Beim Gipfeltreffen der Weltmarktführer referiert Rahmyn Kress, Chief Digital Officer der Henkel AG & Co. KGaA, unter anderem über maschinelles Lernen. Im Interview spricht er über seinen Job sowie Chancen und Risiken von technischem Fortschritt.
Herr Kress, seit 2017 sind Sie Chief Digital Officer bei Henkel. Erklären Sie doch mal, für was ein Chief Digital Officer bei Henkel zuständig ist?
Rahmyn Kress: Jeder Chief Digital Officer (CDO) setzt andere Schwerpunkte. Als CDO von Henkel zu arbeiten, ist besonders spannend. Denn das Unternehmen ist sehr vielfältig: Wir haben ein starkes Konsumgütergeschäft und machen gleichzeitig etwa die Hälfte unseres Umsatzes im Business-to-Business-Sektor – mit Kleb- und Dichtstoffen, wo wir Weltmarktführer sind. Als CDO steuere und koordiniere ich die Digitalaktivitäten über alle unsere Unternehmensbereiche hinweg. Meine Aufgabe ist global und geht weit über die Integration neuer digitaler Technologien hinaus. Viel wichtiger ist es mir, unsere Unternehmenskultur zu stärken und ein Umfeld zu etablieren, das Innovationskraft fördert. Innovation geschieht überall. Dieses unternehmerische Denken und Handeln müssen wir fördern.
Wie kann man Innovation fördern?
Kress: Großes Potenzial sehe ich dabei in der Zusammenarbeit mit Start-ups. Wenn Start-ups mit ihren flachen Hierarchien und schnellen Entscheidungen auf Großunternehmen mit einer hervorragenden Infrastruktur und reichen Erfahrung treffen, entstehen viele neue Ideen. Beide Seiten profitieren davon, denn wir lernen gegenseitig von einander. Ich kümmere mich in meinem Beruf auch um direkte und indirekte Investitionen in Start-ups oder Venture-Capital-Fonds.
Die Digitalisierung ist in aller Munde, an Industrie 4.0 führt für den Großteil der Unternehmen einfach kein Weg vorbei. Was wären Ihre drei wichtigsten Tipps, die ein regionaler Mittelständler in Bezug auf Digitalisierung beachten muss?
Kress: Erstens: Niemand kann es allein schaffen. Das gilt unabhängig von der Größe des Unternehmens oder dem Standort. Um erfolgreich zu sein, müssen wir uns zusammenschließen, zusammenarbeiten und lernen zu delegieren. Zweitens muss die Digitalisierung kundenorientiert sein. Eine direkte Kundenbeziehung funktioniert nur über den Austausch. Dafür brauchen wir starke Partnerschaften, um den Konsumenten bei der Kaufentscheidung und in Nutzungsphase das richtige Angebot zu bieten. Daten und Analysen helfen dabei, Markttrends zu antizipieren und Kundenbedürfnisse zu identifizieren. Drittens möchte ich betonen, dass es für eine erfolgreiche Transformation eines Unternehmens mehr braucht als die Einführung neuer Prozesse und Technologien. Wir müssen eine neue Kultur etablieren und ein Umdenken anstoßen. Führungskräfte sollten zwingend eine Vision für das Unternehmen haben und ihre Teams inspirieren sowie motivieren.
Wie wichtig ist Social Media für ein Unternehmen?
Kress: Soziale Medien sind unerlässlich, auch für kleinere Unternehmen. Sie ermöglichen es, dass sich neue, aufstrebende Unternehmen mit sehr begrenzten Marketingbudgets schnell auf dem Markt etablieren. Gerade über diese Kanäle können wir aus den Unternehmen direkt mit den Verbrauchern kommunizieren und ihre Wünsche verstehen. Über Facebook, Instagram und Twitter geben Kunden direktes Feedback und stoßen öffentliche Diskussionen an. Wichtig ist, dass Unternehmen nicht nur auf den sozialen Plattformen präsent sind, weil es angesagt ist. Aus ihnen lassen sich viele Erkenntnisse gewinnen, die bei der Entwicklung von Produkt- und Marketingstrategien von großem Nutzen sind.
