Ranga Yogeshwar über KI

Ranga Yogeshwar; Wissenschaft; KI
Viele Berufsbilder werden sich durch KI ändern: Ranga Yogeshwar sieht Chancen, aber auch Risiken – und plädiert für eine staatliche Regulierung. Foto: H. G. Esch

Künstliche Intelligenz (KI) wird die Gesellschaft und die Arbeitswelt verändern. Die Chancen sind enorm, doch man muss klare Grenzen ziehen, sagt Ranga Yogeshwar im Interview. Er sieht fachliche Defizite in der Politik und plädiert für Kontrollen wie bei Medikamenten.

Hand aufs Herz: Wann haben Sie zuletzt auf ein KI-Programm wie ChatGPT zurückgegriffen?

Ranga Yogeshwar: Gestern Abend.

Um was ging es dabei?

Yogeshwar: Ich habe ein Programm in Python geschrieben, es ging um die Visualisierung von Daten für einen Vortrag und ich habe hierbei GITHub-Copilot und ChatGPT genutzt. Durch die Einbindung der KI gehen die Dinge sehr viel schneller. Allerdings muss ich immer noch drüberschauen, denn KI ist keinesfalls perfekt.

Hat es Sie überrascht, mit welchem Tempo sich KI-Programme in kurzer Zeit entwickelt haben?

Yogeshwar: In der Tat ist die Geschwindigkeit enorm, mit denen diese Innovationen in die Gesellschaft strömen. Bei ChatGPT ist das Tempo sogar atemberaubend: Nur zwei Monate nach dem Start hatte die KI bereits 100 Millionen aktive Nutzer. Es ist die Technologie, die sich am schnellsten ausgebreitet hat. Was mich außerdem sehr überrascht hat, ist die Breite der Anwendungen und dass KI in so vielen Bereichen derart rasante Fortschritte gemacht hat.

KI macht sich wirklich fast überall breit?

Yogeshwar: Das ist so. Wir reden definitiv nicht von einer Technologie, die nur in einem bestimmten Feld greift. In der Medizin wird KI genutzt, beim Programmieren, beim Komponieren, beim Erzeugen von Texten, Bildern, Videos und in anderen Bereichen. Oft können wir nicht mehr sagen, was von Menschen und was von Maschinen geschaffen wurde. Die Bewertung von Informationen wird immer schwieriger, weil wir nicht wissen, ob ein Bild real ist oder durch eine KI angefertigt.

Die Arbeitswelt ist von KI-Anwendungen in vielen Bereichen unmittelbar betroffen. Die Investmentbank Goldman Sachs geht davon aus, dass bis zu einem Viertel der derzeitigen Arbeit durch KI ersetzt wird. Sind solche Schätzungen aus Ihrer Sicht realistisch?

Yogeshwar: Das kann ich nicht sagen, aber natürlich werden sich viele Berufsbilder ändern, denken Sie etwa an Illustratoren. Ihr Job wird sich massiv verändern, teilweise auch obsolet werden. Auch beim Programmieren kann KI sehr hilfreich sein. Trotzdem müssen Sie immer checken, was die Maschine da gemacht hat. Man braucht künftig also vielleicht statt fünf Programmierer nur noch drei, aber man kann nicht auf sie verzichten. Ähnlich ist das bei Texten. Bisher waren Texte – von alten babylonischen Gesetzen bis zu den Tweets der Gegenwart – das Betriebssystem des Menschen. Jetzt mischt eine Maschine mit, die eigene Narrative erzeugt.

Die Konkurrenz durch KI schürt bei vielen Beschäftigten Unsicherheit und Ängste – verständlich?

Yogeshwar: Natürlich sind die neuen Technologien sehr disruptiv. In kurzer Zeit sehen wir große Veränderungen und das führt immer zu Verunsicherungen. Natürlich ist KI auch in der Lage, in vielen Bereichen die Produktivität zu steigern, aber man braucht immer noch den Menschen.

In welchen Bereichen des Arbeitsmarkts sehen Sie die größten Chancen für den Einsatz von KI?

Yogeshwar: Es gibt in vielen Bereichen großes Potenzial. Die tiefere Frage, gerade in Deutschland, muss aber lauten: Bist du bereit, dich zu verändern und anzupassen? Darin sind wir leider meistens nicht so gut. Beim Thema Digitalisierung hinken wir immer noch hinterher, obwohl jedem klar ist, dass Digitalisierung viele Vorzüge schafft. Ich muss nicht daran erinnern, dass die Medizininfrastruktur während der Pandemie auf dem Faxgerät basierte. Und das Schlimme ist: Es hat sich seither wenig geändert.

Sind generative KI-Systeme in Ihren Augen eine ähnliche technische Revolution wie das Internet oder das Smartphone?

