Unser Bargeld ist auf dem absteigenden Ast, die Kartenzahlung wird zunehmend beliebter. Immer mehr Ökonomen schlagen deshalb vor, Scheine und Münzen nach und nach abzuschaffen. Doch ist das überhaupt praktikabel? Wie weit kommt man in Einzelhandel, Gastronomie und Co. allein mit Plastikgeld? Wir haben den Selbstversuch gewagt.
Wer war noch nicht in der folgenden Situation? Man wartet in einem Café auf die Bedienung, weil man bezahlen möchte, oder steht an der Supermarktkasse – und merkt, dass man gar kein Bargeld im Portemonnaie hat. Ein Problem oder nicht? Kaum zu glauben, aber die Antwort lautet ja. Denn es gibt in der Region Heilbronn-Franken immer noch Geschäfte und Gastronomen, bei denen es nicht möglich ist, mit der EC-Karte zu bezahlen. Doch warum eigentlich? Ein Streifzug durch die Dienstleistungslandschaft Künzelsaus, Schwäbisch Halls und Heilbronns ohne Scheine und Münzen in der Brieftasche liefert interessante Erkenntnisse.
Ein ganz normaler Samstagmorgen – na ja, mehr oder weniger, denn es ist Osterwochenende, also dementsprechend viel los in den Innenstädten. Da die Läden die nächsten beiden Tage geschlossen haben, stehen einige Besorgungen auf dem Programm. Der Einkaufsmarathon beginnt beim Bäcker. Ein Kartoffelbrot. Mehr steht nicht auf der Liste. 3,30 Euro. „Kann man bei Ihnen eigentlich auch mit Karte bezahlen?“ Die ernüchternde Erwiderung: „Nein, die Bearbeitungsgebühren sind zu hoch. Außerdem haben wir kein Lesegerät und die Beträge, die die Kunden bezahlen, sind auch meistens zu niedrig, als dass sie mit der EC-Karte beglichen werden müssten“, erklärt Ursula Schmuck, die bei der Bäckerei Kühner in Künzelsau arbeitet. Ergibt irgendwie Sinn. Dann eben kein Kartoffelbrot. Weiter geht es zum Metzger. Vielleicht kann ja dort die EC-Karte zum Einsatz kommen. Wurstaufschnitt soll es sein: Paprikalyoner und Fleischkäse. 3,50 Euro. „Karte?“ Wieder kein Glück: „Uns gibt es schon so lange“, beginnt Hans Häussler, Inhaber der Künzelsauer Metzgerei Häussler. „Meine Frau will das nicht. Außerdem: Wenn die Kunden kein Bargeld dabeihaben, gehen sie zur Bank, die hier gleich in der Nähe ist.“ Es käme schon hin und wieder vor, dass nachgefragt werde, ob auch Kartenzahlung akzeptiert wird. Aber die Kunden reagierten verständnisvoll, wenn Häussler oder seine Mitarbeiter verneinen müssen. Also, auch keine Wurst für die nächsten Tage.
Neue Stadt, neues Glück. 25 Kilometer weiter, in Schwäbisch Hall, sind die Straßen um einiges gefüllter an diesem Vormittag. Die Buchhandlung Osiander nahe der Henkersbrücke platzt fast aus allen Nähten, so viele scheinen an diesem Tag Bücher kaufen zu wollen. Wo sind die Kinderbücher? Zweiter Stock. Ein Geschenk für die vierjährige Cousine des Mannes muss her. Gefunden! Auf zur Kasse. 14,99 Euro. Ja, Kartenzahlung sei möglich, sagt die Verkäuferin. Allerdings ist das Lesegerät kaputt. Nein, die Kleine wird am Boden zerstört sein! Keine Panik, es gibt mehr als eine Kasse, also auch mehr als ein Lesegerät. Premieren-Auftritt EC-Karte. Reinstecken, PIN eingeben, fertig. Ein Erfolgserlebnis.
Die Sonne kommt hinter den Wolken hervor, es wird langsam wärmer. Der ideale Zeitpunkt für ein Eis zwischendurch. Die Eisdiele Gelateria Brento am Haalplatz sieht vielversprechend aus. Zwar käme wahrscheinlich niemand auf die Idee, ein Eis mit Karte bezahlen wollen. Aber wenn eine fünfköpfige Familie sich je einen Eisbecher à sechs Euro bestellt, sieht das auf einmal anders aus. Dennoch ist die Antwort, ob Kartenzahlung hier möglich ist, bereits vorauszuahnen. „Das war bei uns schon immer so und es wird sich auch in Zukunft nichts daran ändern“, informiert die Angestellte Erika Cibulova. Dann eben kein Eis.
Mal sehen, wie es im Oberzentrum aussieht. Nach Poloshirt- und Sockenshopping für den Gatten in der Stadtgalerie Heilbronn, wo sich die EC-Karte – nicht gerade eine Überraschung – freuen konnte, wieder mal gezückt zu werden, knurrt allmählich der Magen. Der „Barfüßer“ soll ein gutes Restaurant sein. Nichts wie hin. Draußen hängt eine Speisekarte, kurz auswählen und grob überschlagen: Ein Putenschnitzel, Zwiebelrostbraten und Getränke ergeben zusammen 41,40 Euro. An der Tür ist ein Hinweis: EC-Kartenzahlung möglich ab zehn Euro. Perfekt!
Nach dem anstrengenden Trip, ohne Bares ausgegeben zu haben, ist ein Kinobesuch genau das Richtige zum Entspannen. Aber kommt man dort überhaupt ohne reales Geld in eine Vorstellung? Eine Mitarbeiterin des Cineplex in Neckarsulm, die nicht namentlich genannt werden möchte, klärt auf: „Hier kann man ab zehn Euro mit Karte bezahlen und viele Besucher wissen das auch.“ Auch für Popcorn, Cola und Co. gilt derselbe Mindestbetrag. Na dann: Film ab.
Olga Lechmann