Das Phänomen „AfD“

Aktuellen Umfragen zufolge, wird die Alternative für Deutschland in den Baden-Württemberger Landtag ziehen. Prof. Dr. Hans-Georg Wehling ist Politikwissenschaftler an der Universität Tübingen und analysiert diese Entwicklung der Partei.

Begonnen hat die Alternative für Deutschland, kurz AfD, als Professorenpartei und als Protestpartei. Angesehene Ökonomie-Professoren erhoben Einspruch, dass die Politik milliardenschwerer Rettungsschirme für den Euro, für Banken, für Staaten wie Griechenland alternativlos sei. So hatte es Bundesskanzlerin Angela Merkel erklärt, um die Debatte zu beenden, in der Bevölkerung, aber auch in ihrer Partei und sogar in ihrer Bundestagsfraktion. Zu den Gründern der AfD gehörten die Professoren Bernd Lucke aus Hamburg, der in der Anfangszeit das Gesicht der AfD war. Ferner der Tübinger Joachim Starbatty, der frühere IBM-Manager Hans-Olaf Henkel sowie der jetzige Landesvorsitzende der AfD, Jörg Meuthen, der an der Hochschule für öffentliche Verwaltung in Kehl Wirtschafts- und Finanzwissenschaft lehrt. Von Anfang an spielte auch eine verbreitete EU-Skepsis eine Rolle: Die Institutionen der EU schienen im europäischen Entscheidungsprozess Hauptakteure geworden zu sein, zusammen mit Europäischer Zentralbank und Weltbank.

Eine Alternative?

Nicht zufällig nannte sich die neue Partei „Alternative für Deutschland“, um deutlich zu machen: Ja doch, es gibt Alternativen! Da den Gründern der ökonomische Sachverstand nicht abzusprechen war, die zentralen Gründerfiguren durchaus honorige Persönlichkeiten waren, reüssierte die neue Parteigründung schnell, fand Aufmerksamkeit in den Medien und gewann auch weitere Persönlichkeiten, so Bernd Kölmel, von Hause aus Polizist, der es zum Referatsleiter im Landesrechnungshofes Baden-Württemberg gebracht hatte.

Doch jede neue Partei benötigt eine Massenbasis, sonst erreicht sie die Parlamente nicht. Jede neue Partei hat dann damit zu kämpfen, dass unerwünschte Gruppen sie zu kapern versuchen. Auf dem rechten Rand, aber auch auf dem linken, schwärmen Menschen herum, die ständig auf der Suche nach einer neuen politischen Heimat sind. Sie haben oft verquere politische Vorstellungen, die nicht mehrheitsfähig sind und nicht gut zu einer Demokratie passen. Aktuell gehört dazu ein gewisses Maß an Fremdenfeindlichkeit und Islamkritik. Als neues Megathema ist inzwischen die Flüchtlingsproblematik hinzu gekommen, ein Thema, das die Menschen massiv bewegt und wo die Politik bislang keine nachvollziehbaren Lösungen parat hat und keine Alternativen zu sehen sind. Das wird dann leicht zur Stunde der Demagogen, die einfache Lösungen herbei zu zaubern versprechen, die eben letztlich keine Lösungen sind. Ein dringend notwendiger Reinigungsprozess in der AfD fand nicht im erforderlichen Maß statt. Der Schwenk nach rechts außen hat inzwischen einen Großteil der liberal-konservativen „Gründerväter“ zum Austritt aus de AfD verlasst. Sie haben sich in der Neugründung Alfa versammelt, einer neuen Partei, die bislang wenig sichtbar ist.

