Ute und Rudolf Siebert wohnen am Rande des Schwäbisch Haller Industriegebiets „Kerz“. Sieben Einfamilienhäuser stehen dort wie auf einer Insel. Schöne Gärten lenken den Blick auf Blumen, Pflanzen und Bäume statt auf die grauen Hallen des dort angesiedelten Gewerbes. Die Sieberts leben gerne an diesem Ort.
Vor 30 Jahren hat Rudolf Siebert das Haus im Heidweg gekauft. Der Name Heidweg machte damals noch Sinn, denn fast ans Haus heran reichte die Natur. Die nahen Äcker wurden von Bauern bewirtschaftet, deren Traktorengeräusche zu hören waren. Die sind heute immer noch da – aber es sind weitere Geräusche hinzugekommen. Nicht von der Saftfabrik, die gleich neben dem Haus der Sieberts steht. Sondern von der Straße und von der Feuerwache sowie vom kürzlich errichteten Rot-Kreuz-Stützpunkt. Auto- und Lkw-Geräusche sowie Sirenen stören hin und wieder die friedvolle Atmosphäre im und um das Häuschen. Aber er sei daran gewöhnt, meint Siebert, und ganz ohne Geräusche sei es doch irgendwie befremdlich. Immerhin: Vogelgezwitscher fehlt auch nicht.
Die Idylle an dieser Stelle ist eine echte Überraschung und würde niemand erwarten. Ein kleiner Stichweg geht vom Heidweg ab, gesäumt von drei Häusern, eingebettet in verwunschene Gärten und bewachsene Einfahrten. Einmal drin, scheint das Außen weit weg zu sein. Nur die graue Wand der Saftfabrik ist sichtbar. Aber daran gewöhne man sich und der Gemüsegarten, den Ute Siebert am Rande, einige Meter vor der grauen Wand, angelegt hat, profitiert von der abstrahlenden Wärme.
Nachbarschaftsgefühl bleibt aus
Zum Einkaufen nutzen die Sieberts das Industriegebiet. Die Möglichkeiten haben sich in den letzten Jahren erweitert. Natürlich bleibt beim Wohnen im beziehungsweise am Industriegebiet das Nachbarschaftsgefühl aus. Beim Bäcker kennt man sich nicht, denn dort gehen viele und immer neue Kunden ein und aus. Auch der Supermarkt ist riesig und hat keine Stadtviertelatmosphäre. „Das ist hier kein Dorf“, bestätigt Rudolf Siebert.
Früher war das schon eher der Fall. Da waren zwar bereits der Werkhof und der Stadtbus in unmittelbarer Nähe, aber man konnte noch zu Fuß bis Raibach gehen.
Als die drei Kinder noch jünger waren, konnten sie in der Natur, am Acker hinter dem Haus, spielen. Es gab in der Gegend keinen Spielplatz, dafür diente der nahe Heidsee. Der liegt jetzt etwas verwahrlost in der Nähe des Gefängnisses und ist kein Ausflugsziel mehr. Wollen die Sieberts heute aus dem Haus ins Grüne, dann müssen sie über die Brücke die Gaildorfer Straße überqueren, Richtung Sonnenhof und dann gen Panoramaweg am Schulzentrum West.
Die Nachbarn kennen sich, einst hatte man gemeinsame Projekte, als es darum ging, die Straße zu verlegen und eine Lärmschutzwand zu bauen. Die reduziert zumindest ein wenig den Straßenlärm aus Richtung Daimlerstraße und sorgt für eine gefühlte Sicherheit.
Rudolf Siebert ist Werklehrer und technischer Geschäftsführer an der Schwäbisch Haller Waldorfschule. Vieles in und an seinem Haus hat er selbst gebaut. Dazu gehören etwa ein Holzhäuschen im Garten, ein hoher, von Pflanzen umwachsener Lattenzaun sowie Spaliere. Es ist ein kleines Paradies, das sich die Sieberts geschaffen haben. „Urlaub? Wegfahren? Das brauchen wir doch nicht“, freut sich der Pädagoge. Nur mehr Zeit wünscht er sich, um öfter in Ruhe auf dem Liegestuhl die Seele baumeln zu lassen. Denn dann bekommt er von der hektischen und arbeitsamen Industriewelt um ihn herum nichts mit.
Sonja Alexa Schmitz