Neue Heimat: Schule

Ein Leben im Internat können sich viele Schüler und Eltern nur schwer vorstellen. Doch manchmal geht es eben nicht anders. So ist es auch bei manchen Schülern der Lindenparkschule in Heilbronn. Sie leben von Montag bis Freitag da, wo sie auch zur Schule gehen. Was für sie zunächst eine Umstellung war, ist heute Alltag geworden. Wir haben die jungen Menschen einen Tag lang begleitet.

Im Klassenzimmer ist lediglich ein leises Murmeln zu hören. Die Schüler bereiten in Gruppenarbeit das Thema Landesregierung vor. Kurz vor 16 Uhr klingelt es. Die Schüler springen auf, packen Stifte, Bücher und Hefte in die Rucksäcke und verlassen den Raum. Unter ihnen ist Fabien, der nach einem kurzen Spaziergang über den Hof bereits zu Hause ist. Der 14-Jährige wohnt im Internat der Lindenparkschule in Heilbronn, ein staatliches sonderpädagogisches Bildungs- und Beratungszentrum mit den Förderschwerpunkten Hören und Sprache. „Ich bin seit zwei Jahren hier“, erzählt er, während er die Straßenschuhe auszieht und in seine Crocs schlüpft. Der Junge hat eine Grammatikschwäche. „Wenn ich ein Wort falsch spreche, schreibe ich es auch falsch“, erzählt Fabien. Ein Vorteil der Lindenparkschule sei, dass die Klassen viel kleiner sind und er gezielt gefördert wird. „Auf vielen öffentlichen Schulen kann keine Rücksicht auf Kinder mit Sprachbehinderungen genommen werden.“

Fabien lebt nicht zuletzt im Internat, da das tägliche Pendeln von seinem Heimatort Göppingen zu weit wäre. Jeden Freitagnachmittag fährt er zu seinen Eltern und seinem Bruder. Montagmorgen, zur zweiten Stunde, geht es für ihn und die anderen 49 internen Schüler zurück an die Schule.

Heimweh

Das Zimmer teilt er mit dem etwas jüngeren Donat. Sein Schreibtisch ist ordentlich aufgeräumt, das Bett mit VfB-Bettwäsche überzogen. „Am Anfang hat es mir hier nicht so gut gefallen“, räumt er ein. Ein bisschen Sehnsucht nach zu Hause hat er gehabt. „Heimweh ist vor allem ein Thema für Kinder, die neu ankommen“, weiß Siegfried Janke, Abteilungsleiter des Internats. Obwohl die Kinder Bettwäsche von der Schule bekommen können, legen die meisten eigene Überzüge auf, um dem Zimmer eine persönliche Note zu geben. Manchmal helfe es auch, wenn das Bett nach dem Weichspüler der Mutter rieche, um sich einzugewöhnen, sagt Janke.

Inzwischen fühlt sich Fabien nicht mehr einsam. Er hat in der Schule externe und Internats-Freunde gefunden. Am Wochenende trifft er sich mit seinen Freunden in Göppingen. Der 14-Jährige mag es, dass im Internat immer irgendjemand da ist, der einem bei den Hausaufgaben etwas erklären kann. „Die Schüler wohnen in familienähnlichen Strukturen zusammen“, erzählt Direktorin Christiane Stöppler. Jeweils zwei bis drei Erzieher sind für die einzelnen Gruppen da. Die Erzieher Michaela Silbermann, Sebastian Auen und Anerkennungspraktikantin Daniela Weimert kümmern sich um die Gruppe, in der Fabien mit fünf anderen Jungen wohnt.

Ein köstlicher Duft nach frischgebackenem Nusskuchen strömt aus der Küche. Schnell haben sich die Jungs im Ess- und Wohnzimmer am Tisch versammelt, um über den vergangenen Tag zu reden. Frühstück und Abendessen nehmen die Gruppen gemeinsam ein, lediglich das Mittagessen findet im Speisesaal der Schule statt. Wie in einer Familie üblich, übernehmen die Kinder und Jugendlichen Aufgaben wie den Müll fortzubringen. Wer Frühdienst hat, besorgt Brötchen fürs Frühstück um 7 Uhr, erzählt Fabien. Abends kochen die Kinder mit den Erziehern. Am liebsten mag Fabien Pizza.

In der Gruppe nebenan wohnt die 15-jährige Simone in einem Zweierzimmer mit zartvioletten Wänden, das sie aktuell alleine bewohnt. Die Realschülerin aus Bopfingen leidet unter Sprachverarbeitungsproblemen. Heimweh hat sie nicht. „Meine Mutter beschwert sich immer, dass ich sie zu selten anrufe“, sagt sie verschmitzt und beugt sich über ihr Mathematikheft. Im Wohnzimmer spielt die kleine Chiara, die eine Hörbehinderung hat, mit ihrer Zimmergenossin Lehrerin. Begeistert übt sie mit dem anderen Mädchen das Schreiben.

Abends verbringen die Jungs viel Zeit mit Gesellschaftsspielen wie Schach oder Mensch ärgere dich nicht. Der 14-jährige hörbehinderte Deniz, der seit seinem sechsten Lebensjahr im Internat wohnt, öffnet den Schrank und zeigt stolz die umfangreiche Spielesammlung. Auch Fernsehensteht bei ihnen manchmal auf dem Programm. „Die Tagesschau ist Pflicht“, sagt Fabien. Für die Jüngeren ist um 20.30 Uhr Schlafenszeit. „Um 20.45 muss das Licht ausgemacht werden“, sagt der 12-jährige Oliver. Fabien darf bis 21.45 Uhr aufbleiben. Bevor er in seinem Zimmer verschwindet, um Hausaufgaben zu machen, nimmt er das benutzte Geschirr vom Tisch und räumt es in die Spülmaschine ein. „Heute habe ich nämlich Küchendienst.“

Tanja Capuana

Info
Die Lindenparkschule ist ein staatliches sonderpädagogisches Bildungs- und Beratungszentrum mit Förderschwerpunkt Hören und Sprache in Heilbronn. Sie wurde 1966 gegründet, dafür wurden die Gehörlosenschulen in Bönnigheim und Schwäbisch Gmünd zusammengeführt. 285 Kinder besuchen die Schule, davon sind 50 Internatsschüler. Zum Beratungszentrum gehören auch die Beratungsstelle mit pädagogischer Audiologie, Frühförderung sowie der Schulkindergarten für Hörgeschädigte.