Quereinstieg macht digitales Studium einfacher

Kay Berkling; Bildung; SAP
Kay Berkling (rechts) zeigt Melina Schmidt und Claire Zschiesche (links) von SAP die Vorteile des digital-dualen Studiengangs. Foto: Kay Berkling

Nicht nur Unternehmen haben sich in den letzten 50 Jahren verändert, auch die Bildungslandschaft. Professorin Kay Berkling spricht im Interview über das erste digital-duale Studienangebot der DHBW und wieso gerade Unternehmen in ländlichen Gebieten von virtueller Lehre profitieren.

Während der Coronapandemie hat die virtuelle Lehre an Bedeutung gewonnen. Warum gibt es diese an staatlichen Hochschulen noch nicht so lange?

Kay Berkling: Da gibt es mehrere Gründe. Einer davon ist die Technik, die vor der Coronapandemie noch nicht auf dem Stand war, den wir brauchten. Gerade mit Blick auf den Datenschutz mussten wir hier auf neue Techniken ausweichen, die in den letzten Jahren erst entsprechend entwickelt werden mussten, damit wir sie im Alltag gut verwenden können. Ein weiterer Punkt ist die enge Zusammenarbeit und Absprache mit anderen Playern, wie unseren Partnerunternehmen oder dem Ministerium. Das hängt auch mit der Tatsache zusammen, dass wir eine staatliche Präsenzhochschule sind.

Können Sie das kurz erklären?

Berkling: An einer öffentlichen Hochschule gelten andere Regelungen wie an einer privaten Hochschule. Da wir als Präsenzhochschule akkreditiert sind, können wir nicht einfach zu 100 Prozent auf digitale Vorlesungen wechseln. Der Online-Studiengang, den ich ins Leben gerufen habe und der jetzt zum Wintersemester startete, musste beispielsweise erst von 15 Gremien und dem Ministerium genehmigt werden.

Um was für einen Online-Studiengang handelt es sich hier?

Berkling: Es geht um den ersten digital-dualen Computer-Science-Bachelor-Abschluss an einer staatlichen Universität, den wir aktuell am Standort Mosbach und am Standort Stuttgart anbieten. Geplant ist, dass sich dieser als standortübergreifender Studiengang etabliert.

Welche Vorteile bietet der Studiengang?

Berkling: Ein großer Vorteil ist, dass man eine ganz andere Auswahl an Dozierenden hat, wenn die Vorlesungen virtuell stattfinden. Unser Standort in Karlsruhe profitiert beispielsweise enorm vom Karlsruher Institut für Technologie (KIT). Durch digital-duale Studiengänge können gerade Standorte auf dem Land enorm profitieren und dadurch dieselben Dozierenden wie in den Großstädten an Land ziehen. Auch für Familien ist ein digitaler Studiengang von Vorteil, denn die Studierenden können weiterhin auf dem Land wohnen bleiben und dort studieren und haben denselben Zugang zu Bildungsangeboten.

Wie läuft der digital-duale Studiengang während der Praxisphasen ab?

Berkling: Bei der Dualen Hochschule Baden-Württemberg ist es so, dass die Studierenden drei Monate studieren, dann drei Monate im Unternehmen sind. In der Praxisphase sind sie idealerweise dann wie bei den Präsenzstudiengängen komplett eingebunden. Die Studierenden leben in der Regel im Umkreis des Partnerunternehmens und sind dort auch vor Ort tätig. Der Vorteil ist, dass sie aufgrund des digitalen Studiengangs nicht alle drei Monate umziehen müssen, um am Studienstandort zu sein. Das macht auch gerade den Quereinstig sehr viel einfacher.

Apropos Unternehmen: Wie reagieren diese auf die Entwicklung hin zur virtuellen Lehre?

Berkling: Die hadern häufig noch mit sich. Die Entscheidungstragenden haben tendenziell noch zu Zeiten studiert, in denen das Bier am Abend noch sehr wichtig war – das erwähne ich, weil es tatsächlich häufig von unseren Partnerunternehmen genannt wird. Hier muss verstärkt gezeigt werden, dass es Leute gibt, für die das gar nicht wichtig ist, weil sie beispielsweise schon ein starkes soziales Netzwerk haben, verheiratet sind oder ein Studium hinter sich haben und das Studentenleben nicht mehr zwangsweise für sich brauchen. Hier müssen Unternehmen lernen, sich zu öffnen. Aber wir haben auch duale Partner, die das neue Projekt mutig unterstützen und das Potenzial, neue Fachkräfte zu finden, verstehen und gemeinsam mit uns vorantreiben – und das ist mutig.

Wie sehen das die Studierenden?

Berkling: Während Corona haben wir eine Studie gemacht, die zeigt, dass ein Teil der Studierenden bei einer virtuellen Lehre gesundheitlich sogar profitieren würden. Ein anderer Anteil wünscht sich das klassische Studentenleben vor Ort, während ein großer Teil der Studierenden eine hybride Form bevorzugt, bei der sie frei wählen können, welche Vorlesungen virtuell und welche in Präsenz besucht werden.

