Wie viel sind wir bereit, für unsere Sicherheit auszugeben?

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Dr. Christoph Heusgen, Vorsitzender der Münchner Sicherheitskonferenz, hat eine klare Botschaft: Deutschland und Europa müssen für ihre Sicherheit mehr tun. Foto: Birgit Kalbacher

Die Welt ist derzeit eine unsichere. Umso wichtiger sei es für Deutschland und Europa, nicht länger zu zögern, sondern die eigene Sicherheit in die eigenen Hände zu nehmen, appelliert Botschafter Dr. Christoph Heusgen, Vorsitzender der Münchner Sicherheitskonferenz, beim Gipfeltreffen der Weltmarktführer in Schwäbisch Hall.

„War es schon jemals unsicherer als es jetzt ist?“ Mit dieser Frage beginnt Christoph Heusgen, Vorsitzender der Münchner Sicherheitskonferenz, seine Keynote. Zuletzt sei das vor rund 60 Jahren so gewesen, zu der Zeit, als die Münchner Sicherheitskonferenz eröffnet wurde; mit der Kubakrise, dem Bau der Berliner Mauer, dem Tod John F. Kennedys. „Ich kann mich als kleiner Junge noch an die Aufgeregtheit auch in meinem Elternhaus erinnern: Kommt jetzt Krieg?“

Alles seither – Vietnam, Afghanistan, der Irakkrieg, der 11. September, die Balkankriege – habe nicht mehr die Dimension der Herausforderung wie jetzt. Heusgen nennt neben den bekannten Krisenherden Russland und Ukraine, dem Nahen Osten und den bedrohten Schifffahrtswegen im Roten Meer auch in den Medien weniger präsente humanitäre Katastrophen etwa im Sudan, die Taliban in Afghanistan, die Islamisten, die im Sahel auf dem Vormarsch sind, und natürlich die Unsicherheiten in Bezug auf die USA und China. Auf der einen Seite Chinas wirtschaftliche Schwäche, gleichzeitig aber auch seine Drohgebärden gegenüber Taiwan, die zur Unterbrechung weiterer wichtiger Schifffahrtsrouten führen können.

Deutschland muss seiner Verantwortung nachkommen

Umso wichtiger sei, dass Deutschland seiner Verantwortung nachkomme. Und das werde international ganz klar erwartet. „Als drittgrößte Wirtschaftsmacht der Welt sind wir zu zögerlich“, sagt Heusgen und nennt das Thema rund um die Verteidigungsausgaben als Beispiel: „2014 haben wir zugesagt, dass wir zwei Prozent für Verteidigung ausgeben, das haben wir zehn Jahre nicht geschafft. Wir schaffen das jetzt gerade mit dem Sondervermögen, aber was ist danach?“ Ähnlich ist es mit der Ukraine: „Deutschland ist bei der Ukrainekrise in Europa größter Zahler, wir machen auch sehr viel, aber die Perzeption war immer, dass wir zögerlich waren“, so Heusgen. Und eben diese Zögerlichkeiten entsprächen eigentlich nicht der Rolle, die Deutschland in Europa haben sollte.

Ein weiterer wichtiger Aspekt für Europa ist aus Sicht des Chefs der Münchner Sicherheitskonferenz der Abschluss weiterer Freihandelsabkommen. Demnach sind Klimaschutz und die Einhaltung der Menschenrechte natürlich wichtig, gleichzeitig sei Europa nicht mehr in der Position, beim Abschluss weiterer Abkommen allzu viele Forderungen zu stellen.

Bündelung der Kräfte

Große Chancen und Potential sieht Dr. Christoph Heusgen in den Ländern des globalen Südens Afrika, Asien, Lateinamerika. In München versucht er ihre Vertreter mit einzubinden. Zwar sind es kleinere Märkte, in denen man sich mehr engagieren muss, doch sieht er mit Blick auf die Bevölkerungsentwicklung und das schwächelnde China hier gute Chancen. Aus diesem Grund plädiert er auch für eine Bündelung der Kräfte: So müsse die Entwicklungspolitik die Unternehmen, die im Ausland sind, unterstützten, damit sie Erfolg haben. „Die wollen uns haben, aber wir bekommen es bisher nicht hin“, so Heusgen.

Eindeutig ist Heusgens Einschätzung von Russlands Präsident Wladimir Putin mit Blick auf den Ukrainekrieg: „Putin hält uns für Weicheier und glaubt, dass er am längeren Hebel sitzt. Und da ist ganz, ganz wichtig, dass wir zeigen, dass das nicht so ist.“ Heusgen, der Putin aus seiner Zeit als außenpolitischer Berater Angela Merkels kennt, macht deutlich: „Putin ist wie ein kleines Kind: ,They smell weakness‘. Deshalb müssen wir Stärke zeigen und weiter unterstützen, bis Putin merkt, dass er das nicht gewinnen kann. Dann kann man über Kompromisse reden.“ Am besten wäre aus seiner Sicht dann eine Nato-Mitgliedschaft der Ukraine, die dem Land die Sicherheit gibt, dass Putin nicht noch einmal zurückkommt.

Gesellschaftliche Debatte über die Sicherheit

Spannend übrigens: Gefragt nach der Notwendigkeit militärischer Einsätze zur Verteidigung der wirtschaftlichen Interessen Deutschlands mit Blick auf die aktuelle Situation im Roten Meer stimmt Heusgen der Einschätzung des damaligen Bundespräsidenten Horst Köhler zu, der genau dies 2010 gefordert hatte, und zurücktreten musste. So würden derzeit die deutschen Handelsschiffe von den USA geschützt. Aber: „Natürlich müssen wir uns da engagieren. Wir haben wirtschaftliche Interessen, wir sind exportabhängig und natürlich müssen wir einen Beitrag leisten zur Sicherung der Seewege. Wir hätten da viel früher aktiver sein müssen“, ist Heusgen überzeugt. „Und hierfür braucht es eine stärkere gesellschaftliche Debatte, wie viel wir bereit sind, für unsere Sicherheit auszugeben.“

Denn, so Heusgen, Amerika werde den klassischen Schutzschirm über Europa nicht aufrechterhalten können. Unabhängig davon, wer die Präsidentschaft gewinne, müssen sich die USA auf ihre eigenen Probleme und Asien konzentrieren. So könne es mit einem Donald Trump als Präsident sein, dass er sagt, er geht aus der Ukraine raus, es könne aber auch sein, dass er nicht als Weichei dastehen will und reingeht. „Er wird versuchen, einen großen Deal zu machen“, sagt Heusgen. Darauf müsse man sich einstellen.

Für Deutschland und Europa ist für den Vorsitzenden der Münchner Sicherheitskonferenz klar: „Wir müssen mehr machen. Und wir müssen zusammenlegen und es gibt entsprechende Initiativen. Gemeinsame Rüstungsprogramme, gemeinsame Rüstungsprojekte zusammenlegen. Wir müssen da in Europa weiterkommen, wir können uns diese Kleinstaaterei nicht erlauben.“

Birgit Kalbacher