Mitarbeitende sind die Marke

Drehen ein TikTok-Video für Ziehl-Abegg (v.l.): Rainer Grill, Sophie Grill und Rebecca Amlung. Foto: Ziehl-Abegg

Marken wirken nicht nur nach außen. Sie sorgen für Identifikation der Mitarbeitenden mit dem Unternehmen. Was läge also näher als mit ihrer Hilfe die Marke zu stärken? Einige Unternehmen in der Region nutzen dies bereits – nicht nur fürs Image, sondern auch zur Fachkräftewerbung.

Gut 94.000 Follower, 2,3 Millionen Likes – die TikTok-Seite des Elektromotoren- und Ventilatorenherstellers Ziehl-Abegg aus Künzelsau gilt mittlerweile als Musterbeispiel für moderne „Brand Experience“. Kein Wunder, dass das Unternehmen dafür nun zwei Preise gewonnen hat und ihr Ansatz als „Best Practice“ an Hochschulen wissenschaftlich diskutiert wird. Für Rainer Grill, Pressechef von Ziehl-Abegg und regelmäßig einer der Protagonisten der kurzen Videos, bestehen diese aber nicht aus plumper Unterhaltung oder Produktwerbung. „Unser Ziel ist es Fachkräfte auf uns aufmerksam zu machen. Das verlangt der Arbeitnehmermarkt, in dem wir uns befinden“, sagt Grill.

Seit 2020 produzieren er und sein Team unter der Regie von Rebecca Amlung fünfmal wöchentlich witzige Videos mit Kolleginnen und Kollegen aus dem Arbeitsalltag. Weil TikTok nach der Methode „der Content bestimmt die Reichweite“ arbeitet, erzielen sie oft eine gewaltige Reichweite und landen punktgenau beim Zielpublikum. Die Zahlen geben Grill Recht: Nach einem Bewerbungsvideo, das sich 1600 TikTok-User angesehen hatten, klickten 832 Menschen auf das Stellenangebot, das unter dem Video verlinkt war. Über die Hälfte der Bewerber auf diese Stelle meldeten sich aufgrund des TikTok-Videos. Immer wieder kommentieren Kunden oder Mitarbeitende die Postings. Dies zeige, so Grill, dass die Reichweite und das Zielpublikum stimmen.

Hauseigene Influencer

Das IT-Systemhaus Bechtle AG aus Neckarsulm unterstreicht mit einer „Vision 2030“ seine Marke – und mit Influencern aus dem eigenen Haus. „Produkt und Leistung, Marketing und Vertrieb, Kommunikation und Verhalten – wo immer man mit Bechtle in Berührung kommt, soll spürbar werden, dass wir für eine starke Zukunft mit IT stehen. Deshalb sind alle 13.000 Mitarbeitende aufgerufen, als Markenbotschafterinnen und -botschafter zu denken und zu handeln“, sagt Sabine Brand, Leiterin der Unternehmenskommunikation.

Ausführliche Einblicke in den Arbeitsalltag, die Karriere und persönlichen Entscheidungen einzelner Mitarbeiter, die Bechtle auf seiner Webseite veröffentlicht, zeichnen das Bild einer transparenten und verbindlichen Marke. „Eng verknüpft damit ist unsere Arbeitgebermarke die Richtschnur für die Kommunikation mit bestehenden und potenziellen Mitarbeitenden. Sie unterstützt uns dabei, unser einzigartiges Profil sowohl nach innen als auch nach außen zu schärfen – zum Beispiel über Kampagnen mit unseren Kolleginnen und Kollegen“, sagt Brand. „Um die vielfältigen Chancen in Social Media zu nutzen, unterstützen wir eine wachsende Zahl von Kolleginnen und Kollegen über Tools, Workshops und interne Communitys.“

Als Corporate Influencer teilen sie in den Netzwerken ihre Erfahrungen, bieten Einblicke in ihre Arbeit, knüpfen und pflegen Kundenbeziehungen oder neue Kooperationen – und repräsentieren so die Marke. Ein Beispiel: Melanie Schüle, Bereichsleiterin von Bechtle Clouds, arbeitet seit 18 Jahren für das Systemhaus und gilt als erfolgreiche Corporate Influencerin mit über 6000 Followern im Business-Netzwerk LinkedIn.

„Für uns ist es wichtig, dass unsere Mitarbeitenden immer wieder in den Videos auftauchen“, bestätigt auch Rainer Grill, „und zwar aus ganz unterschiedlichen Abteilungen des Unternehmens.“ Außerdem verbirgt sich hinter den Ziehl-Abegg-Videos keine Agentur, sondern das Unternehmen und die Mitarbeitenden selbst. Beides verstärke die Authentizität des Contents. „Wir gewinnen so ein gutes Image als dynamischer Arbeitgeber vor allem bei jungen Menschen“, erklärt der Pressesprecher des Ventilatorenspezialisten aus Hohenlohe.

Führungskräfte als Vorbilder und Vorreiter

Bei Audi werden vor allem die leitenden Manager in sozialen Medien zu Influencern: Hildegard Wortmann, Vorständin Vertrieb und Marketing, und Oliver Hoffmann, Vorstand des Geschäftsbereichs Technische Entwicklung, sind auf der Businessplattform LinkedIn aktiv, darüber hinaus beispielsweise Chef-Designer Marc Lichte oder Henrik Wenders, Leiter der Marke Audi. Aber es sollen mehr werden. „Mitarbeitende als Corporate Influencer sprechen mit intrinsischer Motivation und Engagement über persönliche Interessen und die Themen des Arbeitgebers. Aufgrund ihres Aufgabengebiets oder ihrer Position haben sie Themenexpertise und erreichen über ihr persönliches Netzwerk eine bestimmte oder breite Zielgruppe“, erklärt Audi-Pressesprecherin Sina Clemendt den Gedanken dahinter. „Ihre Beiträge sind authentisch, strahlen Emotionalität und Nähe aus. Als Multiplikatorinnen und Multiplikatoren können sie helfen, die Unternehmensbotschaften zu verbreiten, durch persönliche Perspektiven zu ergänzen und mit ihrem Netzwerk dazu in den Dialog treten.“ Die Stärken eines Corporate Influencer – Glaubwürdigkeit und Authentizität – seien aber nur dann gewährleistet, wenn das Unternehmen seinen Mitarbeitenden die notwendige Freiheit und Vertrauen dafür schenke. Audi verzichte dabei bewusst auf die Messung quantitativer KPIs wie Reichweite oder Klickraten, um keinen Druck aufzubauen. Stattdessen zählen Authentizität und Glaubwürdigkeit.

Rainer Grills Rat: Wer mit TikTok sein Employer Branding vorantreiben möchte, sollte alles selbst und vor allem regelmäßig mit viel kreativem Freiraum machen. „Der Freigabeprozess im Unternehmen selbst muss auf ein Minimum reduziert sein, um rasch auf Trends reagieren zu können.“ Entsprechend sollten auch auftretende Mitarbeitende die DNA der Firma genau kennen, um sie authentisch zu vermitteln. Die Videos den Azubis zu überlassen, reiche also nicht. Zudem dürfe kein Product Placement vorkommen, das schrecke Zuschauer sofort ab. Außerdem müsse in der Geschäftsleitung auch eines klar sein: „Humor kann nicht verordnet werden.“

Falk Enderle