Zwischen Klimakrise und Artenschutz

„Landwirtschaft ist die wichtigste Zukunftstechnologie der Welt“, sagt Dirk Steffens. Fotos: GEO Film, RTL

Der Einsatz von Erneuerbaren Energien ist wichtig. Aber es geht um mehr. Wissenschaftsjournalist Dirk Steffens plädiert dafür, die Zusammenhänge im Blick zu behalten. Denn die Klimakrise bedroht zwar unsere Lebensweise, doch beim Artenschutz geht es um die menschliche Existenz.

Unternehmen wollen Treibhausgase reduzieren und mehr Erneuerbare Energien einsetzen – aber das reicht Ihrer Meinung nach nicht. Können Sie erläutern, warum?

Dirk Steffens: Wenn wir unsere Welt schützen wollen, dürfen wir nicht nur über die Klimakrise diskutieren. Alle Biosysteme der Erde müssen funktionieren, damit Leben auf dem Planeten möglich ist.

Bei all den Problemen, die es im Bereich Umweltschutz gibt, rücken Sie das Artensterben in den Mittelpunkt.

Steffens: Das Artensterben ist eines der gravierendsten Umweltprobleme unserer Zeit. Um es auf den Punkt zu bringen: Der Klimawandel stellt in Frage wie wir leben, das Artensterben aber, ob wir leben. Unser Planet stellt uns alles Notwendige zum Überleben zur Verfügung, dank der Millionen Arten. Ohne sie gäbe es keine Atmosphäre, kein Wasser, keinen fruchtbaren Boden. Stellen Sie sich die Erde wie ein Raumschiff vor, das durch das Universum reist. Im Universum selbst kann kein Leben existieren, daher ist unser Planet unser einziges Lebenserhaltungssystem. Wenn wir jeden Tag 150 Arten verlieren, ist es, als würden täglich 150 Teile aus dem Maschinenraum unseres Raumschiffs entfernt werden, so lange, bis es auseinanderbricht.

Wie kritisch ist die Lage?

Steffens: Die natürliche Aussterberate ist um das Tausendfache erhöht. Schätzungsweise gehen jeden Tag 150 Tier- und Pflanzenarten verloren. Der Weltbiodiversitätsrat befürchtet, dass bis zum Ende dieses Jahrhunderts eine Million von insgesamt acht Millionen Arten aussterben könnte.

Wie kann man entgegenwirken?

Steffens: Das ist deutlich komplexer als beispielsweise die Bekämpfung der Klimakrise. Bei der Klimakrise hat man nur einen einzigen Feind: die Treibhausgase. Wenn man diese reduziert, ist das Problem schon viel kleiner. Beim Artensterben handelt es sich jedoch um ein multikausales Problem, das von der Zerstörung der Lebensräume von Pflanzen und Tieren bis hin zum Klimawandel und zur Überjagung reicht.

Wird in den Medien und in der Wirtschaft dann nicht viel zu kurz gedacht?

Steffens: Ja, die ausschließliche Fokussierung auf die Klimakrise kann sogar teilweise gefährlich für den Artenschutz sein. Nehmen wir zum Beispiel die Errichtung eines Staudamms zur Stromerzeugung: Das ist gut für das Klima, aber schlecht für alle Lebewesen im betroffenen Ökosystem. Es ist also möglich, das Klima zu schützen und der Natur Schaden zuzufügen.

Sollten Unternehmen Ihren Fokus dann nicht anders legen?

Steffens: Nicht unbedingt. Artenschutz und Klimaschutz hängen natürlich eng zusammen, daher spricht grundsätzlich nichts dagegen, wenn Unternehmen besonders viel für den Klimaschutz tun. Allerdings dürfen keine naiven gedanklichen Fehler gemacht werden, wie im Beispiel des Staudammbaus. Oder bei den Flugeinschränkungen während der Pandemie.

Was meinen Sie damit?

Steffens: Für das Klima war die Einschränkung privater Fernflüge natürlich gut. Ohne Fernreisen fehlte aber in Asien, Afrika und Südamerika das Geld aus dem Tourismus, um Wildhüter, Waldschützer und indigene Gemeinschaften zu bezahlen. Die haben sich dann in ihrer Not andere Einkommensquellen gesucht oder sind gleich selbst zu Wilderern geworden.

Können Sie hier ein Beispiel nennen?

Steffens: Sie haben ein paar hungrige Kinder zu Hause und zwei Möglichkeiten, sie satt zu bekommen. Sie können Touristen herumführen und ihnen die Elefanten zeigen, um Geld für Nahrung und Schule zu bekommen. Wenn die Touristen jedoch ausbleiben, müssen sie die Elefanten erschießen, damit ihre Kinder etwas zu essen haben. Genau dieser Effekt ist damals zum Teil eingetreten: Die illegale Abholzung und die Wilderei sind explodiert. Das Beispiel zeigt: Es gibt nie einfache Antworten für komplexe Probleme. Simple Forderungen sind immer zu kurz gedacht.

