Das Phänomen Macron

Seit dem 14. Mai 2017 ist Emmanuel Macron französischer Präsident. Forsch ging er sein Amt an, auch in Sachen Europapolitik. Dies hat Auswirkungen sowohl auf die deutsch-französische Beziehung als auch auf die internationale Wirtschaft.

Was hat man nicht alles über ihn gelesen: Jupiter, Napoleon, de Gaulle-Kopie, Monarch, Genie, elitärer Banker. Selten hat in der europäischen Nachkriegsgeschichte eine politische Persönlichkeit einen ähnlich kometenhaften Aufstieg erlebt wie Emmanuel Macron. In vielen Medien, vor allem außerhalb Frankreichs, wird er als Retter Europas gefeiert. Dennoch sind viele Franzosen skeptisch und folgen ihrem neuen Präsidenten nicht mit derselben Begeisterung wie seine Anhänger, die ihn mit einer für Frankreich ungewöhnlichen „Bewegung“ ins Amt getragen haben.

Was bedeutet das Phänomen Macron für Europa und für die deutsch-französischen Beziehungen? Der neue Präsident hat – innerhalb der französischen Institutionen – die Quadratur des Kreises geschafft. Auf der einen Seite beendet er eine lange Periode politischer Kontinuität, die zur Verkrustung geworden war, und schickt einen großen Teil des Establishments in Rente. Auf der anderen Seite aber inkarniert er das würdevolle Amt des königsgleichen Präsidenten und steht damit für eine lange Tradition machtbewusster Führungspersönlichkeiten.

Chancen für Deutschland

Die Franzosen haben mit großer Genugtuung zur Kenntnis genommen, dass Frankreich schlagartig auf der europäischen und internationalen Bühne zurück ist und Führungsansprüche formuliert. Und hier wird es für Deutschland interessant: Mit seiner Sorbonne-Rede hat der Präsident eine europäische Agenda vorgelegt, die ganz bewusst deutsche Positionen „mitgedacht“ und auf Provokationen verzichtet hat. Er will die Fähigkeit der Euro-Zone stärken, durch finanziell unterlegte Programme auf akute oder strategische Herausforderungen gemeinsam zu reagieren. Macrons Vorschläge liegen auf dem Tisch, nun wird die wie auch immer zusammengesetzte nächste deutsche Regierung darauf antworten müssen. Hoffen wir, dass sie es tun wird, im Interesse einer stabilen Entwicklung der Wirtschafts- und Währungsunion.

Die innerfranzösischen Reformen Macrons fallen darüber hinaus in ein günstiges Umfeld. Frankreichs Unternehmen haben in den vergangenen Jahren ihre Gewinnmargen erhöhen können. Damit sind sie für mehr Investitionen bereit. Die Arbeitsmarkt-reform hat sogar Teile der Gewerkschaften überzeugt. Zumindest ist es zu keiner Streikfront gekommen. Die Bereitschaft zu sachorientierten Kompromissen zwischen den Sozialpartnern hat in Frankreich schon seit etlichen Jahren kontinuierlich zugenommen. Zudem ist die Konjunktur in der EU und der Welt insgesamt positiv – all dies spielt Macron in die Hände. Er kann den Staatshaushalt schrittweise sanieren und gewinnt damit an Glaubwürdigkeit in der EU sowie in der deutschen Wahrnehmung. So kann er Reformen auf Europaebene einfordern.

Für die Unternehmen, die international und auch in Frankreich engagiert sind, hat das unmittelbare Folgen. Dabei geht es um konjunkturelle Aspekte: Wenn sich die französische Wirtschaft dynamisch entwickelt, profitieren direkt oder indirekt auch unsere Unternehmen davon. Es geht aber auch ganz entscheidend um psychologische Aspekte: Wenn die französische Wirtschaft und Gesellschaft als Ganzes Vertrauen in die Zukunft fassen, dann sind die Bedingungen für Investitionen in Frankreich sowie für Konsum und Austausch erheblich verbessert.

Abschließend sei auf ein Phänomen hingewiesen: Wer heute mit Franzosen aus Verwaltung, Wirtschaft oder Politik spricht, der wird eine Begeisterung für deutsch-französische Initiativen vorfinden, wie es sie lange nicht gegeben hat. Die deutsche Seite sollte in der Lage sein, diesen Enthusiasmus aufzunehmen und durch konkrete Initiativen zu erwidern.

Frank Baasner

Zur Person
Prof. Dr. Frank Baasner ist in Paris, Bonn und Belgien aufgewachsen. Nach dem Studium der Romanistik und Psychologie in Bonn, Bologna und Paris promovierte er mit einer Arbeit zur europäischen Aufklärung. Seit 15 Jahren leitet der 60-Jährige das Deutsch-Französische Institut Ludwigsburg (dfi). Das dfi wurde bereits 1948 gegründet und ist somit die erste derjenigen Einrichtungen, die sich der deutsch-französischen Zusammenarbeit widmen.