Starke Marken in Zeiten der Digitalisierung

Karsten Kilian; starke Marken; Werbung; Kunden; Unternehmen
Karsten Kilian: „Schwache Marken machen Kundenwerbung, für starke Marken machen Kunden Werbung.“ Foto: Rudolf Wichert

Ein einzigartiges Set an Werten – das ist es, was starke Marken ausmacht. Wie Unternehmen dies in Zeiten der Digitalisierung für sich nutzen können, erklärt Karsten Kilian, einer der führenden Markenstrategen Europas, im Gespräch.

Ihr Statement lautet: „Schwache Marken machen Kundenwerbung, für starke Marken machen Kunden Werbung.“ Wie schafft man es als Marke, dorthin zu kommen?

Karsten Kilian: Starke Marken sind immer aus sich heraus stark. Das heißt, sie verfügt über ein einzigartiges Set an Markenwerten, die auf „KURS“ sind.

Was bedeutet die Abkürzung KURS?

Kilian: Gemeint sind konkrete, ursächliche, relevante und möglichst spezifische Markenwerte. Sie sollten inspirierend, im Unternehmen begründet, für Kunden bedeutsam und im Vergleich zum Wettbewerb für die Marke charakteristisch sein. Sind die Markenwerte auf KURS, stellt sich das Habenwollen meist von allein ein. Die Marke wird begehrlich, die Kunden kaufen nicht nur, sie erzählen auch ihren Freunden voller Bewunderung von der Marke – und werden damit zu den überzeugendsten Markenbotschaftern, die eine Marke haben kann. Warum? Weil sie mit jeder Empfehlung ihre eigene Reputation aufs Spiel setzen. Und das machen Kunden nur, wenn sie vollauf von einer Marke überzeugt sind.

Marken wie Bosch, dm oder Würth haben das mit ihrer Marke geschafft. Wie gelingt es, langfristig die Marke von der Konkurrenz abzuheben?

Kilian: Marken sind nur so stark wie die ihr zugrundeliegenden Leistungen. Da haben die erwähnten Firmen viele Jahrzehnte lang ganze Arbeit geleistet. Allen drei Marken gemeinsam ist, dass sie von starken Gründerpersönlichkeiten aufgebaut wurden: Robert Bosch, Götz Werner und Reinhold Würth. Im Zeitverlauf entscheidend ist, dass die Gründungsidee bewahrt und immer wieder aufs Neue zeitgemäß interpretiert wird. Starke Marken bleiben sich bei allem Wandel treu.

Das bedeutet?

Kilian: Starke Marken beherrschen das Spannungsverhältnis zwischen Bewahren und Erneuern und machen daraus ein spannendes Verhältnis, das uns anspricht und das wir den Unternehmen sprichwörtlich abkaufen.

Wird die Markenbildung in Zeiten von sozialen Netzwerken komplizierter?

Kilian: Die Ziele Differenzierung und Präferenzbildung an sich haben sich kaum geändert. Was sich geändert hat, sind die Anzahl zur Verfügung stehender Kanäle, die mediale Ermächtigung jedes einzelnen Kunden durch die sozialen Medien und die Geschwindigkeit, mit der sich Positives und Negatives über Marken heute im Netz verbreitet. Dabei gilt: Die Kommunikation ist nicht nur schneller geworden, sondern auch schnelllebiger. Was heute noch ein Skandal war, ist morgen längst vergessen, wenn es überhaupt zur Kenntnis genommen wurde. Ein Shitstorm jagt den nächsten, eine Werbekampagne folgt auf die vorherige.

Haben missglückte Kampagnen also keine Auswirkungen auf eine Marke?

Kilian: Missglückte Kampagnen haben neben allem Spott und Hohn auch einen positiven Effekt: Über die Marke wird geschrieben und gesprochen. Der Name bleibt in Erinnerung, der Grund dafür wird mit der Zeit oft blasser. Das soll nicht heißen, dass man sich als Marke lächerlich machen sollte, aber wenn einem ein Missgeschick passiert, dann sollte man mit Demut, fallweise auch mit Humor und Selbstironie reagieren und aus einem Fauxpas das Beste machen. Schließlich ist die Marke gerade im Gespräch. Kluge Antworten können dann manches Missgeschick zum Guten wenden – und sogar in hö- heren Absatzzahlen enden.

Und wie sieht es mit viralen Kampagnen aus: Wie schafft man es, hiermit die Marke langfristig erfolgreicher zu machen?

Kilian: Viralität besagt ja zunächst nur, dass ein Post, egal ob Text, Foto oder Filmchen, viele Menschen anspricht. Entscheidend ist, dass es die Zielgruppe erreicht und, dass es aktivierend wirkt. Denn am Ende wollen Kampagnen vor allem eins: Verkaufen. Eine virale Kampagne, die unterhält oder irritiert, ist nicht viel wert, wenn sie nicht aktiviert. Mindestziel ist, dass die Marke erinnert wird oder die vorhandene Erinnerung verstärkt wird. Die Marketingexperten Sharp und Romaniuk sprechen von der „mentalen Verfügbarkeit“ einer Marke. Ist dann noch die physische Verfügbarkeit am Point of Sale gegeben, egal ob offline oder online, und der Kunde aktiviert, steht dem Erfolg nichts mehr im Wege. Die „Ansteckung“ war erfolgreich, der Warenkorb ist gefüllt.

Ob erfolgreich oder misslungen: Kunden werden zunehmend über Online-Werbemaßnahmen erreicht. Kommt man an Social Media noch vorbei?

