„Gas gegeben“

2027 ist Gigabitgeschwindigkeit in der Region keine Zukunftsmusik mehr. Foto: Adobe Stock/Gundolf Renze

In sechs Jahren sollen 100 Prozent der Unternehmen in Heilbronn-Franken mit Gigabit-Geschwindigkeit im Internet unterwegs sein. Der Geschäftsführer der Wirtschaftsregion Heilbronn-Franken (WHF), Andreas Schumm, erklärt im Interview, wie ein Zusammenschluss der WHF-Gesellschafter unter dem Namen Gigabit-Region dieses ehrgeizige Ziel erreichen will – ohne andere Projekte zu kopieren.

Herr Schumm, bereits vor anderthalb Jahren hat die IHK eine Resolution zur Bildung einer Gigabit-Allianz für die Region verabschiedet. Welche Schritte sind seither unternommen worden?

Schumm: Die WHF-Gesellschafter haben damals den Impuls der IHK aufgenommen, da auf der kommunalen Ebene bereits zu diesem Zeitpunkt zahlreiche Aktivitäten zum Breitbandausbau stattgefunden haben. Deshalb sind wir auch umgehend in die Gespräche gegangen, um die Ziele des weiteren Vorgehens gemeinsam abzustimmen. Die IHK und die WHF-Gesellschafter – also die vier Landkreise, die Stadt Heilbronn, die Handwerkskammer und der Regionalverband – sind dann zu dem Schluss gekommen, Anfang Juni 2020 ein freiwilliges EU-weites Markterkundungsverfahren öffentlich auszuschreiben auf das u.a.  rund 50 Unternehmen direkt hingewiesen wurden.  Die Ausschreibung lief bis zum 17. August 2020. Ergebnis der Ausschreibung waren sieben Kooperationsangebote und nun sind wir mittendrin im Interessensbekundungsverfahren mit drei Telekommunikationsanbietern.

Um welche Anbieter handelt es sich?

Schumm: Dazu kann ich zum jetzigen Zeitpunkt keine Auskunft geben, da die Verhandlungen noch laufen und keinesfalls Wettbewerbsvorteile entstehen dürfen. Ich kann nur sagen, dass wir die Gespräche Ende Januar abschließen möchten – und das ist dann ein Meilenstein für uns. Bis zum Sommer 2021 soll dann auf der Basis einer vereinbarten Interessenbekundung der Kooperationsrahmenvertrag abgeschlossen werden.

Welche Ziele hat die Gigabit-Region ausformuliert?

Schumm: Entsprechend der Zielformulierung im Markterkundungsverfahren  wollen wir erreichen, dass bis zum Jahr 2027 100 Prozent der Unternehmen – also aller Unternehmen, nicht nur der in Gewerbegebieten – Zugang zum Höchstgeschwindigkeitsinternet im Gigabit-Bereich auf Glasfaserbasis erhalten. Ebenfalls bis 2027 sollen 60 Prozent der Haushalte versorgt sein, 2032 sogar 95 Prozent. Ergänzend ist bis 2035 ein flächendeckendes 5G-Mobilfunknetz geplant. Voraussetzung für die Zielerreichung ist ein Startschuss in 2021. Allerdings müssen auch die Einwohner beziehungsweise die Unternehmen mitziehen, denn Kundenpotenziale sind essenziell für die Telekommunikationsunternehmen, die ja einen hohen eigenwirtschaftlichen Anteil für den Ausbau leisten. Nach unserer gegenwärtigen Einschätzung  sind die genannten Ziele aus technischer Sicht erreichbar. Doch bei der Zielerreichung spielen verschiedene Faktoren eine Rolle wie z.B. die Bauverfahren, der Genehmigungsprozess und vor allem auch die Zahlungsbereitschaft der Kunden.

Was soll dabei die Aufgabe der WHF bzw. der Gigabitregion und ihrer Partner sein?

Schumm: Über die Organisationsform einer möglichen Gigabitregion Heilbronn-Franken ist noch nicht abschließend entschieden. Zentral wird aber sein, dass sie eine koordinierende Funktion übernehmen wird, denn klar ist, dass die Region insgesamt für den eigenwirtschaftlichen Ausbau nur dann für die Anbieter interessant ist, wenn wir gemeinsam nach außen auftreten, und die mehr als 80 000 Unternehmen und über 400 000 Haushalte bündeln. Dazu braucht es einheitliche Maßstäbe und Qualitätsstandards sowie ein abgestimmtes Vorgehen um die kritische Masse zu erreichen.

