Kulturwandel für digitale Transformation

Eine Hand berührt einen beleuchteten Touchscreen mit vielen Datenpunkten
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Weg vom Fach Erdkunde, hin zur Informatik: Damit die digitale Transformation gelingen kann, bedarf es eines Umdenkens im Bildungssystem. Keynote-Speaker Gunter Dueck betont, dass wir vor allem eins tun müssen: in die Gänge kommen.

Sie wünschen sich eine neue Bildungslandschaft. Warum muss Bildung neu gedacht werden?

Gunter Dueck: Weil sich seit den 50er- und 60er-Jahren, als das Bildungssystem revolutioniert wurde, viel verändert hat. Damals war die Idee, dass wir zahlreiche Ärzte, Ingenieure und viele Lehrer benötigen, um die Menschen zum Abitur zu führen. Es war bereits erkennbar, dass wir uns von der Landwirtschaft weg und hin zu einer Wissens- und Industriegesellschaft bewegen. Deshalb wurde das Bildungssystem umstrukturiert und die wissenschaftliche Bildung, insbesondere mit Blick auf ein Physik- und Mathematikstudium, in den Vordergrund gestellt.

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Was genau meinen Sie damit?

Dueck: Gerade in der Mathematik lernt man Dinge, die später im Physikstudium benötigt werden, jedoch im täglichen Leben selten Anwendung finden. Das altbewährte Bildungssystem wurde auf der klassischen griechischen Bildung plus Physik aufgebaut. Zu dieser Zeit wurden zahlreiche Gymnasien, Fachhochschulen und das duale System etabliert. Jetzt müssen wir dasselbe erneut tun, aber nicht für das Physikstudium, sondern für die Informatik. Das traditionelle Verständnis von Mathematik und Physik aus der Schule reicht nicht mehr aus. Die Frage ist jetzt, ob und wie wir den Wandel bewerkstelligen wollen.

Wie wäre das möglich?

Dueck: Das ist eben die umstrittene Frage. Ich habe beispielsweise einen Shitstorm ausgelöst, als ich vorgeschlagen habe, Erdkunde als Unterrichtsfach abzuschaffen, mit der Argumentation, dass wir heutzutage durch vermehrtes Reisen und die Medien mehr über Erdkunde wissen als früher. Es gibt genug Anlass zu der Überlegung, dass das Fach nicht mehr zeitgemäß ist. Doch auf diesen Vorschlag gab es viel Gegenwind, ähnlich wie bei Latein als Schulfach. Dies zeigt, wie schwer es ist, etwas Neues vorzuschlagen und durchzusetzen.

In Ihrem Buch „Aufbrechen: Warum wir eine Exzellenzgesellschaft werden müssen“ haben Sie bereits vor über zehn Jahren über die wachsende Kluft zwischen „Elite und Slum“ geschrieben. Was hat das mit der aktuellen Bildungslandschaft zu tun?

Dueck: Die Gesellschaft hat sich verändert. Diese Entwicklung zeichnete sich bereits vor über zehn Jahren ab. Mit Google und Co. kommt es nicht mehr so sehr darauf an, was man alles weiß, es kommt vermehrt auf Verantwortungsbewusstsein, Eigeninitiative und kreatives Denken an.

War das früher anders?

Dueck: Ja, das war es. Die Eigenschaften, die im Zeugnis genannt und gewünscht wurden und noch immer werden, wie Ordnung, Fleiß, gute Mitarbeit, beschreiben einen braven Handwerker, der für das traditionelle Bildungssystem geeignet ist. Doch heute brauchen wir neben diesen braven Gesellen vor allem Menschen, die selbstbewusst vorangehen und Eigeninitiative zeigen.

