Heilbronner Landrat im Interview über die Aufgaben des Landkreises

Will die Themen der Zukunft anpacken: Norbert Heuser, Landrat des Landkreises Heilbronn. Foto: Landratsamt Heilbronn

Pandemie, Flüchtlinge, Energiepreise, Klimawandel: Die To-do-Liste des neuen Landrats Norbert Heuser ist lang. Welche Aufgaben im Landkreis Heilbronn ganz oben stehen und worauf sich die Wirtschaft einstellen sollte, erläutert er im Interview.

Vor Ihrer Wahl zum Landrat waren Sie 19 Jahre lang Bürgermeister von Neuenstadt. Wie ist es für Sie, nicht mehr nur die Verantwortung für eine Kommune zu tragen, sondern für einen ganzen Landkreis?

Norbert Heuser: Meine Kandidatur und mein Wechsel in das Amt des Landrates habe ich noch keinen Tag bereut. Meine Aufgabe als Bürgermeister in Neuenstadt habe ich 19 Jahre lang mit sehr viel Freude und Herzblut ausgeübt. Mir war und ist es jedoch auch wichtig, diese Chance zu nutzen und wichtige Themen über kommunale Grenzen hinweg, mit allen Akteuren der Region, voranzutreiben.

Sie sind in einer Zeit Landrat geworden, die an Herausforderungen nicht gerade arm ist. Welche Themen und Aufgaben stehen aktuell ganz oben auf Ihrer To-do-Liste?

Heuser: An Herausforderungen und Aufgaben fehlt es uns aktuell wirklich nicht. Die Unterbringung von Geflüchteten – nicht nur aus der Ukraine – sowie die Coronapandemie und ihre Auswirkungen binden viel personelle Kapazitäten im Landratsamt. Wir beschäftigen uns darüber hinaus aber auch noch mit weiteren wichtigen Themen. Im Bereich der Abfallwirtschaft und der Bildung stehen wegweisende Entscheidungen für den Landkreis an. Die Sanierung oder der Neubau unseres Kreisberufsschulzentrums wird eines der größten Investitionsprojekte in den kommenden Jahren sein. Auch der Klimaschutz und der Ausbau einer nachhaltigen und flächendeckenden Mobilität sind mir wichtige Anliegen und müssen neben den aktuell dringlichen Themen auch im Blick behalten werden.

Wie bereitet sich der Landkreis auf einen verstärkten Zustrom von Flüchtlingen aus der Ukraine vor?

Heuser: Bereits seit Ende 2021 kommen wieder mehr Geflüchtete aus ganz unterschiedlichen Ländern zu uns in den Landkreis. Wir haben daher schon im letzten Jahr damit begonnen, die Unterbringungskapazitäten zu erhöhen und sind auch momentan stetig dabei, weitere zu schaffen. Welche Auswirkungen der Krieg in der Ukraine auf unser Leben und unsere Gesellschaft in den kommenden Wochen und Monaten haben wird, können wir noch nicht abschätzen. Mit der entsprechenden Solidarität werden wir aber auch diese Herausforderung meistern.

Wie bewerten Sie das Engagement der Kommunen im Landkreis Heilbronn in dieser Frage?

Heuser: Ich bin sehr dankbar für das große Engagement in der Bevölkerung und die vielen Wohnraumangebote aus den Kommunen. Gemeinsam mit den Städten und Gemeinden im Landkreis Heilbronn ist es unser oberstes Ziel, den ankommenden Geflüchteten einen sicheren Zufluchtsort anbieten zu können.

Flüchtlinge müssen auch medizinisch versorgt werden. Wie kann das Gesundheitswesen im Kreis, das bereits durch Corona belastet ist, diesen zusätzlichen Aufwand bewältigen?

Heuser: Die Mitarbeitenden sowohl in den Kliniken als auch bei den niedergelassenen Ärzten arbeiten seit über zwei Jahren oft am Limit. Ich bin sehr dankbar für das große Engagement jedes Einzelnen. Im Klinikbereich haben wir uns durch die Strukturreformen zukunftssicher aufgestellt, was uns nun hilft. Bei den niedergelassenen Haus- und Fachärzten kommt es allerdings aktuell schon zu Versorgungsschwierigkeiten, weshalb die Sicherstellung einer guten medizinischen Behandlung hier nicht einfach sein wird.

Eine weitere Herausforderung ist, sich für die Folgen des Klimawandels zu wappnen. Was plant der Landkreis in Sachen Klimaanpassung und Ausbau erneuerbarer Energien?

Heuser: Der Klimawandel und dessen Folgen sind weltweit spürbar. Ein zeitnaher Wandel weg von fossilen Brennstoffen, hin zu erneuerbaren Energien ist daher unabdingbar. In Anbetracht der momentanen Situation gilt es jedoch vorrangig, die Energieversorgung der Bevölkerung sicherzustellen. Ein möglichst breites Spektrum an unterschiedlichen Energiequellen hilft dabei, die Abhängigkeit von einzelnen Ländern und Energiequellen zu reduzieren. Mit den wichtigsten Zukunftsfragen rund um das Thema Klimaerwärmung und Energieversorgung im Landkreis setzen wir uns bereits heute auseinander. Zur Stärkung der landkreisweiten Klimaschutzmaßnahmen wird ein Klimaschutzkonzept erstellt, in dem die Handlungsfelder erneuerbare Energien und Anpassung an den Klimawandel berücksichtigt werden. Als Kernpartner beim Photo­voltaik-Netzwerk Heilbronn-Franken engagieren wir uns zudem beim landesweiten Photovoltaikausbau. Um für das Thema zu sensibilisieren, zu werben und den Ausbau zu beschleunigen, veranstalten wir jährlich mehrere Informationsveranstaltungen und betreiben umfangreiche Netzwerk- und Kommunikationsarbeit zur Förderung von Photovoltaik.

