Zeit umzusteigen

Lange auf den Bus oder die Bahn warten muss man in Neckarsulm nicht. Hier fahren diese Verkehrsmittel etwa alle zehn Minuten. In der kleinen Gemeinde Ittlingen sieht das anders aus. Wir haben mit HNV-Geschäftsführer Gerhard Gross über dieses Gefälle gesprochen.

Man kann natürlich nicht Wasser predigen und Wein trinken. So sollte jemand, der einem Unternehmen vorsteht, das Elektroautos baut, nicht unbedingt mit einem zwölf Liter auf 100 Kilometer verbrauchenden, alten Dieselfahrzeug durch die Straßen navigieren. Nur als Beispiel. Es geht dabei um Vorbildfunktion und Verantwortung. Genau deshalb fährt Gerhard Gross jeden Tag morgens mit der Stadtbahn von Böckingen nach Heilbronn zur Arbeit und abends wieder zurück nach Hause. Er ist nämlich Geschäftsführer der Heilbronner Hohenloher Haller Nahverkehr GmbH, kurz HNV, mit Sitz einen Steinwurf vom Hauptbahnhof der Käthchenstadt entfernt.

Auch in seiner Freizeit nutzt er gerne die öffentlichen Verkehrsmittel, die ihm – und genauso allen anderen Mitbürgern – zur Verfügung stehen. „Es gibt gute und vielfältige Möglichkeiten, Bus und Bahn in sein Mobilitätsverhalten einzubauen“, findet Gross. Man müsse es nur wollen.

Wollen ist ein wichtiges Stichwort im Zusammenhang mit Angebot und Nachfrage des öffentlichen Personennahverkehrs (ÖPNV). Immerhin 50 Millionen Fahrgäste pro Jahr nehmen im Verbundnetz des HNV die vorhandenen Verkehrsmittel in Anspruch. „Das sind 170.000 Passagiere täglich“, rechnet es Gross herunter. Freilich seien 50 Prozent davon Schüler und Auszubildende. Doch auch viele Jobpendler und sogenannte Gelegenheitskunden würden die Vorteile des Schienen- und Linienverkehrs zu schätzen wissen. „Der ÖPNV ist viel besser als sein Ruf“, weiß der Geschäftsführer, der seit Gründung des HNV 1997 auf dessen Chefsessel sitzt. „Das Angebot ist gut, aber manche nehmen es leider nicht zur Kenntnis. Natürlich kann auch ein gutes Angebot noch weiter verbessert werden.“

Schnupperticket

Möchte man beispielsweise von Neckarsulm, eine von drei Großen Kreisstädten im Landkreis Heilbronn mit fast 27.000 Einwohnern, ins benachbarte Heilbronn fahren, so kann man sich laut der elektronischen Fahrplanauskunft auf der Internetseite des HNV darauf verlassen, dass etwa alle zehn Minuten ein Bus kommt. Wohnt man etwa in Ittlingen, einer 2000-Seelen-Gemeinde im Westen der Raumschaft, und das Ziel ist ebenfalls die Neckarstadt, fährt nur jede Stunde ein Bus – und man muss auch noch je nach Verbindung dreimal umsteigen. Ein krasses Gefälle zwischen urbanem und ländlichem Raum. Daher muss auch der 61-Jährige einräumen: „Je dünner die Besiedlung, desto schwächer ist auch das Angebot.“

Dennoch sieht er den Landkreis Heilbronn im Gesamten betrachtet hinreichend aufgestellt. „Auch kleine Orte sind hier noch relativ gut angebunden, mir sind keine bekannt, die total abgehängt wären.“ Man dürfe allerdings bei aller Kundenfreundlichkeit eines nicht außer Acht lassen: die Wirtschaftlichkeit. „Es hat wenig Sinn, einen Linienbus, in dem zwei Leute sitzen, durch die Gegend zu schicken.“ Für solche Fälle – wenn die Nachfrage in bestimmten Zonen wie eben Ittlingen oder Jagsthausen überschaubar ist – sorgt der HNV für Alternativen wie Anruftaxis oder -busse.

Obwohl sich der Verkehrsverbund über seine Fahrgastzahlen nicht beklagen kann, ist er trotzdem bemüht, auch immer wieder neue Kunden zu gewinnen. Eine Maßnahme für diesen Zweck ist das sogenannte Neubürgermarketing für die Städte Heilbronn und Neckarsulm.

Gleichzeitig möchte man den Berufsverkehr in diesen Ballungszentren damit eindämmen. Schließlich pendeln allein nach Neckarsulm täglich 41 000 Arbeitnehmer. Die Stadt erstickt nahezu an dieser Masse – und blickt man in die Autos, so fällt sofort auf, dass die meisten nur einen Insassen transportieren. Mit einem zweiwöchigen Schnupperticket, das kostenlos ist, möchte der HNV nun seit Anfang September Neubürger dazu bewegen, auf öffentliche Verkehrsmittel umzusteigen. „Wer sich bei den beiden Einwohnermeldeämtern registriert, erhält ein Willkommenspaket mit einer Anforderungskarte für dieses Schnupperticket“, erklärt der studierte Geograf. „Der Zeitpunkt des Umzugs ist einfach der ideale, um sein Mobilitätsverhalten zu überdenken.“

Olga Lechmann