Yogeshwar: Ja, weil wir zunächst einmal eine atemberaubende Breite von Anwendungen haben. Aber auch, weil wir aus dem kausalen oder expliziten Programmieren, wie es früher der Fall war, jetzt zu Programmen kommen, bei denen Korrelation im Vordergrund steht. Man versteht also nicht mehr genau, wie die Programme funktionieren. Selbst Fachleute wie beispielsweise Professor Björn Ommer, der den KI Bildgenerator Stable Diffusion entwickelt hat, kann nicht genau sagen, wie die KI zu ihren Ergebnissen kommt.

Was heißt das?

Yogeshwar: Wenn wir nicht aufpassen, nutzen wir Anwendungen in sensiblen Bereichen und vertrauen auf eine KI, die intransparent ist. Das ist schon ein Kulturbruch, denn unsere Kultur der Aufklärung setzt auf Kausalität, auf Ursache und Wirkung. Wenn ein Algorithmus über Dinge entscheidet, sollte man als Betroffener schon wissen, auf welcher Basis die Entscheidung getroffen wurde. Wir müssen den Umgang mit KI noch lernen, sollten einiges ausprobieren und so erfahren, wo die Chancen sind, aber auch wo wir Grenzen ziehen müssen.

Brauchen wir im Bereich KI denn eine staatliche Regulierung?

Yogeshwar: Ja, aber da sehe ich derzeit Defizite, denn Regulierung braucht Kompetenz. Es geht ja nicht nur um Abschottung, sondern man muss die Dinge durchdringen und verstehen, um gezielt zu regulieren. Diese Kompetenz fehlt oft im universitären und staatlichen Bereich, denn die meisten promovierten KI-Experten gehen in die Wirtschaft.

Experten warnen vor den Risiken von KI, vereinzelt gibt es sogar Rufe nach einem Forschungsstopp. Sind diese Bedenken aus Ihrer Sicht gerechtfertigt?

Yogeshwar: Auf jeden Fall, denn hier kommt eine Veränderung durch eine neue Technologie in einem unglaublichen Tempo. Zudem ist KI die erste sich selbst verstärkende Technologie, denn mit KI-Systemen werden eben auch neue, noch bessere KI-Systeme entwickelt. Diese Veränderung kommt von wenigen großen Firmen, bedauerlicherweise keine davon aus Europa oder Deutschland. Da entstehen Abhängigkeiten und Veränderungen, die schon allein durch das Tempo eine neue Qualität besitzen.

Sind US-Firmen denn gegen staatliche Regulierung?

Yogeshwar: Was ich beim US-amerikanischen Ansatz manchmal etwas suspekt finde, ist, dass auf der einen Seite Leute wie OpenAI-Gründer Sam Altman sagen: Ja, wir brauchen eine Regulierung, wenn die Maschine in Zukunft das Ruder übernimmt, jedoch sofort Einspruch erheben, wenn in Europa ganz konkrete und zeitnahe Vorschläge gemacht werden. Dann kriegen sie kalte Füße und wollen sich, wie zuletzt OpenAI, aus Europa zurückziehen, falls Regulierungsmaßnahmen greifen. Hier wird sehr bewusst abgelenkt!

Lassen sich Risiken von KI minimieren?

Yogeshwar: Derzeit erleben wir einen Wettlauf zwischen den großen Firmen, die zum Teil Produkte auf den Markt werfen, die noch nicht ausgereift sind. Nachdem wir nun die erste Experimentierphase hinter uns haben, ist es jetzt an der Zeit, professioneller zu agieren. Ich plädiere für einen Mechanismus, den wir zum Beispiel aus dem Medizinbereich kennen: Für die Zulassung neuer Medikamente braucht es klinische Studien. Etwas Ähnliches brauchen wir auch im Kontext von KI, denn die möglichen Nebenwirkungen für die Gesellschaft sind einfach zu groß.

Kann man voraussagen, was KI-Anwendungen in fünf Jahren leisten können?

Yogeshwar: Bei Innovationen war es schon immer schwierig, in die Zukunft zu extrapolieren, auch weil jede Innovation uns selbst verändert. Daher sollten wir nicht nach Antworten, sondern nach den richtigen Fragen suchen. Ich erinnere daran, als die sozialen Netzwerke starteten und sich daran Visionen wie „Connecting the World“ knüpften. Das klang gut, doch das Ergebnis waren zum Beispiel auch Fake News und eine Fragmentierung und Polarisierung der Gesellschaft. Es ist daher wichtig, schneller und konsequenter auf Entwicklungen zu reagieren und den Rahmen stets flexibel anzupassen.

Interview: Eckart Baier

Zur Person

Ranga Yogeshwar hat experimentelle Elementarteilchenphysik und Astrophysik studiert. Er ist einer der führenden Wissenschaftsjournalisten in Deutschland, der sich seit vielen Jahren mit dem Thema KI beschäftigt.