Hier wird häufig von einer Spaltung zwischen Akademiker- und Nichtakademikerkinder gesprochen …

Dueck: Das stimmt. Es wird oft behauptet, dass es ungerecht ist, dass Kinder von Akademikern im Bildungssystem besser abschneiden als Kinder aus bildungsschwächeren Schichten. Meiner Meinung nach liegt das unter anderem daran, dass in den unteren Schichten immer noch die Vorstellung vom Handwerker als Idealbild besteht, während in höheren Bildungsschichten schon andere Eigenschaften im Vordergrund stehen. Letztendlich kann das den Unterschied machen.

Wie wirkt sich das auf den Arbeitsmarkt aus?

Dueck: Ähnlich. Auch hier besteht die Gefahr, dass unsere Gesellschaft gespalten wird. Berufe können immer mehr in einfache Tätigkeiten unterteilt werden, die auf Mindestlohn-Niveau ausgeübt werden, und komplexere Tätigkeiten, für es hochqualifizierter Menschen bedarf.

Ein Beispiel?

Dueck: Denken Sie an den Dachdecker, der heute auch Kenntnisse in Photovoltaik haben muss. Oder an den Automechaniker, der aufgrund der E-Autos mehr Verständnis für Informatik benötigt. Weiterbildungen spielen hier eine wichtige Rolle. Insbesondere im Pflegebereich könnte dies eine Chance sein, verstärkt duale Studiengänge anzubieten.

Warum gerade im Pflegebereich?

Dueck: Weil es sinnvoll wäre, die Angestellten endlich angemessen zu bezahlen, insbesondere da Krankenschwestern immer qualifizierter werden und mehr Verantwortung übernehmen müssen. Diese mittlere Ebene kann damit auf das Niveau des gehobenen Dienstes gebracht werden.

Einfache Tätigkeiten werden dann künftig von Robotern übernommen?

Dueck: Im Idealfall ja. Mit den neuen Technologien können bestimmte Tätigkeiten automatisiert werden. Viele behaupten noch, dass KI nicht funktionieren wird, aber sie ist erst seit ein paar Monaten in dieser Form verfügbar. Wir müssen die nächsten Jahre abwarten, aber ich bin überzeugt, dass ganze Branchen umgekrempelt werden. In der Baubranche werden bereits Häuser in Modulbauweise oder mit 3D-Druck hergestellt. In Zukunft können damit viele körperliche Arbeiten vermieden werden. Wir müssen uns für diese neue Ära öffnen.

Und das fällt uns schwer?

Dueck: In Deutschland haben wir Probleme damit, in die Gänge zu kommen. Ein typisches Beispiel ist die Digitalisierung im öffentlichen Dienst. Die Menschen wissen, dass sie die Digitalisierung vorantreiben müssen, da es an Personal mangelt. Aber anstatt sich neuen Technologien zu öffnen, werden weiterhin Überstunden gemacht und es wird versucht, Personal einzustellen. Es fehlt oft der Wille, Veränderungen anzunehmen ohne vorher auf einen Zusammenbruch zu warten.

Denn dann ist es oft zu spät…

Dueck: Genau das erlebe ich häufig. Die Menschen halten an Altbewährtem fest, bis es nicht mehr funktioniert. Erst dann greifen sie nach den Lösungen, die sie hätten retten können.

Wie sieht es bei den Unternehmen aus?

Dueck: In Unternehmen ist es meiner Erfahrung nach ähnlich. In den 70er- und 80er-Jahren wurde viel experimentiert. Mit dem Aufkommen des sogenannten Lean Managements wurde alles so kostengünstig wie möglich gestaltet und es wurden Rücklagen anders eingesetzt, sodass diese heute oft fehlen. Hier benötigen wir eine neue Generation an Managern, die mutiger vorangehen. Wir brauchen nicht nur eine neue Bildungslandschaft, sondern einen Kulturwandel.

Interview: Teresa Zwirner

Zur Person

Prof. Dr. Gunter Dueck ist Sachbuchautor und gefragter Keynote-Speaker in Deutschland zu Digitalisierungs- und Bildungsthemen. Der Mathematiker beschäftigt sich schon lange mit der Digitalisierung. Bei IBM war er 25 Jahre lang unter anderem Chief Technology Officer.