Kilian: Wer junge Menschen erreichen will, kommt an Social Media nicht vorbei. Auch viele ältere Menschen werden zum Teil online erreicht, vielfach aber auch nach wie vor über Handzettel, Zeitungsbeilagen und postalische Mailings. Die Kunst ist es zu verstehen, wie die eigene Zielgruppe optimal adressiert werden kann und mit welchem Werbeformat das Leistungsangebot ideal zur Geltung kommt.

Viele Unternehmen setzen auf Influencermarketing, um die eigene Marke zu stärken. Doch auch die Mitarbeiter können eine Marke vorantreiben, oder?

dm; Drogerie; Unternehmen; Marke
Unternehmen wie dm haben über Jahrzehnte ganze Arbeit geleistet und ihre Marke erfolgreich aufgebaut. Foto: Uli Deck/dm-drogerie Markt

Kilian: Zunächst einmal sind alle Mitarbeiter per Definition Markenbotschafter. Die Unternehmen nehmen nur Einfluss darauf, ob sie gute oder schlechte Markenbotschafter sind. Denn: Wer zum Beispiel über die Arbeitskleidung oder den Firmenwagen als einem Unternehmen zugehörig identifiziert werden kann, dessen Verhalten wird automatisch dem Unternehmen zugeschrieben. Daneben gibt es Mitarbeiter, die das eigene Unternehmen aktiv nach außen repräsentieren. Meist ist heute von Corporate Influencern die Rede. Neben Posts in den sozialen Medien können dazu Vorträge und Podiumsdiskussionen auf Messen und Konferenzen sowie Fachgespräche mit Journalisten und Bloggern zählen. Entscheidend ist, dass keine PR-Texte der Kommunikationsabteilung zum Besten gegeben werden. Vielmehr gilt es, möglichst authentisch Einblicke in das eigene Aufgabenfeld zu geben, das außerhalb von PR und Unternehmenskommunikation liegt.

Wie wichtig sind solche Corporate Influencer für eine Marke?

Marken; Deutschland; Merces-Benz; BMW; SAP; Allianz; Audi; Volkswagen; Porsche; Siemens

Kilian: Mit dem Erfolg von Linkedin und der Wiedergeburt physischer Konferenzen und Messen hat im vorigen Jahr auch die Bedeutung von Corporate Influencern spürbar zugenommen, insbesondere im B2B-Umfeld.

Auf welche B2C-Influencer wird gesetzt?

Kilian: Im Konsumgüterbereich dominieren Prominente aus Sport, Musik, Mode, Film und Fernsehen sowie über die sozialen Medien bekannt gewordene Personen. Neu im Vergleich zu bekannten Testimonials von vor zehn Jahren ist, dass sie heute allesamt nicht nur ihre Prominenz in eine Werbepartnerschaft einbringen können, sondern auch ihre potenzielle mediale Reichweite, insbesondere über Instagram, YouTube und TikTok. Sie erreichen oft relevante Zielgruppen und können ziemlich glaubwürdig Marken in Szene setzen, ohne dass es zu werblich wirkt.

Inwiefern hat sich der Umgang mit Marken verändert?

Kilian: Die strategische Markenführung ist in den letzten Jahren professioneller geworden. Eine neue Generation junger Markenmanagerinnen und -manager ist mittlerweile im Berufsleben angekommen und bringt dort das Erlernte zur Anwendung. Auf der operativen Ebene ist die Markenführung häufig komplizierter geworden, weil in den letzten Jahren viele neue Touchpoints mit den Kunden dazu gekommen sind, die es zu managen gilt, soweit sie überhaupt gemanagt werden können.

Bei Foren und Bewertungsportalen zum Beispiel ist das nur zum Teil möglich, bei geschlossenen Gruppen und privaten Blogs häufig gar nicht. Zugleich lässt sich beobachten, dass viele junge Markenverantwortliche die Kommunikation häufig auf Suchmaschinenwerbung und Social Media begrenzen und Printanzeigen, Beilagen, Broschüren, Radiospot und Out-of-Home Werbung oft gar nicht mehr auf dem Schirm haben, ihre Kunden häufig schon, vor allem wenn es sich um ältere Menschen handelt, die einen beträchtlichen Teil der Bevölkerung ausmachen. Wir dürfen nicht vergessen, dass das Durchschnittsalter in Deutschland mittlerweile bei 45 Jahren liegt. Immerhin 57 Prozent der Bevölkerung sind 40 Jahre oder älter.

Sie beraten auch Unternehmen der Region Heilbronn-Franken, darunter den Maschinenbauer SW, das Kunststoffzentrum SKZ und die Stadt Heilbronn. Welche konkreten Maßnahmen haben Sie hier umgesetzt?

Kilian: Das Projekt mit der Stadt Heilbronn ist schon etwas länger her. Aufgabe war es, gemeinsam mit APK Kommunikation aus Markgröningen die Stadt im Vorfeld der Bundesgartenschau klar zu profilieren und zu positionieren. Beim SKZ wiederum habe ich mit den verantwortlichen Mitarbeitern das Profil und den Purpose des forschungsstarken Instituts erarbeitet und anschließend die interne Markenver- ankerung initiiert. Bei SW bin ich aktuell dabei, mit dem Management das Selbstverständnis des Unternehmens von der Mission bis zur Vision noch klarer herauszuarbeiten, um den Spezialisten für Bearbeitungszentren noch besser gegenüber seinen Wettbewerbern zu positionieren und gegenüber den Kunden zu profilieren.

Interview: Teresa Zwirner

Zur Person

Prof. Dr. Karsten Kilian gilt als einer der führenden Markenexperten Europas. Mit Markenlexikon.com hat er das größte Markenportal im deutschsprachigen Raum aufgebaut. Seit vielen Jahren leitet er den Masterstudiengang Marken- und Medienmanagement an der Technischen Hochschule in Würzburg.