Wirtschaftsgeograph Peter Kirchner beschäftigt sich seit Jahren mit der Region Heilbronn-Franken: Er definiert die inhabergeführten Firmen als wirtschaftliches Rückgrat der Region. Warum er für sie Nachfolgeregelung und Fachkräftemangel als größte Herausforderung sieht, sagt er im Interview mit dem PROMAGAZIN.
Was wäre Heilbronn-Franken ohne Familienunternehmen?
Peter Kirchner: (lacht) Ein Wald ohne Wurzeln, dem im Zeitlauf das Durchhaltevermögen und der Wille zum Wiederaufblühen fehlt.
Was sehen Sie, wenn Sie als Wirtschaftsgeograph auf die Region Heilbronn-Franken schauen?
Kirchner: Dann blicke ich auf eine Wirtschaftsregion, die viel stärker als der Durchschnitt in Deutschland durch Familienunternehmen geprägt ist – insbesondere in den ländlichen Räumen der Region. Durch das hohe Maß an Verbundenheit zwischen Wohn- und Unternehmensstandort bestehen ein langer unternehmerischer Atem und eine langfristige Entwicklungsperspektive der Familienunternehmen. Da der ländliche Raum für viele Produkte und Dienstleistungen keinen Absatzmarkt bietet, haben die regionalen Familienunternehmen frühzeitig Internationalisierungskompetenzen aufgebaut und zum Teil weltweite Netzwerke gespannt. Die erfolgreiche Synthese aus lokaler Verwurzelung und globalen Aktivitäten beschreibt man mit der Wortneuschöpfung „Glokalisierung“. Viele Familienunternehmen in der Region sind Meister der Glokalisierung und überdurchschnittlich viele sogar heimliche Weltmarktführer, die Hidden Champions.
Wie wichtig ist der Einfluss der Familienunternehmen auf die Entwicklung in Heilbronn-Franken aus Ihrer Sicht?
Kirchner: Familienunternehmen haben eine hohe Eigenkapitalquote. Sie investieren eher langfristig und legen weniger Wert auf kurzfristige Profitmaximierung. Viele Familienunternehmen sind durch Tüftlerunternehmer geprägt, die nicht arbeiten, um zu leben, sondern leben, um zu arbeiten. Sie arbeiten beharrlich und kreativ bis zur Lösung eines Problems und dessen erfolgreicher Vermarktung. Unterstützt werden sie dabei von sogenannten Mitarbeiter-Unternehmern, die sich ebenso aus eigenem Antrieb bewegen und zur Lösung von Kundenherausforderungen und einer hohen Innovationsdynamik beitragen. Sie müssen wissen, Mitarbeiter-Unternehmer handeln wie Selbstständige und nicht wie Angestellte. Zwischen Unternehmerfamilie und Mitarbeitern besteht ein starkes Wir-Gefühl, das nachhaltig durch Höhen und Tiefen trägt. Familienunternehmer engagieren sich häufig für das Gemeinwohl. Sie sorgen für ein hohes Maß an Identifikation der Mitarbeiter mit ihrem Unternehmen und ihrem Heimatstandort.
In welchen Bereichen könnte sich die Region noch besser aufzustellen?
Kirchner: Die Region Heilbronn-Franken sonnt sich schon seit Jahrzehnten in einem anhaltenden dynamischen Wirtschaftswachstum. Ein Grund dafür sind die erfolgreichen Familienunternehmen. Auf eine nachholende Industrialisierung folgte ein Anwachsen der unternehmensbezogenen Dienstleistungssektoren wie Logistik, IT und Fulfillment. Defizite hat die Region im Bereich der hochqualifizierten Arbeitskräfte und höherrangigen Unternehmensdienstleistungen. Diese Lücke beginnt sich durch den Ausbau von Heilbronn als Hochschulstandort zu schließen. Zukünftig können Ansiedlungen wie der Innovationspark Künstliche Intelligenz wichtige Entwicklungsimpulse geben.
Es scheint besonders schwierig, Fachkräfte aus Ballungsräumen wie Düsseldorf, Frankfurt oder Berlin nach Heilbronn-Franken zu locken. Wie könnte hier ein Wandel gelingen?
Kirchner: Ja, die Gewinnung von Mitarbeitern von außerhalb der Region ist tatsächlich eine schwierige Herausforderung. Vielleicht müsste man die Vorteile, die Heilbronn-Franken bietet, noch klarer kommunizieren: Zum einen bieten die klein- und mittelständischen Familienunternehmen flache Hierarchien und ein selbstständiges Arbeiten förderndes Umfeld. Und zum anderen kann die Region mit Familienfreundlichkeit zum Beispiel durch bezahlbare Einfamilienhäuser im Grünen punkten. In den größeren Familienunternehmen bestehen schnellere Aufstiegsmöglichkeiten. Aus der Not bei der Nachwuchsgewinnung haben die regionalen Unternehmen schon längst die Tugend einer umfassenden und sehr erfolgreichen eigenen Aus- und Weiterbildung gemacht. Ich kenne Familienunternehmen in der Region, bei denen mehr als zehn Prozent der Belegschaft Auszubildende sind.
Worin machen Sie die Schwächen der familiären Betriebsstruktur aus?
Kirchner: Eine Herausforderung besteht in der Nachfolge für die erfolgreichen Tüftlerunternehmer der ersten Generation. Nicht immer können und wollen die Kinder in die Fußstapfen ihrer Eltern treten. In den meisten Fällen behalten die Familien aber auch mit angestellten Geschäftsführern die Kontrolle und sichern damit die langfristige Entwicklung ihres Unternehmens.
Wenn Sie als Ludwigsburger die Regionen Stuttgart und Heilbronn-Franken vergleichen: Wer hat die Nase vorn?
Kirchner: Die beiden Regionen Stuttgart und Heilbronn-Franken wachsen immer weiter zusammen. In Branchen wie zum Beispiel der Logistik hat die Region Heilbronn-Franken gegenüber dem dicht besiedelten Stuttgart deutliche Vorteile. Ausreichend große und preiswerte Gewerbeflächen stehen in Stuttgart im Gegensatz zur Region Heilbronn-Franken schon lange nicht mehr zur Verfügung. Auch im IT-Sektor liegt das Städtepaar Heilbronn-Neckarsulm in den Bereichen IT-Sicherheit und SAP-Mittelstandsberatung vor Stuttgart. In bestimmten Branchen entwickelt sich die Region Heilbronn-Franken also dynamischer als Stuttgart und wächst immer mehr aus dem Schatten des großen Bruders Stuttgart heraus.
Interview: Melanie Boujenoui