„Bauen muss langfristig klimafreundlicher werden“

Klimakiller Baustelle? Der Bau- und Gebäudesektor hat Studien zufolge hohen Anteil an den CO2-Emissionen. Foto: Bauwirtschaft Baden-Württemberg e.V.

Wie die Coronakrise die Baukonjunktur beeinflusst und welche Herausforderungen der Klimawandel für das Bauen der Zukunft mit sich bringt, erläutert Thomas Möller, Geschäftsführer von Bauwirtschaft Baden-Württemberg e. V. im Interview.

Die Coronakrise hat viele Wirtschaftszweige stark getroffen. Wie ist es um die Bauwirtschaft in Baden-Württemberg derzeit bestellt?

Thomas Möller: Die Baubranche hat sich nach 2020 auch im zweiten Corona-Jahr als wichtige Konjunkturstütze der Wirtschaft erwiesen, wurde aber im ersten Halbjahr 2021 vor allem durch massive Preiserhöhungen und Lieferengpässe bei Baumaterialien ausgebremst. Während sie im Gesamtjahr 2020 noch ein Umsatzplus von 3,3 Prozent erzielte, schwächelte sie in den ersten sechs Monaten dieses Jahres und rutschte sogar leicht ins Minus. Immerhin war der Juni in fast allen Bausparten wieder ein etwas stärkerer Monat. Das Umsatzvolumen betrug im ersten Halbjahr 6,3 Milliarden Euro was einem Minus von 1,1 Prozent entspricht, die Auftragseingänge lagen bei 5,8 Milliarden Euro, ein Plus von 3,7 Prozent. Insgesamt schnitt die Baukonjunktur in Baden-Württemberg im ersten Halbjahr im bundesweiten Vergleich besser ab als andere Länder.

Was waren die Gründe für den eher schwachen Start ins Jahr 2021?

Möller: Der harte Wintereinbruch zu Jahresbeginn und das Auslaufen des reduzierten Mehrwertsteuersatzes sowie die Einschränkungen wegen des Lockdowns haben den Start ins Baujahr 2021 zunächst spürbar gedämpft. Nach einem kleinen Frühjahrshoch schien der Wirtschaftshochbau endlich auf Erholungskurs, drehte dann aber wegen weltweit gestörter Lieferketten wieder zweistellig ins Minus. Lediglich im Wohnungsbau gab es im ersten Halbjahr eine erfreulich starke Nachfrage mit zunehmenden Baugenehmigungszahlen. Die gute Nachfrage im Wohnungssektor wird insbesondere durch private Bauherren und Investoren getragen. Die Negativentwicklung im Öffentlichen Bau war für uns dagegen enttäuschend. Sowohl Umsatz als auch Auftragseingänge lagen in den ersten sechs Monaten im Minus. Angesichts des hohen Investitionsbedarfs in die marode Infrastruktur appellieren wir an die öffentliche Hand, nicht weiter gegen die Krise anzusparen. Auch muss der soziale Wohnungsbau wieder mehr gestärkt werden. Mit Blick auf bezahlbaren Wohnraum gibt es da noch enorme Defizite.

Spürt die Branche noch Engpässe am Rohstoffmarkt sowie Störungen der Lieferketten?

Möller: Die unerwartete Kostenexplosion zu Beginn dieses Jahres hängt mit der weltweit stark gestiegenen Rohstoffnachfrage nach dem Abflauen der ersten Corona-Wellen sowie mit massiv gestörten Lieferketten und einer dadurch bedingten Materialknappheit zusammen. Extreme Preiserhöhungen gab es im ersten Halbjahr insbesondere bei Stahl mit einem Anstieg von 63 Prozent im Zeitraum Dezember 20 bis Juli 21, Bitumen plus 36 Prozent, Bauholz plus 71 Prozent und Dämmplatten plus 30 Prozent. Auch Kanalgrundrohre und weitere Kunststoffprodukte wurden erheblich teurer.

Welche Auswirkungen hat das?

Möller: Das Problem ist: Wenn ein Bauunternehmer vor zwei Monaten einen Auftrag kalkuliert hat und in der Zwischenzeit die Materialpreise unerwartet durch die Decke gehen, dann trägt er das volle Risiko und bleibt oft auf den Mehrkosten sitzen. Bei neuen Aufträgen sind unsere Betriebe aber gezwungen, die gestiegenen Baumaterialkosten an ihre Kunden weiterzugeben. Die meisten Unternehmen haben dies in den letzten Monaten auch getan. Das heißt Bauen wurde für den Endverbraucher in diesem Jahr teurer. Beim Massivbau machen diese Materialmehrkosten etwa fünf Prozent aus, bei einem Holzhaus zehn Prozent.