Ihr Unternehmen ist in drei Kernbereiche gegliedert: Laundry and Home Care (Wasch- und Reinigungsmittel), Beauty Care (Schönheitspflege) und Adhesive Technologies (Klebstoffe). In welchem dieser Bereiche hat maschinelles Lernen den meisten Platz eingenommen?
Kress: Maschinelles Lernen ist nur eine von vielen Entwicklungen. Bei Henkel kommen wir in dem Bereich in allen drei Geschäftsbereichen mit hohem Tempo voran. Einer der Vorteile von maschinellem Lernen für Unternehmen wie Henkel ist das bessere Verständnis des Kundenverhaltens durch die Analyse großer Datenmengen. Durch künstliche Intelligenz (KI) und maschinelles Lernen können wir nicht nur das Feedback der Kunden besser verstehen, sondern auch die Frage, ob es spezifische Qualitäten und Attribute gibt, die mit ihrer Rücklaufquote und der Wahrscheinlichkeit, sich zu engagieren, korrelieren.
Welche Risiken bergen Entwicklungen wie KI und das maschinelle Lernen?
Kress: Aus meiner Sicht überwiegen die Chancen, denn dank KI und maschinellem Lernen können Routinearbeiten abgegeben werden. KI spielt heute schon eine große Rolle und erhält immer mehr Einzug in unseren Alltag.
Wie zum Beispiel?
Kress: Sie bitten Alexa, das Licht einzuschalten oder Musik abzuspielen. Oder Sie fragen Siri, wie der Verkehr auf dem Heimweg aussieht. Mit der Zeit werden wir solche Assistenten für alltägliche operative Aufgaben wie die Suche im Internet, das Lesen von E-Mails oder die Bezahlung von Rechnungen und die Bestellung von Produkten einsetzen. Und das ist erst der Anfang.
Sehen Sie also keine Gefahren?
Kress: Zu den möglichen Problemen, die mit KI einhergehen können, gehört ein Mangel an Transparenz darüber, was in die Algorithmen einfließt, wer dafür verantwortlich ist, wenn ein Fehler passiert unf wie wir sicherstellen können, dass reguläre Jobs nicht übermäßig erschöpft werden. Vielleicht ist die Frage der Datenerhebung und -nutzung am dringlichsten. Da sich die Technologie rund um künstliche Intelligenz schnell weiterentwickelt, arbeiten Unternehmen und Regierungsstellen an ethischen Richtlinien für ihre Nutzung. Googles CEO Sundar Pichai veröffentlichte eine Liste von sieben ethischen Richtlinien zur Umsetzung von KI, während die Bundesministerin der Justiz und für Verbraucherschutz Katarina Barley in Deutschland eine Initiative zur Zusammenarbeit mit IT-Unternehmen angekündigt hat, um ein Konzept für die Verantwortung von Unternehmen in der digitalen Welt zu erstellen. Aber ebenso wichtig ist es, dass die Regulierung die Innovation nicht erstickt.
Ihr Impulsvortrag beim Gipfeltreffen der Weltmarktführer trägt den Titel: „The future is good. The future is human. A perspective on machine learning“. Das hört sich gut an, aber können Sie den Unternehmen, vor allem Mittelständlern, wirklich die Sorgen nehmen, dass maschinelles Lernen Arbeitskräfte kosten wird?
Kress: Ich bin überzeugt, dass die Zukunft gut ist und die Technologie das Potenzial hat, unserer Gesellschaft viel Verbesserung und Nutzen zu bringen. So wird KI beispielsweise Aufgaben wie die Analyse von Patientensymptomen übernehmen und Ärzten dadurch mehr Zeit für das Gespräch mit Patienten und die Entwicklung personalisierter Behandlungspläne ermöglichen. Ähnlich wie bei der KI, können Roboter auf Basis von Daten aus vergangenen Operationen neue Operationstechniken entwickeln. Darüber hinaus können wir Maschinen einsetzen, um alltäglichere Aufgaben zu erledigen. Aber man muss immer bedenken, dass Maschinen zuerst eingewiesen werden müssen, bevor sie einem Prozess folgen können.
Interview: Timo Lämmerhirt
Zur Person
Rahmyn Kress verfügt über mehr als 25 Jahre Berufserfahrung in der Entwicklung und Umsetzung von Digitalstrategien und umfangreicher internationaler Expertise in verschiedenen Branchen. Seit 2017 ist Kress Chief Digital Officer bei Henkel.