Blaue Revolution

Schon mal in einem Museum für Jeans gewesen? Klingt merkwürdig, aber das gibt es wirklich – in Künzelsau, dem Ort, wo eine wahre Erfolgsgeschichte ihren Ursprung hat. Und weil man darauf stolz ist, wurde der Denim-Hose und ihrer Historie ein Denkmal gesetzt.

Blicken Sie bitte mal kurz an sich hinunter. Was haben Sie sich heute Morgen über die Beine gestreift? Richtig: Jeans. Denn die Denim-Hosen sind das wohl am häufigsten getragene Kleidungsstück weltweit. Jeder von uns hat mehrere Paar davon im Schrank, mit manchen verbinden wir vielleicht sogar bestimmte Erinnerungen aus unserer Jugend – den ersten Kuss oder die erste Zigarette. Deshalb verwundert es auch nicht, dass es eigens für diese Beinkleider ein Museum gibt. Es befindet sich in der Künzelsauer Austraße, in einem geschichtsträchtigen Anwesen, das praktisch der Geburtsort der europäischen Jeans ist, und ist eines von zweien dieser Art in ganz Deutschland.

Luise Hermann, eine beeindruckende Frau, gründet in ihrem eigenen Haus 1932 das Textilunternehmen L. Hermann Kleiderfabrik, weil das Holzhandelsgeschäft ihres Mannes Heinrich Hermann stagniert und sie ihn finanziell unterstützen will. Dabei erweist sich die fast 1,80 Meter große Frau als geborene Unternehmerin. Mit nur sechs Nähmaschinen, die in den ersten Stock gestellt werden, wird fortan Arbeitskleidung produziert. Nach dem Zweiten Weltkrieg heiratet ein junger Mann namens Albert Sefranek Luise Hermanns Tochter Erika und tritt in die Firma ein. Der Schwiegersohn macht es sich zum Ziel, einen eigenen Vertrieb für Berufsbekleidungsfachgeschäfte aufzubauen. Bei der Suche nach etwas, mit dem er sich von der Konkurrenz abheben kann, landet Sefranek in einer Frankfurter Bar und geht dort einen Deal ein, der Geschichte schreiben wird. Er tauscht mit einem GI-Soldaten sechs Flaschen Hohenloher Schnaps gegen sechs amerikanische Jeans. Diese legen den Grundstein für die ersten europäischen Denim-Hosen. 1958 wird die Marke Mustang geboren. Eine Jeans kostet damals 20 Mark. Was folgt, ist die blaue Revolution.

Das und noch so einiges mehr erfährt der Besucher des Jeansmuseums der Firma Mustang in einem Film, der im ersten Stock des ehemaligen Hauses der Familie Hermann abgespielt wird. In einem Zimmer rechts der Diele, dem Originalschauplatz der Arbeitsbekleidungsproduktion, gibt es nämlich einen kleinen Kinosaal – mit Hockern in Jeansoptik. Im Flur werden weitere bewegte Bilder gezeigt: eine Fotodokumentation über Luise Hermann und die Firmenentwicklung sowie ein Film über die Herstellung des Denim-Gewebes, den Zuschnitt und die Näherei.

„Eine Jeans besteht je nach Modell aus 60 bis 64 Teilen“, weiß Klaus Megerle. Der 53-Jährige ist Leiter des seit dem 2. Mai 2007 bestehenden Museums. Dieses wurde zum 75. Firmenjubiläum eröffnet, um etwas Bleibendes zu schaffen, erklärt Megerle. „Man hätte natürlich auch ein Riesenfest feiern können wie seinerzeit anlässlich des 75. Geburtstages von Albert Sefranek.“ Um es richtig zu machen, hat man sich recht viel Zeit genommen. Allein die Konzeption der Ausstellung hat zwei Jahre gedauert, verrät Megerle. Doch es hat sich gelohnt. „Die Gäste sind fasziniert und vermuten gar nicht, welches Spektrum hinter dem Museum steckt.“ Dank der multimedialen Komponenten und der individuellen Architektur jedes Raumes werde ihnen garantiert nicht langweilig. Ein Besuch sei schon deshalb interessant, weil jeder eine Verbindung zu Jeans hat.

Auf 280 Quadratmetern lernt man nicht nur etwas über die Unternehmensgeschichte der international bekannten Marke und die Herstellung der Jeans. Es wird zum Beispiel auch das sogenannte Finishing der Hosen dargestellt. „Früher hat man pro Jeans fast 60 Liter Wasser verbraucht. Heute sind es nur noch etwa 4,5 Liter“, erklärt Megerle. Eine andere faszinierende Tatsache ist, dass man für die Produktion von Destroyed Jeans, also zerstörte Hosen, sogar schon den Stoff mit Schrot beschossen hat. Und es geht kurios weiter: Früher kaufte man sich absichtlich Hosen, die zwei Nummern größer waren, setzte sich damit in die Badewanne und ließ sie anschließend am Körper trocknen. Das nannte man „Shrink to fit“ oder zu Deutsch „Schrumpfen, bis es passt“.

Insgesamt ist das Museum auf dem Prinzip des haptischen und nicht bloß des optischen Erlebnisses aufgebaut. Ein Raum mit dem Namen Netzwerk besteht lediglich aus Seilen und Bildschirmen. „Hier äußern sich Urgesteine, die die Jeans beeinflusst haben, zur Marke Mustang oder dazu, was sie damit verbindet“, erläutert Megerle. Im Erdgeschoss geht es um die Familie Hermann, aber auch um die allgemeine Zeitgeschichte und die Historie der Jeans – auch losgelöst von der Firma Mustang. So reist man kurz in die Vergangenheit, in die Zeit der 70er, die laut Megerle die goldenen Jeansjahre waren, bevor sich das Business ein Jahrzehnt später in einer Krise befand.

„Wir sind stolz auf unser Museum“, sagt Megerle. „Es ist eine einmalige Erfolgsgeschichte einer Produktgattung, die ihren Ursprung nicht in Mailand oder Paris hat, sondern in Künzelsau.“

Olga Lechmann