Ist eine Besserung absehbar?

Möller: Auch in den kommenden Wochen ist wegen der anhaltenden Probleme bei der Materialbeschaffung kein Ende der Preisrallye in Sicht. Allein im Juli gab es innerhalb eines Monats ein Plus bei den Erzeugerpreisen für Betonstahl von 10,6 Prozent und für Bauholz von 15,2 Prozent. Die Unternehmen werden daher auch künftig nicht umhin kommen, ihre Preise entsprechend anzupassen. Laut „ifo Konjunkturtest“ klagten im August zudem fast 40 Prozent der befragten Baufirmen noch immer über Materialknappheit, die ihre Bautätigkeit beeinträchtigt. Zeitweise konnten unsere Firmen aufgrund fehlender Baustoffe ihre Bautätigkeit bei einigen Projekten nicht fortsetzen und mussten sogar Kurzarbeit anmelden.

Nicht nur die Pandemie, auch der Klimawandel ist eine Herausforderung. Müssen künftig im Bauwesen neue Maßstäbe angelegt werden?

Möller: Das ist in der Tat eine große Herausforderung. Der zunehmenden Hitze im Sommer hierzulande kann man aber in gewisser Hinsicht auch mit der Wahl der Baustoffe begegnen. Häuser aus Mauerwerk oder Beton beispielsweise ermöglichen optimale Lösungen, was den Energiebedarf für Heizung und Kühlung betrifft. Denn massiv gebaute Häuser zeichnen sich durch einen niedrigen Heizwärmebedarf im Winter und einen ausgezeichneten sommerlichen Wärmeschutz aus. Durch innovative technische Lösungen wie etwa die Bauteilaktivierung bei monolithischen Ziegelwänden oder Stahlbetondecken kommen moderne Gebäude mittlerweile sogar ganz ohne Heizung, Lüftung und Kühlung aus. Sinnvoll ist sicher auch eine stärkere Durchgrünung unserer Städte, etwa durch mehr Parkanlagen und Bäumen an Straßenrändern. Auch eine zusätzliche Begrünung von Dächern oder Fassaden wirkt der Sommerhitze entgegen.

Und wie sieht es mit Gefahren wie Starkregen und Überflutungen aus?

Möller: Was den Starkregen angeht –soweit er sich in einem normalen Maß bewegt –, können sich die Kommunen durch den sinnvollen Ausbau ihrer Kanalisation wappnen. Dazu gehören ein ausreichend dimensioniertes Kanalnetz, mehr Regenrückhaltebecken, aber auch zusätzliche innerörtliche Freiflächen wie zum Beispiel Sportanlagen oder wasserdurchlässige Parkplätze, um plötzlich auftretende größere Wassermengen aufzufangen. Mit Blick auf die extremen Überschwemmungen in den Flutkatastrophengebieten im Juli dieses Jahres muss man allerdings auch klar sagen: Es gibt Grenzen, die der Mensch auch bautechnisch nicht mehr in den Griff bekommt und die er nicht überschreiten sollte. Das heißt, künftig muss man sich gut überlegen, wo man baut und möglichst keine Ausweisungen von Bauland in unmittelbarer Flussnähe vornehmen, insbesondere in engen Tälern. Wir haben gesehen, mit welch enormer Wucht ein vermeintlich kleiner Bach plötzlich zum reißenden Gewässer wird und ganze Häuserzeilen mit sich reißt.

Die Landesregierung will den Holzbau stärker fördern. Sie haben einen zu engen Fokus auf diesen Baustoff bemängelt. Welche Ansätze sehen Sie, um mehr CO2 beim Bauen einzusparen?

Möller: Unsere Landesregierung setzte bislang bevorzugt auf Holz als umweltfreundlichen Baustoff. Das ist eine einseitige Fokussierung auf nur einen Baustoff. Wir fordern stattdessen eine produktneutrale Förderung. Schließlich eignen sich auch emissionsarm produzierte mineralische Baustoffe mit hohem Recyclinganteil für kostenbewusstes, ökologisches und zugleich hochwertiges Bauen. Dies hat auch die Politik zwischenzeitlich erkannt und zeigt sich offen für innovative Bauweisen mit umweltfreundlichen mineralischen Baumaterialien. Die Landesregierung will daher künftig auch einen Schwerpunkt auf die Kreislauffähigkeit der verwendeten Materialien legen und sich für eine Lebenszyklusbetrachtung von Gebäuden einsetzen.