Wäre diese Umsetzung denkbar?

Berkling: Schon, aber natürlich mit großem Aufwand. Da die Duale Hochschule Baden-Württemberg viel in Kleingruppen arbeitet, müsste man diese dann entsprechend aufbauen. Denkbar wäre, dass es Gruppen gibt, die vor Ort stattfinden und Gruppen, die beispielsweise komplett online sind. Das müsste man vorher trennen und genau abgrenzen, damit jeder die Art wählen kann, bei der er sich wohlfühlt.

Noch einmal zurück zu Ihrem Studiengang. Gibt es hier noch andere Besonderheiten?

Berkling: Bei meinem Studiengang bewerben sich die Studierenden nicht bei den Unternehmen direkt, sondern bei mir. Das hat sich irgendwann so ergeben. Um hier die Bewerbenden zu unterstützen und einen Austausch zu fördern, habe ich eine WhatsApp-Gruppe ins Leben gerufen, bei der sich die Studierenden selbst beraten und gegenseitig stärken können. Solche Netzwerke sind aus meiner Sicht enorm wichtig und sollten weiter ausgebaut werden.

2021 gewannen Sie bereits den Lehrpreis für ein digitales Netzwerk von Studierenden. Können Sie das Projekt kurz erklären?

Berkling: Als Corona kam, mussten wir über Nacht auf eine Online-Plattform umziehen. Wir haben uns für Discord entschieden, eine Plattform, die gerade Gamer schon seit längerem nutzen. Da es mich schon seit längerem geärgert hat, dass Studierende sich über die Kurse und Jahrgänge hinweg nicht kennen und nicht von den Erfahrungen anderer profitieren können, habe ich auf der Plattform Tutorien eingeführt und Studierende gebeten, aktiv auf den Server zu kommen, um eben hierüber einen Austausch zwischen den Studierenden zu schaffen. Mittlerweile sind 500 Leute auf dem Server und stehen für Fragen und Antworten rund ums Studentenleben zur Stelle.

Wo sehen Sie hier die größten Vorteile?

Berkling: Die Plattform hilft insbesondere dualen Studierenden, die beispielsweise in dem Partnerunternehmen allein sind. Wir haben einige Firmen, die sehr groß sind, aber eben ganz viele mittelgroße und kleine Unternehmen, die nur alle drei Jahre einen dualen Studierenden ausbilden. Das wiederum bedeutet, dass diese Person niemanden hat, den er bei Fragen kontaktieren kann. In der Community kann jeder eine Frage stellen und erhält innerhalb von fünf Minuten eine Antwort. Das ist schon sehr hilfreich und vergrößert vor allem die Chancengleichheit und stärkt die Minderheiten.

Könnte man so ein Projekt auch auf andere Bereiche übertragen?

Berkling: Ja, aktuell arbeite ich daran, unsere dualen Partner und Alumni in einer Community zu vernetzen. Das ist gerade für Firmen hilfreich, die das erste Mal über die Duale Hochschule ausbilden.

Zurück zum Studiengang: Denken Sie, dass künftig mehr digitale Studiengänge auch an staatlichen Universitäten und Hochschulen angeboten werden?

Berkling: Ja, wir sind nur eine der Eisbrecher. Andere Innovationen entstehen an vielen Ecken der DHBW und starten durch. Ergänzend sind wir an einem Projekt beteiligt, EU4DUAL, bei dem sich verschiedene Hochschulen zusammengeschlossen haben, die ähnliche duale Studiengänge durchsetzen möchten und sich dazu bekennen, Micro-Credentials zu kreieren.

Das bedeutet?

Berkling: Das ist die Möglichkeit, eine einzelne Vorlesung zu besuchen, um dafür schon eine Art digitales Zertifikat zu bekommen. Das wird in einer Art digitalem Pass festgehalten. Diese Micro-Credentials werden an den jeweiligen Hochschulen auch akzeptiert, beispielsweise kann man sie sich an einer Hochschule in Spanien anrechnen lassen. Aus meiner Sicht könnte dies die Basis für weitere Innovationen sein.

Ein Beispiel wäre…

Berkling: Es könnte sein, dass künftig keine Noten mehr vergeben werden, sondern Skills, die ich in einer Vorlesung erhalte, in ein digitales Skill-Profil gegeben werden. Ebenso kann es sein, dass Firmen nicht mehr Stellenbeschreibungen ausschreiben, sondern über Skill-Profile ihre Fachkräfte suchen. Ich glaube, dass ist der Weg, den wir in den kommenden zehn Jahren gehen werden.

Interview: Teresa Zwirner

Zur Person

Prof. Dr. Kay Berkling ist Professorin für Angewandte Informatik an der DHBW Mosbach, Studiengangsleitung und Projektleitung des New Study Online Bachelor Informatik.