Bausektor braucht Wende

So sehen Sieger aus: Bei der letzten Landtagswahl konnte die Grünen- Politikerin Susanne Bay den Wahlkreis Heilbronn für sich entscheiden. Foto: Fraktion Grüne, Landtag.

Ein Viertel aller CO2-Emissionen geht auf das Konto der Bauwirtschaft. Die Branche ist im Visier der Klimaschützer. Als Sprecherin für das Fachgebiet Bauen und Wohnen benennt Grünen-Politikerin Susanne Bay im Interview Hebel, die bewegt werden müssten.

Sie sagen, der Klimaschutz braucht eine Bauwende. Wie soll diese konkret aussehen?

Susanne Bay: Allein die Herstellung von Beton verursacht rund acht Prozent der globalen CO2-Emissionen. Weitere indirekte und direkte CO2-Emissionen entstehen beim Bauen, beim Betreiben, aber auch beim Abriss von Gebäuden. Deshalb ist beim Bauen und Nutzen von Gebäuden und von Infrastruktur ein an die Prinzipien der Kreislaufwirtschaft orientierter Ansatz notwendig: Der Einsatz von Sekundärbaustoffen, Recyclingmaterialien und nachwachsenden ökologisch erzeugten Rohstoffen ist ein Baustein der Bauwende. So ist Holz ein zukunftsträchtiger Baustoff, den wir mit unserer Holzbauoffensive im Land fördern. Damit haben wir bundesweit eine Diskussion um klimafreundliches Bauen angestoßen. Auch der Massivbau muss sich in Richtung Klimaneutralität entwickeln.

Was müsste zudem bewegt werden?

Bay: Für den Betrieb von Gebäuden wollen wir Plus-Energie-Siedlungen zum Normalfall machen – also Siedlungen, die über das Jahr gesehen aus grünen Quellen wie Photovoltaik mehr Energie erzeugen als sie verbrauchen. Wir werden die Pflicht für Photovoltaik-Anlagen auf neue Wohngebäude ausdehnen. Bislang gilt sie für Nicht-Wohngebäude. Zudem werden wir diese Pflicht auf Bestandsgebäude ausweiten, wenn dort eine grundlegende Dachsanierung ansteht. Generell wollen wir für mehr Anreize sorgen, dass Bestandsgebäude verstärkt saniert werden hinsichtlich ihrer Klimabilanz. Die genannten Grundlagen der Bauwende wollen wir ganz konkret bei Landesgebäuden umsetzen und natürlich auch in die Fläche bringen.

Baustoffe müssten doch im Sinne einer Kreislaufwirtschaft immer wieder verwendet werden.

Bay: Ja. Ein gutes Beispiel ist ganz aktuell die Erweiterung der Landesanstalt für Umwelt in Karlsruhe, das so weit wie möglich aus Recyclingbaustoffen hergestellt wird – es ist das erste größere Bauvorhaben, das der Landesbetrieb Vermögen und Bau mit Fassadenphotovoltaik ausstatten wird. Wir setzen uns im Land dafür ein, dass die Wiederverwertbarkeit wertvoller Rohstoffe erforscht und vorangetrieben wird und setzen dabei auf die Innovationskraft der Unternehmen im Land. Auch im Straßenbau haben sich Recyclingbaustoffe als Schüttmaterial bewährt: Bis zu 80 Prozent Ausbau-Asphalt kann hier wiederverwendet werden und Baden-Württemberg will beispielgebend sein für ressourcenschonenden Straßenbau. Auch die Wiederverwendung von Betonabbruchmaterial in frischem Beton, etwa in Ingenieurbauwerken, wird erforscht. Neben der Einsparung von Primärrohstoffen ist die Einsparung von CO2 bei der Beton- beziehungsweise Zementherstellung sowie beim Transport ein wichtiger Klimaschutz-Aspekt.

Auf was sollten Kommunen im Sinn der Nachhaltigkeit beim Bauthema setzen?

