Wieso beim Ventilatorenhersteller Ziehl-Abegg die Produktion auf Hochtouren läuft, wie dennoch die Mitarbeiter geschützt werden und welche Eigenschaften dabei helfen, die Ausnahmesituation zu bewältigen erläutert der Vorstandsvorsitzende Peter Fenkl im Interview.
Wie nehmen Sie die Stimmung in Heilbronn-Franken wahr? Schweißt die Krise die Menschen stärker zusammen?
Peter Fenkl: Ich nehme zwei Richtungen wahr: Einmal führt die gesetzlich verordnete Abschottung jedes Haushalts durchaus zur gewünschten Reduzierung persönlicher Kontakte. Aber andererseits tauschen wir uns bei Ziehl-Abegg gerade in Krisenzeiten auf dem kleinen Dienstweg schnell und unkompliziert mit Behörden wie dem Landratsamt sowie anderen Unternehmen aus, wenn es ums Thema Corona geht. Jetzt zahlt sich ein persönliches, unternehmensübergreifendes Netzwerk aus.
Das Virus hat sich in Hohenlohe stark verbreitet, auch in der Belegschaft kam es in der Folge zu Ansteckungen. Vor welche Herausforderungen haben Krankheitsausfälle den Betrieb gestellt?
Fenkl: Da wir auch in China ein Werk haben, sind wir frühzeitig mit dem Corona-Virus und seinen Auswirkungen auf das eigene Unternehmen, die Volkswirtschaft sowie die Gesellschaft konfrontiert worden. Wir haben das Thema daher schon vor dem ersten Infektionsfall im deutschen Unternehmen sehr ernst genommen und alles Machbare unternommen, um die Mitarbeiter zu schützen und die Betriebsabläufe aufrecht zu erhalten. Letztlich ist es fürs Unternehmen übrigens egal, ob ein Mitarbeiter wegen Krankheit oder „nur“ wegen Quarantäne fehlt. Es galt und gilt daher, die Fehlzeiten zu reduzieren. Infektionen haben, das will ich auch erwähnen, in den meisten Fällen außerhalb der Arbeit stattgefunden. Eine große Herausforderung war es daher, die direkten Kontakte am Arbeitsplatz zu verhindern oder zu reduzieren. Daher haben wir Mitarbeiter schon im Februar frühzeitig vorsorglich in Quarantäne geschickt – auch ohne behördliche Anordnung. Durch rigoroses und geplantes Vorgehen ist es uns dann schnell gelungen, die Zahl der Kontaktpersonen signifikant zu verringern.
Kontaktbeschränkungen und weitere Maßnahmen zur Eindämmung des Virus haben Teile der Wirtschaft in Heilbronn-Franken zum Stillstand gebracht. In welchem Maße ist Ziehl-Abegg betroffen?
Fenkl: Es mag kurios klingen, ist aber salopp formuliert so, dass bei uns der Laden in Deutschland brummt. Die Produktion ist zu Sonderschichten gezwungen, weil wir die Bedürfnissen nach Ventilatoren für Quarantäne-Stationen oder Kliniken erfüllen wollen. Bereiche wie Messebau, Marketing oder Kantine und andere Bereiche sind in Kurzarbeit. Daher trifft dies einzelne Mitarbeiter und Bereiche stärker, aber nicht die Produktion an und für sich – sofern auch weiterhin unsere Lieferanten ihre Verpflichtungen erfüllen (können).
Welchen konkreten Beitrag kann Ziehl-Abegg leisten, um medizinische Einrichtungen im Kampf gegen das Coronavirus zu unterstützen?
Fenkl: Ziehl-Abegg hat schon in China Ventilatoren für Quarantäne-Stationen und Klinken gebaut, dann in Italien und jetzt in Deutschland – auch für andere europäische Länder. Natürlich kann der Anstieg in diesem Bereich keineswegs die Umsatzeinbußen ausgleichen, die sich global ergeben und andauern.
Neben unserem eigentlichen Geschäft, der Entwicklung, Produktion und dem Vertrieb von Ventilatoren, haben wir uns auch gemeinnützig engagiert: Wir haben im Januar Gesichtsmasken und Klinikbedarf nach China geschickt und im Februar Masken nach Italien transportiert; im April haben wir Gesichtsschilde auf unseren 3-D-Druckeren in Künzelsau für regionale Einrichtungen wie Arztpraxen oder Abstrichstellen und Altenheime gedruckt. Diese haben wir dann kostenfrei abgegeben.
