Keine Steuererhöhungen, weniger Bürokratie, mehr Impulse für Investitionen: Bundesfinanzminister Christian Lindner will für Unternehmen die richtigen Weichen stellen. Er sieht aber auch Gefahren für das Wirtschaftsmodell Deutschland.
Das vergangene Jahr war geprägt durch Krisen: Mit welchen Herausforderungen bekommen es die deutschen Weltmarktführer im Jahr 2023 zu tun – und welche Perspektiven sehen Sie?
Christian Lindner: Es wird ohne Frage ein weiteres anspruchsvolles Jahr. Wir sehen aber auch, dass sich die Trends bei der wirtschaftlichen Entwicklung und der Inflation stabilisieren. Es gibt vor allem einen Unterschied zu 2022: Der russische Angriffskrieg und die dadurch verschärfte Inflation waren Schocks, auf die wir nicht ausreichend vorbereitet waren. An vielen Stellen musste unter hohem Zeitdruck und ohne Blaupause reagiert werden. Jetzt kennen wir die Herausforderungen und können agieren. Es liegt in unserer Hand, die richtigen Weichen zustellen: Mit einem Wachstumspaket sollten wir unserer wirtschaftlichen Stärke neue Dynamik geben – etwa durch weniger Bürokratie, finanzielle Entlastungen und mehr Investitionsimpulse.
Bürger und Unternehmen sollen mit Blick auf die Energiekrise und die Inflation entlastet werden. Ein Stichwort ist hier die Strom- und Gaspreisbremse. Werden die geplanten Maßnahmen ausreichen? Oder wird das Thema Steuererhöhung doch noch auf die Agenda kommen?
Lindner: Im vergangenen Jahr sind wir mit Entlastungspaketen im Umfang von 100 Milliarden Euro und dem Abwehrschirm mit einem Volumen von bis zu 200 Milliarden Euro bis an die Schmerzgrenze dessen gegangen, was der Staat leisten kann. Ich habe das aus Überzeugung ermöglicht, weil die Entlastungen dringend notwendig waren. Diese sollten wir nun wirken lassen. Die Diskussion um Steuererhöhungen, die in Kreisen der Koalitionspartner geführt wird, wird auch 2023 nicht abebben. Ich kann aber auch jetzt schon ankündigen, dass es bei meinem Nein bleiben wird. Denn in einer Phase, in der die Menschen und die Wirtschaft Entlastungen brauchen, diese zu belasten – das wäre paradox und im Übrigen auch gefährlich für die wirtschaftliche Entwicklung.
Vor dem Hintergrund des Ukraine-Kriegs geraten wichtige Themen wie Digitalisierung und Bildung in den Hintergrund. Werden diese Themen im Jahr 2023 stärker in den Fokus gerückt?
Lindner: Es hat sich schon 2022 einiges getan, denn der russische Angriffskrieg hat unseren Modernisierungsanspruch nicht gedämpft. Digitalminister Volker Wissing hat die erste Digitalstrategie einer Bundesregierung aufgestellt, die ihren Namen verdient.
„Es liegt in unserer Hand, die richtigen Weichen zu stellen“
Bildungsministerin Bettina Stark-Watzinger hat mit der BAföG-Reform und der Exzellenzinitiative berufliche Bildung Vorhaben vorangetrieben, die die Chancengerechtigkeit in unserem Land stärken. Das werden wir 2023 intensiv fortsetzen, denn wie gut wir in der Bildung und der Digitalisierung sind, entscheidet über die Wettbewerbsfähigkeit unserer Volkswirtschaft.
Deutschland gilt häufig als Land der Bürokratie. Sie kritisieren unter anderem lange Planungs- und Genehmigungsverfahren. Was wird hier unternommen, damit diese deutlich beschleunigt werden?
Lindner: Das ist eine der obersten Prioritäten dieser Regierung – und unser Land dürstet nach Jahren des Stillstands auch danach. Wir sind auf dem richtigen Weg: Nehmen Sie die LNG-Terminals, die in weniger als einem Jahr ans Netz gegangen sind. Eine großartige Leistung, die vor einem Jahr wohl kaum jemand für möglich gehalten hätte. Das müssen wir jetzt auf weitere Bereiche ausweiten.
„Das Wirtschaftsmodell Deutschland ist nicht mehr ohne Weiteres wettbewerbsfähig“
Wir erleben eine Zeit des viel zitierten geopolitischen Umbruchs. Was bedeutet der Begriff für Sie?
Lindner: Die Zeitenwende sehe ich auf mehreren Ebenen – sicherheits- und energiepolitisch. Darauf haben wir in der Bundesregierung reagiert. Darüber hinaus sehe ich aber auch die Notwendigkeit einer ökonomischen Zeitenwende.
Das Vertrauen in die Politik schrumpft. Halten Sie die Kritik für gerechtfertigt bzw. gibt es Themen, wo Sie sagen: Das hätten wir in der Regierung besser machen sollen?
Lindner: Vertrauen in die Demokratie wächst, wenn wir die Probleme des Landes ohne parteipolitische Scheuklappen lösen. Gleichzeitig bitte ich dann aber auch um Verständnis: Nicht jede Meinungsverschiedenheit ist gleich ein Streit. Es braucht die politische Debatte, um die unterschiedlichen Perspektiven der Gesellschaft widerzuspiegeln und auszugleichen und im Ergebnis zu fairen Lösungen zu kommen.
Als Finanzminister und FDP-Vorsitzender ist ihre wirtschaftspolitische Meinung gefragt: Was würden sie den Weltmarktführern für die kommenden Jahre mit auf den Weg geben, um für die aktuellen Herausforderungen gewappnet zu sein?
Lindner: Das Wirtschaftsmodell Deutschland ist nicht mehr ohne Weiteres wettbewerbsfähig. Der Welthandel ändert sich, wir müssen die Dekarbonisierung der Industrie vorantreiben, der demografische Wandel stellt neue Anforderungen an unseren Arbeitsmarkt. Da sind auch die Unternehmen gefragt, sich diesen Bedingungen anpassen. Aber die Politik muss ihnen dies ermöglichen und erleichtern. Ich sehe die politischen Aufgaben vor allem darin, dass der Staat sich zurückhält mit Interventionen und neuer Bürokratie, sondern Planungs- und Genehmigungsverfahren beschleunigt, die Digitalisierung vorantreibt, ein modernes Einwanderungsrecht schafft.
Auch steuerliche Instrumente sind denkbar, erfordern aber einiges an politischer Überzeugungsarbeit.
Was ist die Herausforderung Nummer eins für Unternehmen in diesem Jahr?
Lindner: Die Energiepreise in unserem Land werden eine der größten Herausforderungen bleiben, weil sie auch bei einer Stabilisierung nicht auf das Vorkriegsniveau sinken werden. Ich kann versprechen, dass ich mich für alle Energiequellen stark machen werde, die dazu beitragen, das Ziel der Energiesicherheit und ihrer Bezahlbarkeit zu erreichen.
Interview: Teresa Zwirner
Zur Person
Christian Lindner ist Bundesfinanzminister im Kabinett Scholz und seit Dezember 2013 Parteichef der FDP.