So sieht die Führung der Zukunft aus

Erich Vad; Angela Merkel; Berater
In seiner letzten dienstlichen Funktion war Vad Gruppenleiter im Bundeskanzleramt, Sekretär des Bundessicherheitsrates und militärpolitischer Berater von Bundeskanzlerin Angela Merkel.

Empathie, Verständnis, Integration: Weibliche Führungsqualitäten gelten als Schlüsselqualifikation für modernes Management. Wieso die Führung der Zukunft weiblicher werden muss, erklärt Unternehmensberater Erich Vad im Interview.

In Ihrem neuen Buch „New Female Leadership” sprechen Sie darüber, warum Frauen für Führungsaufgaben besonders geeignet sind. Wieso führen Frauen trotzdem so selten?

Erich Vad: Zu diesem Thema gibt es viel Literatur und wissenschaftliche Analysen, die das Thema in Gänze beleuchten. Das Buch, das Sandra Cegla und ich geschrieben haben, basiert dabei auf unseren persönlichen Erfahrungen  – ihre Erfahrungen als Führungsposition bei der Kirminalpolizei in Berlin und bei der Frauenberatung, meine Erfahrungen als Berater von Angela Merkel.

Und welche Erfahrungen mit Blick auf die Führung haben Sie gemacht?

Vad: Warum Frauen auch jetzt noch selten in Führungspositionen zu finden sind, liegt unter anderem an alten anerzogenen gesellschaftlichen Normen. Das sieht man auch an Sandras Geschichte vom braven Mädchen. Im Buch sprechen wir dabei viel über obsolete männlich geprägte Vorstellungen über Leadership und Führung. Auf dem Weg zur Macht haben Männer meines Erachtens schon Vorteile aufgrund ihrer Ellbogen-Mentalität, ihrer Durchsetzungsfähigkeit und einer gewissen Rücksichtslosigkeit bei ihrem Vorgehen.

Und in Führungspositionen selbst?

Vad: In Führungspositionen selbst sind dann eher weibliche Fähigkeiten gefragt, wie die Integration verschiedener Meinungen, das Verstehen des anderen, das Zusammenbringen von Positionen und Menschen. Diese integrativen Fähigkeiten sind bei Frauen häufig gut ausgeprägt. Das heißt aber natürlich nicht, dass das nicht auch für Männer gilt. Auch diese können integrativ sein und Empathie zeigen. Am Ende geht es darum, eher männerzugesprochene Attribute mit frauenzugesprochenen Attributen zu verbinden.

Sie waren jahrelang Berater der einstigen Bundeskanzlerin. Was haben Sie von ihr gelernt?

Vad: Von Angela Merkel habe ich gelernt, dass es wichtig ist bei allen Entscheidungen vom Ende her zu denken und zu versuchen bei der Entscheidungsfindung alle relevanten Faktoren zu berücksichtigen, vor allem Einzelfaktoren nicht absolut zu setzen. Und dann diese Empathie, das heißt nicht für alles Verständnis zu haben, sondern bei Konfliktlösungen sich in andere hineinzuversetzen, weil man nur so zu optimalen Lösungen kommen kann.

Gab es eine Führungsqualität, die Sie an Angela Merkel besonders fasziniert hat?

Vad: Was mir besonders gefallen hat, dass Angela Merkel Menschen unabhängig von ihrem gesellschaftlichen Status, von ihrem Rang, ihrer Position, ihrem Geschlecht, immer gleichbehandelt hat und hier keine Unterschiede macht. Ich denke, es ist sehr wichtig vor anderen Menschen Respekt zu haben, selbst wenn man anderer Meinung ist. Und das trifft sowohl auf Politik als auch auf die Wirtschaft zu.

Können Sie das im Bezug auf die Wirtschaft noch einmal konkretisieren?

Vad: In meinen Jahren als Unternehmensberater habe ich die Erfahrung gemacht, wie wichtig es ist, dass sich Mitarbeiter mit dem Unternehmen identifizieren können. Und gerade dafür ist es aus meiner Sicht wichtig, dass man als Führungsposition Input, beispielsweise aus der jungen Generation mit Blick auf die Digitalisierung, auch annimmt und Gegenrede zulässt. Es ist für Unternehmen wichtig, beweglich zu bleiben, nicht beratungsresistent zu sein und auch Rat von außen anzunehmen, denn wenn man in der Firmenwelt drinsteckt, kann man manche Dinge häufig nicht objektiv wahrnehmen.

Können Sie noch einmal ausführen, wieso die Identifikation mit dem Unternehmen so wichtig ist?

Vad: Ein Unternehmen kann die tollste Philosophie oder das tollste Image haben, wenn man das als Chef jedoch nicht verkörpert, dann ist das unglaubwürdig. Man muss eine Einheit sein und merken, dass die Mitarbeiter auch dahinterstehen. Ich sag es einmal so: Beim letzten Rad im Getriebe, beim Fahrer, bei dem Koch, bei dem der an der Rezeption sitzt, der muss diese Firmenkultur zeigen. Das sind auch Dinge, die ich bei der Beratung von Angela Merkel gespürt habe, weil sie andere Menschen so wahrnahm und akzeptiert hat und dabei keinen Unterschied in ihrer Wahrnehmung gemacht hat, ob das der amerikanische Präsident oder eben ihr Fahrer war.  