Nach wie vor profitiert die AfD von einem generellen politischen Unbehagen. Eine politische Artikulationsmöglichkeit im Rahmen des überkommenen Parteiensystems fehlt weitgehend, seit die CDU-Bundesvorsitzende Angela Merkel klassische Positionen der Rechten, z. B im Bereich der inneren und äußeren Sicherheit, aufgegeben hatte. Hinzu kommt ein Zulauf von Seiten bibeltreuer Evangelikalen, die sich gegen eine vermeintliche „Sexualisierung“ unsers Lebens wehren, mit Ablehnung von Abtreibung, Homo-Ehe und Sexualkundeunterricht. Rechts von der CDU hatte sich so eine Lücke aufgetan, die die AfD zu nutzen bereit war. Das ist durchaus legitim; auch andere Parteien sind so entstanden, wenn im politischen Angebot Lücken sichtbar waren, auch sie mussten sich radikalem Zulauf entledigen. Zudem gab es Abweichungen zwischen dem, was die Eliten für richtig und konsensfähig halten, und was die Menschen draußen im Land als Probleme sehen, die sie unmittelbar betreffen und für die in ihren Augen keine Partei eine befriedigende Lösung aufweist. Schwierigkeiten, Fehlentwicklungen wurden zudem nicht selten verschwiegen, in der – gut gemeinten – Absicht, die Menschen nicht zu beunruhigen. Die Kölner Sylvesternacht und das darauf bezogene Verhalten von Politik und Polizeiführung hat da viel Vertrauen zerstört.

Es mag durchaus so etwas wie einen Mainstream der political correctness geben, der an vielen Menschen einfach vorbei strömt. Sie wenden sich von der Mehrheitsmeinung der etablierten Parteien ab. Im günstigsten Fall mit Wahlenthaltung, im schlechten mit Zulauf zu Pegida und zu Parteien am Rande. Das gilt in den neuen Bundesländern selbst für die bürgerliche Mitte, der es zwar gut geht, unbestritten besser als früher in der DDR, doch es gibt Frust über eine noch nicht recht verdaute innere Wiedervereinigung, weil sie z. B Persönlichkeiten an der Spitze von Politik, Verwaltung, Justiz, Wirtschaft und nicht zuletzt der Medien sehen, die vielfach aus dem Westen stammen. Hier haben Slogans wie „Wir sind das Volk“ und das Wort von der „Lügenpresse“ ihren Ursprung – einmal ganz abgesehen davon, dass es auch in der AfD diese „Westimporte“ gibt: in Brandenburg Alexander Gauland, ehemals Chef der hessischen Staatskanzlei, in Thüringen Björn Höcke, ein beurlaubter Oberstudienrat aus dem hessischen Bad Sooden-Allendorf. Dieses Gefühl, zu kurz gekommen, zu sein, von der Politik übergangen zu werden, benutzt Pegida, nutzt auch die AfD.

In der Anhängerschaft aller Parteien gibt es in nicht unerheblichem Maße Abwanderungsbereite, die sich nicht mehr angemessen vertreten fühlen. Die Parteien wissen das, ziehen zur Abschreckung verbale Brandmauern hoch und versuchen, mit administrativen Mitteln lästige Konkurrenz auszuschalten.

Ein Fazit: Die AfD konnte reüssieren, auch weil die CDU eher konservative, rechte Positionen geräumt hatte, auf die sich politische Hasardeure sofort gestürzt haben, quasi als Aasgeier, teilweise wohl wissend, wie weit man gehen kann, ohne als verfassungsfeindlich zu gelten. Denn „rechts“ darf man ja eigentlich sein, solange man den Boden der Verfassung nicht verlässt, was letztlich das Bundesverfassungsgericht zu entscheiden hätte (Parteienverbot). Man sollte sich aber hüten, politische Positionen, die man selbst nicht teilt, gleich als verfassungsfeindlich abzustempeln, was Parteien nur allzu gerne tun, um sich ungewollte Konkurrenz vom Leibe zu halten. Insgesamt präsentiert sich die AfD aktuell als gespaltene Partei: zum Beispiel Ost – West, hoher Bildungsgrad – niederer Schulabschluss, liberal-konservativ – rechts außen. Interessant ist, dass die AfD eine Männerpartei ist, trotz ihrer Frontfrauen Frauke Petry und Beatrix von Storch. Vielleicht sind Frauen einfach die Vernünftigeren, Moderateren. Dass die Partei bei den Landtagswahlen in Baden-Württemberg die Zehn-Prozent-Hürde übersteigen kann, gilt inzwischen als ausgemacht, ihre Präsenz im Parteiensystem muss aber nicht für alle Zukunft gelten. Sie kann scheitern, wenn man sie gewähren, ja poltern lässt. Sie zu verteufeln, könnte den gegenteiligen Effekt haben: Sie bekommt eine von ihr nicht unerwünschte Märtyrerrolle. Besser ist doch wohl, sie mit Argumenten zu konfrontieren.

Prof. Dr. Hans-Georg Wehling