Experte rät Arbeitnehmern zu Forderungen mit Augenmaß

Die Forderungen von Arbeitnehmern nach geringerer Wochenarbeitszeit, höheren Gehältern und besserer Work-Life-Balance werden lauter. Lässt sich das mit Blick auf eine schwächelnde Wirtschaft, Fachkräftemangel und den demografischen Wandel umsetzen, ohne Deutschlands Wohlstand zu gefährden? Wir haben bei Professor Peter Seppelfricke nachgefragt.

Leere Schreibtische: Eine drastische Verkürzung der Arbeitszeit – etwa durch die Einführung einer Vier-Tage-Woche – könnte die Existenz vieler Unternehmen gefährden. Foto: Adobe Stock/Victor zastol‘skiy

Viele deutsche Unternehmen schätzen den derzeitigen Fachkräftemangel als eines der größten Geschäftsrisiken ein. Das zeigt eine Statista-Umfrage aus dem Herbst 2023. Hinzu kommt, dass sich die Zahl der Erwerbstätigen in den nächsten Jahren, wenn die Generation der Babyboomer in den Ruhestand geht, erheblich verringern wird. Nach Angaben des Statistischen Bundesamtes werden, gerechnet ab 2021, bis 2036 etwa 12,9 Millionen Erwerbstätige das Renteneintrittsalter überschritten haben. Dies entspricht knapp 30 Prozent der Erwerbstätigen auf dem Arbeitsmarkt.

Die hohe Nachfrage nach Arbeitskräften ermöglicht es Bewerbern und Beschäftigten, Unternehmen ge- genüber höhere Forderungen zu stellen – etwa nach höheren Gehältern, geringeren Arbeitszeiten oder flexibleren Arbeitszeitmodellen.

Aber lässt sich das bei den derzeitigen Schwierigkeiten, mit den die deutsche Wirtschaft und damit auch viele ihrer Unternehmen konfrontiert sind, vereinen? Neben dem Fachkräftemangel machen vielen Unternehmen die hohen Rohstoff- und Energiepreise, die Auswirkungen des Krieges in der Ukraine, der Konflikt im Nahen Osten sowie die wirtschaftspolitischen Rahmenbedingungen zu schaffen. Hinzu kommen Forderungen an die Wirtschaft, nachhaltiger zu agieren.

„Ja, das lässt sich teilweise vereinen“, sagt Peter Seppelfricke. Seit 2001 ist der Ökonom Professor an der Fakultät für Wirtschafts- und Sozialwissenschaften an der Hochschule Osnabrück.

„Basis für den wirtschaftlichen Erfolg von Unternehmen sind zufriedene und produktive Mitarbeiter. Flexible Arbeitszeitmodelle und attraktive Arbeitsumgebungen sind heute wichtige Voraussetzungen, um genügend motivierte Mitarbeiter zu finden.“ Seppelfricke sieht aber auch Grenzen: „Teure Mitarbeiter können den wirtschaftlichen Erfolg jedoch gefährden. Deutliche Arbeitszeitverkürzungen verteuern den Faktor Arbeit – da gibt es sicherlich einen Zielkonflikt zwischen Arbeitgebern und Arbeitnehmern.“

Problematisch, insbesondere in Bezug auf Lohnerhöhungen und eine Absenkung der Arbeitszeit, können solche Forderungen für Unternehmen mit Blick auf den internationalen Wettbewerb werden: „Die meisten Unternehmen befinden sich in einem scharfen internationalen Wettbewerb. Lohnerhöhungen und Kürzungen der Arbeitszeit sollten deshalb im Rahmen der internationalen Wettbewerber liegen. Ansonsten sägen die Arbeitnehmer kräftig an dem Ast, auf dem man auskömmlich sitzt“, warnt Peter Seppelfricke.

Wochenarbeitszeit in Deutschland unter EU-Niveau

Wie ein EU-Vergleich des Statistischen Bundesamtes zeigt, lag Deutschland 2022 mit einer durchschnittlichen Wochenarbeitszeit von 34,7 Stunden und Platz 25 unter dem Durchschnitt der Europäischen Union mit 37 Stunden. Berücksichtigt wurden hierbei sowohl Voll- als auch Teilzeit. Einzeln betrachtet arbeiteten Vollerwerbstätige in Deutschland 2022 insgesamt 40,4 Stunden pro Woche und Teilzeiterwerbstätige 20,8 Stunden.

Diskussion um die Vier-Tage-Woche

An Fahrt aufgenommen hat außerdem die Diskussion über die Einführung einer Vier-Tage-Woche. Das Argument der Befürworter: Eine höhere Motivation und Produktivität der Beschäftigten. Auch ließen sich damit Menschen in Arbeit bringen, die sonst nicht bereit seien, fünf Tage zu arbeiten. Auf diese Weise ließe sich der Fachkräftemangel verringern. Peter Seppelfricke sieht diese Argumente kritisch und warnt: „Die betriebliche Arbeitsproduktivität (Wertschöpfung je Mitarbeiter) wird bei einer drastischen Verringerung der Arbeitszeit kaum steigen. Der technische Fortschritt und eine höhere Zufriedenheit der Mitarbeiter werden das nicht kompensieren können. Die breite Umsetzung einer Vier-Tage-Woche würde deshalb das Wirtschaftswachstum in Deutschland deutlich dämpfen.“

Mit überzogenen Forderungen, in Kombination mit den derzeitigen und zu erwartenden wirtschaftlichen Unwägbarkeiten und Herausforderungen, riskierten die Beschäftigten sogar den Wohlstand Deutschlands. Seppelfricke plädiert daher dafür, dass „Forderung mit Augenmaß vorgetragen werden sollten und man immer die Arbeitsbedingungen beziehungsweise die Arbeitsproduktivität bei den (internationalen) Wettbewerbern vor Augen haben muss.“

Dass Unternehmen ihren Beschäftigten zum Teil werden entgegenkommen müssen, hält Seppelfricke für zwangsläufig. „Die Generation der Baby-Boomer geht in den kommenden Jahren in Rente beziehungsweise Pension und es kommen viel zu wenige Arbeitskräfte nach. Mit dieser Verhandlungsmacht können die Arbeitnehmer viele Zugeständnisse der Arbeitgeber einfordern. Und solange ihre Existenz nicht gefährdet ist, werden die Unternehmen den Forderungen nachgeben müssen.“

Kompromisse werden sowohl Arbeitnehmer als auch Arbeitgeber eingehen müssen

Langfristig werde es auf einen Konsens hinauslaufen, wobei beide Seiten bei ihren Forderungen Kompromisse würden eingehen müssen. Dabei müssten attraktivere Arbeitsbedingungen nicht zulasten der Produktivität gehen, erklärt Seppelfricke. „Home Offices, Co-Working-Spaces, digitales Nomadentum in Verbindung mit flexiblen Arbeitszeiten werden viele Arbeitgeber deshalb unterstützen. Einer drastischen Verkürzung der Arbeitszeit (Vier-Tage-Woche) sehen sie jedoch mit Bauchschmerzen entgegen. Die Umsetzung würde die Existenz vieler Unternehmen gefährden.“

Birgit Kalbacher