Wie könnte also das klimafreundliche Bauen der Zukunft aussehen?

Möller: Seit Jahren arbeitet die Bauwirtschaft gemeinsam mit Partnern an neuen Bauverfahren und innovativen Baustoffen, die zum Klimaschutz beitragen und den CO2-Verbrauch deutlich senken können. Gebäude aus Recyclingmaterial, Textil-, Infraleicht- oder Gradientenbeton sind einige der umweltfreundlichen Baustoffe der
Zukunft, ebenso wie klimaneutrale Ziegel oder Mauerziegel mit Holzfaserfüllung. Auch Sichtbetonfassaden aus recyceltem Beton oder mit integrierten Photovoltaikmodulen sind im Kommen. Ein neuartiger R-Beton kann CO2 in größeren Mengen speichern. Hinzu kommen innovative Bauverfahren wie etwa Häuser aus dem 3D-Drucker, die das Bauen deutlich schneller, effizienter und damit auch umweltfreundlicher machen, da dadurch viele Transportwege während der Bauphase entfallen.

Wie stehen Sie zur geplanten Solardachpflicht?

Möller: Bauen muss langfristig klimafreundlicher werden und jede zusätzliche Maßnahme hilft dabei. Die Bauwirtschaft befürwortet daher im Grundsatz eine Solardachpflicht, weil man erfahrungsgemäß mit Freiwilligkeit allein die Klimaschutzziele höchstwahrscheinlich nicht erreichen wird. Die Belastungen bei Solardach- bzw. Photovoltaikinvestitionen sind überdies überschaubar, zumal sich durch Einspeisevergütungen die Anlagen nach einigen Jahren amortisieren. Durch die Solaranlagenpflicht wird es voraussichtlich nicht zu signifikanten Bauverzögerungen kommen. Größere Umbauten sind dafür in der Regel nicht notwendig. Die Installation einer Solaranlage ist kein schwieriges Unterfangen und kann auf unterschiedliche Dachflächengrößen angepasst werden. Sollte es gesetzliche Vorgaben zum Erreichen einer bestimmten Kilowattmenge geben, müssten gegebenenfalls stärkere Holzträgerbalken unterm Dach verwendet werden, um die gewichtsmäßig größeren Anlagen sicher zu tragen. Alternativ kann man ein Dach anstatt mit Ziegeln auch komplett mit Solarpanels eindecken. Solarelemente können aber auch direkt in der Fassade integriert werden.

Gibt es weitere Maßnahmen, die Sie auf dem Weg zu mehr Nachhaltigkeit und Energieeffizienz für sinnvoll erachten?

Möller: Angesichts des akuten Baumaterialmangels aufgrund weltweit gestörter Lieferketten fordern wir künftig eine stärkere Fokussierung auf regional verfügbare Ressourcen. Auch hier sollte die Politik Farbe bekennen. Wir müssen uns unabhängiger vom Weltmarkt machen und unsere heimischen Steinbrüche, Kiesgruben, Gipsvorkommen, aber auch nachwachsende Rohstoffe wie Holz verstärkt für unsere Produktion nutzen. Auch dies ist eine Frage von Energieeffizienz: mehr Nutzung von Ressourcen vor Ort, anstatt Baumaterialien tausende von Kilometern quer über den halben Erdball zu transportieren. Unzufrieden sind wir auch mit dem Thema Verwertung und Entsorgung von Baumassenabfällen. Noch immer müssen hierzulande zig Millionen Tonnen von unbelastetem Bodenaushub deponiert werden, weil die aktuellen Regelungen mit ihren restriktiven Vorgaben eine sinnvolle Wiederverwertung nicht zulassen. Dabei ist Deponieraum im Land knapp und teuer, was zu kilometerlangen umweltbelastenden Transportfahrten zu ortsfernen Deponien führt. Außerdem fordern wir generell einen stärkeren Einsatz von Recyclingbaustoffen, um eine echte nachhaltige Kreislaufwirtschaft am Bau voranzubringen.

Interview: Dirk Täuber