Wie könnte man hier – gerade mit Blick auf Unternehmen und unser Wirtschaftssystem – weiterdenken?

Steffens: Verkürzt auf eine Formel ist es so: Es kommt nicht nur darauf an, was wir tun, sondern vor allem, wie wir es tun. Es geht nicht darum, in allen Lebensbereichen zu verzichten, sondern die Prozesse zu optimieren, effizienter zu machen, zu modernisieren und Kreislaufwirtschaften zu etablieren.

Sind wir auf dem richtigen Weg oder können wir uns noch verlaufen?

Steffens: Die Menschheit hat immer das Potenzial, sich zu verlaufen. Aber es ist der einzig mögliche Weg, Probleme anzugehen. Denn jeder Handwerker, jeder Manager und jede Unternehmensgründerin weiß aus ihrem eigenen Tätigkeitsbereich am besten, wo die Probleme und möglichen Lösungen liegen. Das kann man nicht zentral aus Berlin für unser Land verordnen. Es ist wichtig, die praktischen Entscheidungen auf die unterste Ebene zu verlagern, aber die oberste Ebene muss klare Ziele vorgeben.

Ist diese Entscheidungsfreiheit aktuell gegeben?

Steffens: Im Moment haben wir eine Politik, die in die einzelnen Prozesse – egal ob landwirtschaftliche Produktionsprozesse oder Vorgaben für die Großindustrie – eingreifen möchte. In der Praxis führt das zu Problemen.

Wieso?

Steffens: Ein Beispiel aus der Landwirtschaft: Standardisierte Richtlinien für die Breite von Blühstreifen, vorgeschriebene Saatmischungen und Zeitpunkte für die Aussaat passen nicht zu den Bedingungen jedes Betriebs. Die Bodenbeschaffenheit variiert, das Wetter ändert sich und jedes Feld hat seine eigenen Gegebenheiten. Es wäre sinnvoller, den Landwirten die Entscheidung zu überlassen, wann und wie sie ihre Umweltziele erreichen, während die Ziele selbst vorgegeben werden.

Stichwort Landwirtschaft: In Ihrem aktuellen Buch „Eat It! Die Menschheit ernähren und dabei die Welt retten“ erklären Sie, dass kluge Landwirtschaft das Klima schonen, die Artenvielfalt schützen und dabei die Menschen ernähren kann…

Steffens: Die Landwirtschaft gilt als die grundlegendste Zukunftstechnologie der Welt, da sie die lebensnotwendige Nahrung für jeden Menschen bereitstellt. Ohne eine funktionierende Nahrungserzeugung sind sämtliche Diskussionen über Energieerzeugung, Mobilität oder Flugreisen obsolet. Des Weiteren kann die Landwirtschaft zum ökologischen Gleichgewicht des Planeten beitragen. Unternehmen, die hier innovative und nachhaltige Technologien frühzeitig etablieren, werden im internationalen Wettbewerb einen bedeutenden Vorsprung erlangen.

Eine der größten Milchfabriken der Welt steht in Saudi-Arabien mitten in der Wüste. Wie passt das mit dem künftigen Plan für die Landwirtschaft zusammen?

Steffens: Sie haben die berechtigte Frage gestellt, ob die Menschheit sich noch verlaufen kann. Der Kuhstall in Saudi-Arabien ist ein Paradebeispiel für die Fehler der globalisierten industriellen Landwirtschaft. Täglich müssen tausende Tonnen an Futter importiert werden. Andererseits zeigt der Fortschritt in unserer eigenen Landwirtschaft, dass wir in die richtige Richtung gehen können – und diesen Weg sollten wir konsequent weiterverfolgen.

Sie blicken also optimistisch in die Zukunft?

Steffens: Absolut. Angesichts der Tatsache, dass wir nur einen Planeten haben, müssen wir eine Lösung finden. Unsere Unternehmen sind bereits auf einem guten Weg. Betrachten wir die Dinge rein wissenschaftlich, so liegen für praktisch alle großen Sachprobleme auch entsprechende Lösungen vor. Unser Problem liegt nicht in der Erkenntnis, sondern vielmehr in der Umsetzung.

Interview: Teresa Zwirner

Zur Person

Dirk Steffens ist einer der bekanntesten und renommiertesten Wissenschaftsjournalisten Deutschlands, spezialisiert auf Umwelt- und Naturthemen. Der Dokumentarfilmer, TV-Moderator und Buchautor arbeitet seit 2022 für die Film- und Print-Redaktionen von GEO. Das gemeinsam mit Fritz Habekuß veröffentlichte Buch „Über Leben“ wurde 2020 ebenso zum Bestseller wie „Projekt Zukunft“ 2021 und „Eat It!“ 2023. Für seine Arbeit wurde er mit zahlreichen Preisen ausgezeichnet, darunter das Bundesverdienstkreuz, der Heinz Sielmann Ehrenpreis, der Walter-Scheel-Preis, die Goldene Kamera und der Deutsche Fernsehpreis. Die Universität Bayreuth verlieh ihm zudem die Ehrendoktorwürde für Geowissenschaften.