Ganz schön gesund

Steckt in einer (vermeintlich) schönen Schale auch ein gesunder Kern? Fühlen sich Menschen, die attraktiv sind, besser und fitter? Der psychologische Psychotherapeut Alessandro Cavicchioli gibt im Interview Antworten auf diese und andere Fragen.

Herr Cavicchioli, hängen Aussehen und körperliches Wohlbefinden durch die Psyche miteinander zusammen?

Cavicchioli: Nur die Bewertung des Aussehens macht das Wohlbefinden aus. Wenn ich mein Aussehen nicht mag beziehungsweise ablehne, dann werde ich mich unwohl fühlen und das spüre ich dann auch körperlich.

Kann sich physisches und psychisches Unwohlsein im Erscheinungsbild niederschlagen beziehungsweise das Erscheinungsbild sich auf die körperliche und geistige Gesundheit auswirken?

Cavicchioli: Wenn ich mich psychisch unwohl fühle, könnte ich mich zurückziehen und mich sogar körperlich vernachlässigen. Auch negative Gefühle zeigen sich durch die Mimik, weshalb ich womöglich unsympathisch wirke. Die Ablehnung könnte ich dann womöglich spüren und mich noch mehr zurückziehen oder noch negativere Gefühle entwickeln. Der Teufelskreis zieht mich dann immer mehr in die Tiefe.

Was kann man im Alltag dagegen tun?

Cavicchioli: Das Aussehen relativieren. Und sich klarmachen: „Jeder hat mal schlechte Laune.“ Darüber zu reden, kann in Maßen hilfreich sein. Sich von der schlechten Stimmung abzulenken, kann natürlich auch helfen.

Je besser ich aussehe, desto wohler fühle ich mich und desto gesünder bin ich. Stimmt das so? Oder ist es genau andersherum?

Cavicchioli: Weder noch. Das hängt ganz stark vom Einzelfall ab. Es gibt durchaus Frauen, die äußerlich als sehr attraktiv wahrgenommen werden und deswegen von Männern gerne umgarnt werden. Das kann dazu führen, dass das Aussehen zu einem „Fluch“ wird. Anders sieht es aus, wenn ich mir dessen bewusst bin und besonders darauf achte, dass weitere Eigenschaften auch eine wichtige Rolle spielen. Auch kann nicht so ohne Weiteres davon ausgegangen werden, dass jeder den gleichen Geschmack hat. Größe, Gewicht und Haarfarbe können je nach Kultur beziehungsweise Subkultur völlig unterschiedlich bewertet werden.

Warum ist Aussehen nicht alles?

Cavicchioli: Weil sich unser Aussehen mit der Zeit ändert. Weil wir unsere Zeit nicht (nur) mit dem Betrachten scheinbar gutaussehender Menschen verbringen wollen. Weil Charakter, Erfahrungen, Meinungen und Interessen Menschen viel interessanter machen. Weil uns die ehemals beliebte Bundeskanzlerin dies täglich vor Augen führte. Weil einige Menschen, die gesellschaftlich betrachtet überdurchschnittlich „schön“ waren, so unglücklich wurden, dass sie ihrem Leben ein Ende gesetzt haben. Weil man sich überlegen sollte, ob man wirklich mit einem Partner zusammen sein möchte, der nur die körperliche „Attraktivität“ wertschätzt. Da sollte man sich unbedingt die Frage stellen: Was passiert mit uns, wenn ich alt oder krank werde?

Interview: Olga Lechmann