Mit Tabu gebrochen

Hin und wieder ist es gut, über den eigenen Tellerrand hinauszublicken. Das haben wir uns auch gedacht. Deshalb stellen wir hier ein Unternehmen vor, dass Familienfreundlichkeit auf seine ganz eigene, besondere Weise interpretiert: die Firma ExTox aus Unna.

Vertrauensarbeitszeit, kostenloses Mittagessen, Gratis-Kinderbetreuung, Wohlfühlmanagerin, Extra-Feiertag und Pflegebegleiter. Was haben all diese Begriffe miteinander zu tun? Wie passen sie zusammen? Ihre Gemeinsamkeit ist ein bestimmtes Unternehmen – und das heißt nicht etwa Google oder Amazon. Es firmiert unter der Bezeichnung ExTox Gasmess-Systeme GmbH und sitzt im nordrhein-westfälischen Unna. Seit 2004 am Markt vertreibt ExTox – wie der Name schon verrät – Gasmess-Systeme im Bereich Industrie.

Der 80-Mann-Betrieb ist weltweit, allerdings hauptsächlich im deutschen Raum, tätig. Gegründet wurde die Firma von Ludger Osterkamp und drei weiteren Gesellschaftern, die alle jeweils 25 Prozent Anteil daran haben. Osterkamp ist auch derjenige, der ExTox leitet. „Einer muss ja der Chef sein – und das bin dummerweise ich“, scherzt er am Telefon, dessen Lautsprecherfunktion er betätigt hat, weil mit ihm sein langjähriger Mitarbeiter Olaf Kayser im Zimmer ist. Warum, dazu später mehr. „Unser oberstes Ziel ist nicht Profit, sondern sich selbst und seine Familie zu ernähren. Der Profit ist dabei Mittel zum Zweck“, erklärt Osterkamp die Firmenphilosophie. Familienfreundlichkeit wird bei ExTox nicht nur großgeschrieben, sondern in leuchtend grellen Lettern. Darunter fallen laut dem Geschäftsführer die drei Säulen Mitarbeiter, Kinder und Eltern.

Eigener Firmenfeiertag

Was das konkret im Einzelnen bedeutet? Die Beschäftigten können beispielsweise jeden Tag kostenlos in der Firma zu Mittag essen, auch für Getränke und Obst müssen sie nichts bezahlen. Und wenn sie mal Lust auf einen Joghurt haben, sorgt Wohlfühlmanagerin Inga Carstensen dafür, dass sie einen bekommen. „Die Zeiterfassung haben wir abgeschafft und setzen stattdessen auf Vertrauensarbeitszeit“, berichtet der 62-Jährige. Außerdem wird jeder, der mindestens ein Jahr bei ExTox arbeitet, am Gewinn beteiligt. Um zwischendurch mal einen klaren Kopf zu bekommen, gibt es die Möglichkeit, Tischtennis, Kicker oder Billard zu spielen. Und – wahrscheinlich deutschlandweit einzigartig – das Unternehmen hat einen eigenen Feiertag, den 21. März, eingeführt. Doch das ist wohl eine separate Geschichte wert.

Weiß ein Angestellter mal nicht, wohin mit seinem Kind, kann er es ohne Probleme mit zur Arbeit bringen. Bei ExTox steht dafür ein gesonderter Raum mit speziellen Kindermöbeln zur Verfügung. „Die Spielsachen bringen die Eltern jeweils selbst mit.“ Wer einen Betreuungsplatz für den Nachwuchs in einer Kita oder im Kindergarten hat, muss für diesen nicht selbst aufkommen. „Wir übernehmen die Kosten bis zum sechsten Lebensjahr“, schildert der zweifache Vater.

Pflegebegleiter

Ein Thema, das in der Geschäftswelt leider immer noch tabuisiert wird, ist die Pflege – und damit kommt die dritte Säule ins Spiel. Mit diesem Tabu hat ExTox gebrochen. Wie? Indem sich der Chef höchstpersönlich sowie Olaf Kayser, sein treuer Mitarbeiter in der Leitung, zu sogenannten Pflegebegleitern haben ausbilden lassen, weil es ihnen beiden wichtig war, dass die Belegschaft ungehemmt über dieses Thema sprechen kann. Dabei helfen sie schwerpunktmäßig bei bürokratischen Angelegenheiten wie dem Ausfüllen von Formularen. „Wir erklären die verschiedenen Pflegegrade und die Möglichkeiten der Pflege. Es geht nicht um pflegerische Tätigkeit“, so Osterkamp.

Kayser, der erstens von Haus aus examinierter Altenpfleger ist und zweitens selbst seine Mutter gepflegt hat, liegt es sehr am Herzen, offen mit diesem Aspekt umzugehen. Ihm hat es vor rund anderthalb Jahren viel bedeutet, dass seine Firma – und vor allem sein Chef – hinter ihm standen, als klar wurde, er müsse sich um seine Mutter kümmern. „Das hieß zunächst, dass ich meine Eltern zu mir holen musste, denn sie lebten weiter weg“, erzählt der 47-Jährige. Es musste vieles organisiert und geregelt werden, was bedeutete, dass Kayser eine Zeitlang nicht zur Arbeit kommen konnte. Bei Osterkamp stieß er jedoch stets auf Verständnis – selbst, wenn er mal nicht über seine Situation sprechen wollte. „Das musste ich akzeptieren – und das habe ich“, sagt der Elektroingenieur.

Vier Jahre ist es mittlerweile her, dass Osterkamp und Kayser ihre Pflegebegleiter-Ausbildung absolviert haben. Anfangs hätten sich nur einige wenige Mitarbeiter an sie gewandt und um Hilfe gebeten. Heute sieht das anders aus. „Der Bedarf ist im Moment groß“, verrät Osterkamp. Der Coesfelder hofft, dass auch andere Firmen auf diesen Zug aufspringen. Schließlich würden nicht nur die Angestellten davon profitieren, sondern auch der Betrieb selbst. „Das muss man natürlich zunächst erkennen.“

Olga Lechmann