Zwei Drittel der deutschen Manager halten Nachhaltigkeit für wirtschaftlich sinnvoll

Nachhaltigkeit
"Die Folgen des Klimawandels und ihre Kosten sind offenkundig. Das motiviert viele zu handeln“, sagt Julia Müller, Head of Sustainable Futures bei Capgemini Invent in Deutschland. Foto: Capgemini

Innerhalb eines Jahres hat sich laut einer aktuellen Studie der Anteil der Führungskräfte, die einen geschäftlichen Nutzen von Nachhaltigkeit erkennen, in Deutschland mehr als verdreifacht.

Angesichts rekordverdächtiger Temperaturen und zunehmender Naturkatastrophen sehen heute im Vergleich zu 2022 weltweit dreimal mehr Führungskräfte aus allen Branchen den unternehmerischen Nutzen von Nachhaltigkeit. Immer mehr Manager erkennen auch die Vorteile nachhaltiger Geschäftspraktiken und -prozesse, wie die neue Studie „A World in Balance 2023“ des Capgemini Research Institute feststellt. Für größere Fortschritte wäre allerdings auch ein Anstieg der Investitionen nötig.

„Rekordtemperaturen auf allen Kontinenten, extreme Wetterereignisse und ein neues Ausmaß an Schäden: Der Sommer und Herbst 2023 waren sehr beunruhigend. Die Folgen des Klimawandels und ihre Kosten sind offenkundig. Das motiviert viele zu handeln“, sagt Julia Müller, Head of Sustainable Futures bei Capgemini Invent in Deutschland. „Das Umsetzungstempo allerdings ist noch nicht hoch genug. Die meisten Führungskräfte wissen inzwischen: Es lohnt sich voranzugehen und einen strategischen Vorteil zu erlangen. Wir erwarten daher, dass Unternehmen verstärkt in zukunftsweisende Initiativen investieren und ihre Geschäftsmodelle auf nachhaltige Produkte und Services hin ausrichten. Je früher sie Nachhaltigkeit strategisch umsetzen, desto stärker werden sie die Vorteile spüren.“

Katastrophen und regulatorischer Druck motivieren zu nachhaltiger Transformation

Die Studie ergab, dass weltweit 63 Prozent (und in Deutschland 67 Prozent) der Führungskräfte den wirtschaftlichen Nutzen von Nachhaltigkeit als gegeben betrachten. Im Sommer 2022 vertraten diese Meinung weltweit nur 21 Prozent (und in Deutschland 18 Prozent. Darüber hinaus denkt heute ein geringerer Anteil der Manager, dass die Kosten von Nachhaltigkeitsinitiativen ihren Nutzen überwiegen: Dieser Wert ist von 53 Prozent auf 24 Prozent gesunken. Ähnlich stark ist der Anteil derjenigen zurückgegangen, die Nachhaltigkeitsinitiativen für eine finanzielle Belastung halten: von weltweit 53 auf 22 Prozent, in Deutschland von 54 auf 15 Prozent.

Die Zunahme extremer Wetterereignisse, von der alle Kontinente betroffen sind, und der damit verbundene Kostenanstieg trage laut der Studie sicherlich stark zu dieser veränderten Wahrnehmung bei. Als die wichtigsten Motive zur Einführung von Strategien und Initiativen für ökologische und/oder soziale Nachhaltigkeit identifizierte die Studie jedoch die Regulatorik und den erwarteten Return on Investment (ROI): Drei Viertel (74 Prozent) der Führungskräfte erhoffen sich, auf diesem Weg ihre zukünftigen Umsätze zu steigern (gegenüber 52 Prozent im Jahr 2022); 64 Prozent nennen die Einhaltung geltender Regularien als wichtigsten Grund (gegenüber 51 Prozent im Jahr 2022).

Stimmungsumschwung führt bisher nicht zu Investitionsanstieg

Die Organisationen machen laut der Studie seit vorigem Jahr deutliche Fortschritte bei ihren Nachhaltigkeitskonzepten: 61 Prozent der Führungskräfte (gegenüber 49 Prozent im Jahr 2022) geben an, dass ihr Unternehmen über eine Prioritätenliste von Nachhaltigkeitsinitiativen verfügt, die sie in den kommenden drei Jahren umsetzen wollen. Laut 57 Prozent der Befragten (gegenüber 37 Prozent 2022) gestaltet ihr Unternehmen aktuell sein Geschäfts- oder Betriebsmodell nachhaltig um.

Durch diesen positiven Wandel allein – ohne steigende Investitionen in Maßnahmen zur Eindämmung des Klimawandels – sind aus Sicht der Studienautoren allerdings nur begrenzte Auswirkungen zu erwarten. Die Investitionen in ökologische Nachhaltigkeitsinitiativen und -praktiken sind demnach 2023 gegenüber dem Vorjahr branchenübergreifend um lediglich 0,01 Prozentpunkte des Gesamtumsatzes gestiegen.