Gibt es weitere Beispiele, die Angela Merkels Führungsqualitäten hervorheben?

Vad: Sie ist beispielsweise für ihre Flüchtlingspolitik stark kritisiert worden. Man sieht das in Frankreich, wie man da aufpassen muss, damit die Integration vernünftig läuft. Aber sie hat damals zu dem Zeitpunkt X als Hunderttausende mit Rückstau vor unseren Grenzen standen aus meiner Sicht die richtige Entscheidung getroffen, sie aufzunehmen, da es zu dem Zeitpunkt meines Erachtens auch keine Alternative gab. Und sie hat dann später Kontrollmechanismen eingeführt. Das war machtpolitisch sehr geschickt. Jetzt müssen wir wirklich aufpassen, dass Neuankömmlinge möglichst schnell und gut integriert werden, damit wir solche Zustände wie in Frankreich niemals kriegen.

Gab es während ihrer Beratertätigkeit auch Situationen, in denen Sie an Ihre Grenzen kamen?

Vad: Ich bin in dem Amt sicherlich oft an persönliche Grenzen gestoßen. Politik ist stellenweit ein hartes Geschäft, wo unterschiedliche Interessen aufeinanderprallen. Und gerade als Berater des Kanzlers steht man zwischen den Stühlen. Hier gab es natürlich viele Konflikte, die man einfach aushalten musste. Das waren zuweilen grenzwertige Erfahrungen persönlicher Art für mich, die ich hier erlebt habe. An meiner Abschiedsveranstaltung hat Frau Merkel beispielsweise gesagt, Herr Vad es war eine gute Zeit, wir waren aber nicht immer einer Meinung. Das hat sie auch zugelassen und das fand ich eben auch gut, dass man Gegenrede auch zulässt, damit man optimale Entscheidungen findet. Dazu kann auch jedes Unternehmen nur ermutigen, das auch zuzulassen, sonst kommt man als Unternehmen nicht in eine gute Entwicklung oder bleibt in einer guten Entwicklung.

Noch einmal zurück zu dem Thema männlich dominierte Machtpositionen. Denken Sie, dass hier in Zukunft ein Umdenken stattfinden muss?

Vad: Die Frage impliziert schon ganz richtig, dass wir umdenken und weiterdenken müssen. In dem Buch habe ich dieses Beispiel des Dinners bei der Sicherheitskonferenz in München aufgeführt, wo nur Männer am runden Tisch saßen, das geht natürlich perspektivisch nicht. Das braucht aber natürlich auch Zeit und bringt natürlich nichts, wenn bei der nächsten Sicherheitskonferenz dann nur Frauen sitzen. Es ist aber ein Hinweis, dass man etwas machen muss und Frauen auch ermutigen muss, in Führungspositionen zu gehen.

Wie kann diese Ermutigung aussehen?

Vad: In großen Betrieben ist es bereits so, dass auch Frauen in Machtpositionen schon präsenter sind und auch gefördert werden. Ich denke, dass es aber wichtig ist, dass gerade diese Frauen sich dann auch mit Frauen, die beispielsweise noch im Berufseinstieg sind, verbinden und diese fördern. Das ist eine Kultur, wie sie bei Männern bereits über Jahre stattfindet. Meines Erachtens ist bei Frauen in Führungspositionen hier noch zu stark der Gedanke im Kopf, dass andere Frauen sich auch nach oben durchschlagen müssen, so wie man selbst. Hier sehe ich einen Änderungsbedarf, um sich auch unter Frauen stärker zu unterstützen.

Ich würde gerne noch einmal auf ihre Aussage eingehen, dass es am Ende darum geht, männerzugesprochene Attribute mit frauenzugesprochenen Attributen zu verbinden …

Vad: Ich denke, dass ist für beide Seiten unumgänglich. Durchsetzungsvermögen und Empathie schließen sich meiner Ansicht nach nicht aus, ebenso wenig wie Stärke zeigen und gleichzeitig auf Dialog zu setzen. Ich sage immer gerne, starke Männer haben kein dickes Fell, sondern einen weichen Kern, und das macht sie auch zu starken Führungspersonen. Ebenso wie starke Frauen ein gewisses Durchsetzungsvermögen benötigen, um sich beispielsweise in einem stark männlich geprägten Umfeld auch behaupten zu können. Wichtig ist aber, dass Frauen nicht einfach männliche Attitüden kopieren, sondern zu ihrer Weiblichkeit und ihrem Frauenstatus auch steht und in der Führung auch sichtbar macht. Das hat die Bundeskanzlerin beispielsweise auch nie gemacht und in Handlungssituationen entsprechend ihrer Einstellung entschieden.

Interview: Teresa Zwirner

Zur Person

Erich Vad ist Brigadegeneral a. D. der Bundeswehr, Unternehmensberater und Publizist.