Ist es vor dem Hintergrund des Klimaschutzes noch zeitgemäß, neue Industriegebiete für Unternehmensansiedlungen auszuweisen und damit die Flächenversiegelung voranzutreiben?

Heuser: Aus meiner Sicht gilt es hier, eine gute Balance zwischen einem möglichst geringen Flächenverbrauch und der Aufrechterhaltung einer zukunftsfähigen Wirtschaft zu finden. Denn eine vollständige Vermeidung von Flächenversiegelungen führt zu einer Stagnation der Wirtschaft und deren Unternehmen. Und es gibt ja auch Unternehmen, die wir für die künftige Energiewende brauchen, gerade im Bereich der Zukunftstechnologien und Energiegewinnung. Hier müssen wir manchmal einen Schritt zurück machen, um zwei nach vorn gehen zu können.

Gestörte Lieferketten und steigende Energiepreise bereiten Unternehmen Probleme. Wie bewerten Sie aus Ihrer Sicht die aktuelle Lage?

Heuser: Die momentane Situation zeigt, wie empfindlich und anfällig unsere Lieferketten sind. Die Lieferengpässe stellen Unternehmen vor eine große Herausforderung und schmälern das durch die Corona-Pandemie ohnehin schon geschwächte Wirtschaftswachstum. Hinzu kommen steigende Energiepreise sowie Rohstoffknappheit. Wie sich unsere Wirtschaft in naher Zukunft entwickeln wird, kann keiner von uns bei der derzeitigen Lage in Europa vorhersehen. Es muss alles unternommen werden, damit es möglichst nicht zu einer „Zwangsabschaltung“ in der Industrie kommt.

Was kann der Landkreis tun, um Unternehmen in der aktuellen Situation zu unterstützen?

Heuser: Eine unmittelbare finanzielle Unterstützung der Unternehmen dürfen wir rechtlich gar nicht durchführen. Dies geschieht im Wesentlichen über Instrumente des Landes und des Bundes. So hat die Bundesregierung jüngst zwei milliardenschwere Hilfspakete für Unternehmen in Deutschland beschlossen. Die Wirtschaftsförderung Raum Heilbronn GmbH (WFG) und die Wirtschaftsregion Heilbronn-Franken GmbH (WHF) sind die Gesellschaften, die im Auftrag des Landkreises für Wirtschaftsförderung und Standortmarketing zuständig sind. Beide werden voraussichtlich im Juli das Projekt „Transformotive“ starten, das die Transformation in der Region entscheidend vorantreiben wird. Diesen Kraftakt wollen wir gemeinsam mit den regionalen Akteuren stemmen. Aktuell warten wir auf den Bewilligungsbescheid, damit diese wertvolle Unterstützung für die Unternehmen in der Region beginnen kann.

Wie sehen Ihre Pläne aus, um die Standortqualität und Attraktivität des Landkreises für Unternehmen auch in Zukunft zu gewährleisten?

Heuser: Um Firmen und Weltmarktführer in der Region halten zu können und als Landkreis auch für Unternehmen interessant zu bleiben, wird unter anderem die künftige Energieversorgung immer bedeutender. Mir persönlich liegt das Thema grüner Wasserstoff als eine mögliche alternative Energiequelle sehr am Herzen, denn es gilt, gleichzeitig die Versorgung sicherzustellen und die Unternehmen bei der notwendigen Dekarbonisierung ihrer Produktionsprozesse zu unterstützen. Daran arbeiten in verschiedenen Projekten, insbesondere das DLR in Lampoldshausen, die WFG und ganz viele Unternehmen und Forschungsinstitutionen der Region. Zudem wird auch der weiter zunehmende Fachkräftemangel im privaten wie öffentlichen Wirtschaftssektor immer problematischer. Als Landrat sehe ich daher unsere Aufgabe darin, dem Fachkräfte­mangel, auch bedingt durch den demographischen Wandel, mit attraktiven Bildungs- und Studienangeboten entgegenzuwirken. Auch der Ausbau eines flächendeckenden Glasfasernetzes ist für eine zukunftsfähige Wirtschaft unerlässlich. Um diesen Ausbau und den Betrieb des lückenlosen Glasfasernetzes zu realisieren, werbe ich eindringlich dafür, diese einmalige Chance zu ergreifen. Ich kann nur an alle Unternehmen sowie an die Bürgerinnen und Bürger appellieren: Nutzen Sie diese Gelegenheit, um Ihr Unternehmen und Ihr Zuhause fit für die Zukunft zu machen.

Interview: Dirk Täuber