Auch bei der Berichterstattungstätigkeit, insbesondere dem Messen und Erfassen von Scope-3-Emissionen, sind die Unternehmen laut der Studie weiterhin im Rückstand. Der Anteil der Führungskräfte, die angeben, dass ihr Unternehmen in der Lage ist, Daten zu Scope-1- und Scope-2-Emissionen zu messen und zu erfassen, ist demnach im Vergleich zum Vorjahr unverändert geblieben. Bei den Scope-3-Emissionen ist der Anteil weltweit von 60 Prozent im Jahr 2022 auf 51 Prozent im Jahr 2023 gesunken – in Deutschland sogar von lediglich 52 auf nur noch 38 Prozent. Auch im Bereich der Entwicklung nachhaltiger Produkte gibt es kaum Fortschritte.

Soziale Nachhaltigkeit rückt auf Unternehmensagenden nach oben

Mehr als die Hälfte der Führungskräfte weltweit (56 Prozent, in Deutschland 50 Prozent) gibt an, dass ihr Unternehmen sich zunehmend auf die soziale Dimension des ESG-Bereichs (Umwelt, Soziales und Unternehmensführung) konzentriert – wovon insbesondere die eigenen Mitarbeitenden profitieren. Die Studie ergab, dass für die Arbeitnehmer entlang der Lieferketten deutlich mehr getan werden könnte: Zwar achten fast zwei Drittel (64 Prozent) der Unternehmen bei der Auswahl ihrer Lieferanten auf deren ESG-Bewertungen und Umweltschutzversprechen, aber nur 38 Prozent der Befragten weltweit (sowie 33 Prozent der deutschen) arbeiten ausschließlich mit Lieferanten zusammen, die existenzsichernde Löhne zahlen.

Fehleinschätzung zur Wahrnehmung von Greenwashing

Der Studie zufolge unterschätzen die befragten Manager, für wie wahrscheinlich Konsumenten das Risiko von Greenwashing halten: Nur 17 Prozent der Führungskräfte weltweit (und 13 Prozent in Deutschland) gehen davon aus, dass die Verbraucher ihre Nachhaltigkeitsinitiativen als Greenwashing wahrnehmen. Demgegenüber glauben weltweit 33 Prozent der Verbraucher (und 34 % der deutschen), dass Unternehmen und Marken Greenwashing bei ihren Nachhaltigkeitsinitiativen betreiben.

Am misstrauischsten gegenüber Nachhaltigkeitsversprechen sind Verbraucher in Indien (45 Prozent) und Kanada (43 Prozent). Im Vereinigten Königreich dagegen ist dieser Verdacht am wenigsten verbreitet (16 Prozent). In der Generation Z wiederum gibt es weltweit mit 50 Prozent – und 63 Prozent in Deutschland – die weitaus meisten Skeptiker gegenüber Nachhaltigkeitsversprechen, dreieinhalbmal mehr als unter den Babyboomern (18 Prozent). Letztendlich vertrauen 49 Prozent der Verbraucher nie, selten oder nur manchmal einer Umweltschutzaussage, wenn sie einen Kauf erwägen. In der Generation Z schauen 65 Prozent der Konsumenten in Kaufsituationen genau hin.

„Mehr Sicherheit gegen Greenwashing will die EU Verbrauchern zukünftig mit der Green-Claims-Direktive geben. Positive Angaben zu Umweltauswirkungen wären dann wissenschaftlich zu belegen. Allerdings tendieren bereits seit längerem viele Unternehmen zum sogenannten Green Hushing: Sie treffen aus Vorsicht vor möglichen Reputationsverlusten keine Aussagen mehr zur Nachhaltigkeit ihrer Produkte und Services,“ erläutert Julia Müller. „Der nachhaltigen Transformation unserer Wirtschaft dient diese Zurückhaltung nicht, da sie die öffentliche Aufmerksamkeit für die Thematik senkt. Engagierte Unternehmen dagegen können sich in dieser Situation umso besser vom Wettbewerb abheben, wenn sie sich eine verlässliche Datengrundlage erarbeiten und ihre Fortschritte transparent kommunizieren.“

Generative KI als zentraler Bestandteil von Nachhaltigkeitsstrategien

Unternehmen setzen ihre Hoffnung auf Digitaltechnologie – insbesondere auf generative KI, um ihre Nachhaltigkeitsziele zu verfolgen. Mehr als die Hälfte (59 Prozent) der Führungskräfte weltweit – und gut zwei Drittel der deutschen (67 Prozent) – glaubt, dass sie eine Schlüsselrolle bei der Transformation ihrer Unternehmen in Richtung Nachhaltigkeit spielen wird. Zugleich unterstreicht ein ähnlich hoher Anteil der Führungskräfte (weltweit 57 Prozent sowie 56 der deutschen), dass ihr Unternehmen bereits Maßnahmen ergriffen hat, um die Umweltauswirkungen des Einsatzes generativer KI-Modelle zu minimieren.

red.