Aus welchen Gründen schneidet Heilbronn-Franken eigentlich im Bezug auf Breitband- und Mobilfunkausbau schlechter ab als beispielsweise die Region Stuttgart?

Schumm: Das muss aus meiner Sicht differenziert betrachtet werden, da hier viele Rahmenbedingungen eine Rolle spielen. Ballungsräume wie die Region Stuttgart sind für den eigenwirtschaftlichen Ausbau durch Telekommunikationsunternehmen zunächst aufgrund des Kundenpotenzials einfach interessanter als ländliche Gebiete. Deshalb liegt der Fokus der bisherigen Aktivitäten beim Breitbandausbau der Kommunen in Heilbronn-Franken auf geförderten Maßnahmen von Land und Bund und hier aktuell bei der Erschließung von Gewerbegebieten und Schulen. Bei der Generierung von Fördermitteln sind die einzelnen Teilräume durchaus sehr erfolgreich, jedoch gilt es dann auch die Förderbeschränkungen zu betrachten. Hier ist konkret darauf hinzuweisen, dass aufgrund einer EU-Vorgabe nur dort gefördert ausgebaut werden darf, wo die sogenannte Aufgreifschwelle, d.h. die Übertragungsgeschwindigkeit von 30 MBit/s im Download bisher nicht möglich ist. Da kann man als Kommune leider nicht eingreifen.

Wie soll die Gigabit-Region Heilbronn-Franken letztendlich organisatorisch aufgestellt sein? Unter welcher Rechtsform wird sie agieren?

Schumm: Ende Januar wird darüber beraten und über das weitere Vorgehen entschieden. Möglicherweise wird eine GmbH entstehen, aber hier gilt es abzuwägen, was für die Zielerreichung die passende Governance-Struktur ist.

Es gibt Regionen in Deutschland, die bereits seit einigen Jahren Erfolg mit ihren individuellen Projekten zum Glasfaserausbau haben. Nehmen Sie sich ein Beispiel an diesen?

Schumm: Selbstverständlich werfen wir auch bei diesem Thema einen Blick auf andere Regionen – wie auch bei anderen Aktivitäten und Maßnahmen. Doch das, was die anderen in die Tat umsetzen, ist nicht eins zu eins als Blaupause auf Heilbronn-Franken übertragbar. Wir brauchen ein bedarfsorientiertes Modell, das auf die Region zugeschnitten ist.

Wie hoch sind die Investitionen, die bisher für die Gigabit-Region in die Hand genommen worden sind?

Schumm: Die Partner der Gigabit-Region haben bis dato etwas mehr als 100 000 Euro in die bisherigen Verfahrensschritte investiert – vor allem in Beraterleistungen. Welche Höhe die Summe letztendlich erreicht, hängt davon ab, was Ende Januar zum weiteren Vorgehen entschieden wird.

Hat die Corona-Krise Ihre Maßnahmen beziehungsweise Ihren Zeitplan eigentlich beeinflusst?

Schumm: Im März 2020 waren wir tatsächlich erst mal kurz in einer Schockstarre. Trotzdem haben wir nicht locker gelassen, bei unseren Verfahrensschritten Gas zu geben. Bei einer EU-weiten Ausschreibung müssen aber auch Fristen eingehalten werden. Möglicherweise wären wir – ohne den Ausbruch der Pandemie – vier bis sechs Wochen weiter.

Zu guter Letzt: Der Breitbandausbau ist untrennbar mit dem Ausbau des 5G-Mobilfunkstandards verbunden. Welchen Stellenwert hat die fünfte Generation, die ja nicht unumstritten ist, für die Gigabit-Region?

Schumm: 5G ist eher ein flankierendes Thema im Zusammenhang mit unserem Vorhaben und keine prioritäre Zielsetzung. Dennoch spielt der Mobilfunkausbau natürlich eine Rolle. Dabei muss man einerseits im Blick haben für welche Anwendungsfälle 5G tatsächlich erforderlich ist und andererseits muss man auch die Wirkungen von 5G in den Abwägungsprozess einfließen lassen.

Interview: Olga Lechmann