„Bau ist eine Schlüsselbranche“

„Mehr als Pläne abarbeiten und Fahrzeuge bereit stellen“: Ingenieurskapazitäten gilt es sinnvoll einzusetzen, auch und gerade im Bereich der Bauplanung. Foto: HDB Bollhorst, Adobe Stock/Petair

Nachhaltiges Bauen ist möglich – die Branche braucht aber modifizierte Rahmenbedingungen, sagt Verbandschef Tim-Oliver Müller. Mehr noch: Es müsse unbedingt anders gebaut werden.

Wie hat sich das Thema nachhaltiges Bauen entwickelt?

Tim-Oliver Müller: Noch vor zehn Jahren war Nachhaltigkeit kaum ein Thema. Allein in den vergangenen zwei, drei Jahren hat sich aber Wesentliches getan – und tatsächlich ist der Bau eine der Schlüsselbranchen, wenn es um Klima und Nachhaltigkeit geht. Das muss sich noch sehr viel mehr im Bewusstsein von Bürgerinnen und Bürgern, von Politikerinnen und Politikern verankern: Klimaschutz kommt einem gewaltigen Bauprogramm gleich, wir müssen aber unbedingt anders bauen als wir es in den vergangenen Jahrzehnten getan haben.

Nach wie vor werden auf Baustellen aber viele Ressourcen verbraucht. Und bei der Produktion von Baustoffen und beim Transport wird viel CO2 freigesetzt. Warum geht es nur so langsam voran mit dem nachhaltigen Bauen?

Müller: Das lag am Auftraggeber, aber auch an der Branche. Die Tendenz war, bei dem zu bleiben, was man kannte, es kamen nur wenige Impulse für ein anderes Bauen. Das hat sich inzwischen signifikant geändert. Zum Beispiel Bauen im Bestand: Erhalt muss vor Neubau kommen – diese Einsicht hat sich längst durchgesetzt. Der Schutz von Flora und Fauna ist für die Branche ein wichtiges Thema. Ebenso die Frage, wie wir in Zeiten des Klimawandels bauen müssen, um mit zunehmender Dürre einerseits und Starkregenereignissen andererseits umgehen zu können. Unsere Mitglieder sind aber Auftragnehmer: Sie können nicht bauen, wie sie wollen, sondern sind an die Vorgaben ihrer Auftraggeber gebunden. Sprich: Auftraggeber müssen klimaschonendes Bauen einfordern und bestellen.

Was müsste sich ändern?

Müller: Sehr viel. Zum Beispiel geht es um Ressourceneffizienz, CO2-Minimierung, Resilienz im Klimawandel – das alles kostet erst einmal Geld. Solange zum Beispiel eine Kommune gehalten ist, die vordergründig günstigste Lösung zu finden, solange Haushaltsaspekte allein ausschlaggebend sind oder genauer: Solange die Klimafolgekosten nicht mitgedacht sind, die hohen Kosten zum Beispiel, die durch Starkregen und Überflutung verursacht werden, ist umweltschonendes Bauen schwierig. Nachhaltigkeit muss als ein zentrales Kriterium für Bauprojekte in die Ausschreibungen aufgenommen sein. Das heißt auch, dass nachhaltiges Bauen verständlich gemacht werden muss. Bürgerinnen und Bürgern muss klar sein, dass nicht nur Verkehr und andere Industriebereiche sich umstellen müssen, sondern auch der Bau – und dass das Folgen für die Kostenstrukturen hat.

Wenn Auftraggeber sich für nachhaltiges Bauen entscheiden, wie sieht es dann bei den Auftragnehmern aus: Sind die Voraussetzungen vorhanden?

Müller: Die technischen Lösungen sind vorhanden, unsere Mitglieder sind in der Lage, sofort anders zu bauen – auch wenn es nach wie vor Forschungsbedarf gibt, Wissenschaft ist ja immer in Bewegung. Allein stemmen können wir das aber eben nicht. Entscheidend ist, dass die Auftraggeber und ebenfalls die Lieferanten mit im Boot sind. Und wir brauchen neue Herangehensweisen. Zum Beispiel wäre es sehr wichtig, dass die Trennung von Planen und Bauen aufgehoben wird. Bauunternehmen können sehr viel mehr als Fahrzeuge bereitstellen und Pläne abarbeiten. Sie verfügen über enorme Ingenieurskompetenzen, die es gilt, sinnvoll einzusetzen, und zwar auch und gerade im Bereich der Bauplanung. Aktuell müssen, um wieder auf das Beispiel Kommunen zurückzukommen, die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter jeden einzelnen Schritt planen, müssen sich um jedes Detail kümmern – und das bei zunehmenden Personalengpässen.

Was sollte sich noch ändern?

Müller: Wir brauchen unter anderem andere Zulassungsverfahren für Innovationen, etwa im Baustoffbereich.Wenn zum Beispiel ein neuer Recycling-Beton entwickelt wird, dauert es garantiert mindestens zehn Jahre, bis er verbaut werden darf. Gefühlte Ewigkeiten dauert es auch, bis „Abfall“, also etwa Beton und Ziegel aus einem abgerissenen Gebäude, wieder als recycelte „Produkte“ anerkannt werden und wiederverwendet werden können. Hier geht es um Garantien, Haftung, Sicherheit, also um Wesentliches – dennoch: Die Vorgaben sind zum Teil überholt und verhindern die erforderliche Transformation des Bauens.

Wo setzen Sie als Verband an?

Müller: Wir suchen den Dialog und plädieren dafür, dass alle Seiten offene Ohren für das Know-how des Gegenübers haben.

Wie sieht es mit den Bürgern aus?

Müller: Das öffentliche Bewusstsein ist entscheidend. Die Zeit des Fingerzeigens auf die Politik muss allerdings vorbei sein. Wir Bürger haben die Politikerinnen und Politiker gewählt, sind also mitverantwortlich für das, was geschieht, und wir sind alle im selben Boot: Bürgerinnen und Bürger, Politikerinnen und Politiker sowie die Baubranche – gemeinsam müssen wir Bauen neu denken. Das zu vermitteln, sehe ich aktuell als eine der zentralen Aufgaben des Verbands.

Interview: Sabine Schmidt, Redaktionsleiterin beim Fachmagazin „der gemeinderat“, das wie das PROMAGAZIN bei pVS erscheint

 

Zur Person:

Tim-Oliver Müller ist Hauptgeschäftsführer des Hauptverbandes der Deutschen Bauindustrie e.V.