stellen müssen. Die Politik, die Planungssicherheit herstellen und die Infrastruktur entwickeln muss. Die Logistikdienstleister, die erstens Impulse setzen, zweitens die Technik einsetzen und drittens die akzeptierten Modifikationen an den Logistiksystemen entwickeln und umsetzen.

Sie haben vorher die Verlagerung auf die Schienen erwähnt. Wäre das in der Region überhaupt möglich?

Pfennig: Es wird zumindest kurz- bis mittelfristig schwierig werden. Seit der Bahnreform haben die Gleisanschlüsse im Land deutlich abgenommen.

Lohre: Auch die Kapazitäten im Kombinierten Verkehr sind auf den wesentlichen Trassen nicht ausreichend. Zudem sind Unternehmen nach wie vor vorsichtig, wenn es um das vollständige Umstellen der Logistikkonzepte auf die Bahn geht. Bestimmt erinnert man sich noch an das Desaster der Bahn an der Tunnelbaustelle in Rastatt in 2017. Damals mussten kurzfristig viele Unternehmen ihre Logistiksysteme auf die Straße umstellen. So etwas bleibt natürlich im Hinterkopf.

Und wie sieht es mit Luftfracht oder Schifffahrt aus?

Pfennig: Vermutlich wird das Luftfrachtaufkommen weiter steigen. Flug- und Flughafenbetrieb müssen hin zur CO2-Neutralität entwickelt werden. Ein Hebel liegt in der Flottenerneuerung und im Umstieg auf nachhaltigen Kraftstoff. Hier wird an der Entwicklung von Kraftstoffen geforscht, die aus atmosphärischem CO2 mithilfe erneuerbarer Energien hergestellt werden.

Lohre: Bezüglich des Klimaschutzes hat die Binnenschifffahrt weiter Vorteile gegenüber dem Lkw-Transport. Auch hier gilt jedoch: Die Infrastruktur muss stimmen – die Schleusen müssten, um hier das Potenzial zu heben, ausgebaut werden.

Interview: Melanie Boujenoui