Bay: Es ist besonders wichtig, die Bedarfe vor Ort gründlich zu erheben und in die Zukunft weiter zu denken. Neben dem Material, aus dem gebaut wird, ist es wichtig, für welche Nutzungen gebaut wird. Wir werden alle immer älter und die Nachfrage nach barrierefreiem Geschosswohnungsbau steigt überall. Das reine Einfamilienhausgebiet am Ortsrand ist keine Antwort auf diese Herausforderung – auch nicht im ländlichen Raum. Im Übrigen fragen auch gerade in unserer Region Fachkräfte von außerhalb bezahlbaren Mietwohnraum nach. In dicht besiedelten urbanen Verdichtungsräumen werden Fassaden- und Dachbegrünungen für das Mikroklima vor Ort immer wichtiger. Sie sind keine Ideen wild gewordener Ökoarchitekten, sondern existenzielle Module einer nachhaltigen Stadt. Ebenso wie das Beachten von Frischluftschneisen und die Aufwertung bestehender Grünräume im Sinne der doppelten Innenentwicklung. Denn nach wie vor muss es das Ziel sein, zunächst alle Potenziale im Innenbereich von Städten und Gemeinden zu nutzen, bevor im Außenbereich neue Flächen versiegelt werden. Überhaupt müssen die Kommunen Versiegelungen und Schottergärten wo immer möglich vermeiden – im Sinne von Biodiversität und Artenschutz. Beim Bau neuer Quartiere ist es ein zielführendes Mittel, all dies im Rahmen von Konzeptvergaben zu gestalten. Dabei erhält nicht den Zuschlag, wer das meiste Geld bezahlt für ein Grundstück, sondern wer das beste Konzept für die definierten Bedarfe und die gewünschte Gestaltung eingibt.

Apropos Einfamilienhäuser – wie ist die Reduktion der Pro-Kopf-Wohnfläche im Land der Häuslebauer denkbar?

Bay: Hier möchte ich voranstellen: Die Diskussion wurde zuletzt mit falschen Zitaten geführt. Eindeutig wollen wir nicht den Einfamilienhausbau „verbieten“, das habe ich schon vielfach klargestellt. Wir fordern vielmehr seit Langem, dass wir bauen müssen für die unterschiedlichen Bedarfe, die die Menschen im Laufe ihres Lebens haben – und dass Wohnen bezahlbar sein muss für alle. Insofern ist die Quadratmeter-Zahl pro Kopf zunächst eine statistische Kennzahl ohne Aussage hinsichtlich der tatsächlichen Wohnqualität. Beim Bauen ist der Flächenverbrauch der begrenzende Faktor. Flächen sind nicht vermehrbar. Wir sehen, dass zum Beispiel in den Randgebieten von Ballungszentren oder auch rund um Dörfer, deren Ortskerne veröden, reine Einfamilienhausgebiete wachsen. Das ist kein nachhaltiger Umgang mit Flächen. Schauen Sie sich den Neckarbogen in Heilbronn an. Ein bundesweit vielbeachtetes Wohngebiet, bei dem der Gemeinderat Heilbronn einstimmig und in Übereinstimmung mit der Meinung in der Stadtgesellschaft bereits vor über zehn Jahren beschlossen hat, dass dort ausschließlich Geschosswohnungsbau realisiert werden soll, weil in Heilbronn eben solcher Wohnraum fehlt. Oft ist die Erhöhung der eigenen Wohnfläche eine Folge veränderter Lebenssituationen – ohne Änderung der Wohnsituation, wenn zum Beispiel die Kinder ausziehen und es keine bezahlbaren und ansprechenden Alternativen im gewohnten Umfeld gibt.

Wie wichtig ist die Digitalisierung für die Bauwende?

Bay: Sie ist wichtig, aber kein Allheilmittel: Digitalisierung kann etwa Verwaltungsprozesse beschleunigen und eine vernetzte Planung und Bewirtschaftung von Gebäuden ermöglichen – das sogenannte Building Information Modeling (BIM). Eine Methode, die ich mir mehrfach angeschaut habe und die hilfreiche Möglichkeiten der Simulation in Planungsprozessen bietet. Solche Chancen wollen wir ergreifen. Die digitale Welt ist aber auch energieintensiv und keineswegs automatisch klimafreundlich. Energie, die an einer Stelle eingespart wird, soll nicht an anderer Stelle doppelt verbraucht werden.

Interview von Melanie Boujenoui