Die Regierung hat ein großes Hilfspaket aufgelegt, um die Wirtschaft zu stützen. Was würde einem Unternehmen in der Größe von Ziehl-Abegg derzeit besonders helfen?
Fenkl: Das Hilfspaket mit Krediten für Unternehmen unserer Größenordnung ist eine Farce. Denn die Zinssätze der KfW liegen deutlich über marktüblichen Zinsen.
Welche Eigenschaften brauchen Ihrer Ansicht nach Unternehmenslenker, um die derzeitige Ausnahmesituation gut zu bewältigen?
Fenkl: Die Stärken von Ziehl-Abegg als mittelständischem Unternehmen sind die Flexibilität und die langfristig orientierte Unternehmensstrategie. Als Unternehmenslenker muss ich gerade in unvorhersehbaren Krisen schnell die richten Mitarbeiter an die richtige Stelle setzen, diese mit Kompetenzen ausstatten und mich selbst ergebnisoffen informieren und beraten lassen. Daher habe ich früh ein funktionierendes Krisenteam unter meiner Führung und Verantwortung ins Leben gerufen.
Ich muss auch bereit sein zu erkennen, dass Entscheidungen von gestern bereits heute schon überholt und morgen sogar falsch sind. Diese Denke sollte bei Unternehmenslenkern immer vorherrschen; in einer Krise ist sie aber noch wichtiger. Außerdem empfiehlt es sich, Flagge zu zeigen und präsent zu sein: Wenn die Mitarbeiter in der Produktion zur Arbeit erscheinen, dann begrüßen sie es auch, wenn der Chef sich nicht ausnimmt und ins Homeoffice verabschiedet.
Der Handschlag ist unter Kaufleuten wie ein Vertrag. Jetzt muss zum Schutz der Gesundheit darauf verzichtet werden. Glauben Sie, diese Geste wird ihre Bedeutung im Geschäftsleben verlieren? Wie wichtig sind Handschlag und persönlicher Kontakt für Sie?
Fenkl: Natürlich agieren wir jetzt stärker als jemals zuvor mit Videokonferenzen. Wir haben schon vorher aus Kostengründen versucht, Reisen auf das notwendige Mindestmaß zu beschränken. Vermutlich werden wir in dieser Krise erkennen, dass noch weniger Meetings und Dienstreisen nötig sind. Aber ganz ohne wird es nicht gehen. Wir sind kein Versandhandel für Massenprodukte von der Stange; wir entwickeln für und zusammen mit unseren Kunden Anwendungen für hochkomplexe Systeme. Da ist oft ein persönlicher Kontakt von Beginn bis weit über die Inbetriebnahme hinaus unabdingbar. Der Handschlag ist Ausdruck eines persönlichen Kontaktes und Wertschätzung. Ich denke, dass es diesen auch nach der Corona-Krise geben wird. In welchem Umfang auch immer.
Die Maßnahmen zur Eindämmung des Virus gehen nach wie vor mit massiven Einschränkungen des privaten und öffentlichen Lebens einher. Was vermissen Sie in Zeiten von Kontaktbeschränkungen am meisten?
Fenkl: Ich würde gerne Freunde und Verwandte treffen, die aus Altersgründen in eigenem Interesse völlig isoliert sind. Ich würde auch gerne mit meiner Frau ins Straßencafé sitzen oder meinen Kindern bei sportlichen Wettkämpfen zuschauen: Am liebsten würde ich mit allen zusammen einen ungezwungenen Wochenendausflug unternehmen.
Unsere Bundeskanzlerin hat die Coronakrise als größte Herausforderung seit dem Zweiten Weltkrieg bezeichnet. Wie ist Ihre Einschätzung? Erwartet uns ein zweites Wirtschaftswunder nach Ende der Krise?
Fenkl: Ziehl-Abegg wird auch diese Krise dank seiner Position als Technologieführer, gepaart mit der hohen Fertigungstiefe und einer äußerst soliden Finanzbasis, überstehen. Wie schnell danach ein Wachstum möglich sein wird, hängt stark von der Entwicklung unserer Kunden und deren Märkten ab. Da wir sehr viele Branchen auf weltweiter Basis bedienen, werden wir hoffentlich nicht zu lange und nicht zu stark ausgebremst.
Interview: Dirk Täuber