„Der Trend setzt sich fort“

Mit Augmented Reality erhalten Mitarbeiter zusätzliche Informationen zum Zustand von Maschinen und Anlagen. Foto: TeamViewer

Spezialisten für digitale Fernwartung haben in der Krise einen Boom erlebt. Wie stark die Digitalisierung die Arbeitswelt verändern wird und warum sich sein Unternehmen bei Augmented Reality verstärkt, erläutert Oliver Steil, CEO von TeamViewer, im Interview.

Die Digitalbranche ist Krisengewinner. Wo stünde TeamViewer, wenn es Corona nicht gäbe?

Oliver Steil: Klar, die Corona-Pandemie hat uns eine Sonderkonjunktur verschafft – doch TeamViewers Erfolg allein darauf zu reduzieren, ist zu kurz gegriffen. Unser Wachstum basiert auf langfristigen Megatrends wie Automatisierung, Robotik und Industrie 4.0. Unsere Kunden greifen mit unseren Lösungen aus der Ferne auf ihre Systeme und Applikationen zu, digitalisieren Geschäftsprozesse und befähigen Experten, komplexe Probleme an Industrieanlagen oder Maschinen aus der Distanz zu beheben. Corona war ein Katalysator der digitalen Transformation und hat viele Entwicklungen beschleunigt. Doch diese Investitionen in die Zukunft standen bei unseren Kunden ohnehin früher oder später an. Auch nach Corona wird sich der Trend hin zur Digitalisierung in allen Lebensbereichen fortsetzen.

Für 2023 peilen Sie die Umsatzmilliarde an. Welche konkreten Pläne haben Sie, um dieses Ziel zu erreichen?

Steil: Wir verstehen uns als Partner für die Digitalisierung der gesamten Wertschöpfungskette. Durch unsere Zukäufe in den letzten Monaten haben wir diese Entwicklung konsequent vorangetrieben – sowohl im industriellen Kontext als auch bei der digitalen Kundeninteraktion. Wir sind jetzt in der Lage, von der Produktentwicklung über die Fertigung und Logistik bis hin zum After-Sales und Service sämtliche Prozesse unserer Kunden zu digitalisieren und zu optimieren. Das vergrößert unsere Zielmärkte erheblich. Wir werden in Zukunft weitere branchenspezifische Lösungen und neue Produkte entwickeln, insbesondere im Zukunftsfeld Augmented Reality. Außerdem fokussieren wir uns auf die Internationalisierung unseres Geschäfts, unter anderem durch ausgewählte kleinere Akquisitionen und den Ausbau unserer Vertriebsorganisation in verschiedenen Ländern. Auch Partnerschaften und Integrationen mit anderen Tech-Unternehmen wie beispielsweise Microsoft oder Salesforce werden wir weiter ausbauen. So wollen wir im Jahr 2023 die Eine-Milliarde-Euro-Marke bei den Billings erreichen.

TeamViewer hat einen vielbeachteten Börsengang hinter sich. Wie bewerten Sie aus heutiger Sicht die Entscheidung und wie stark erhöht das den Erfolgsdruck für Ihr Unternehmen?

Steil: Der Börsengang war für TeamViewer der nächste logischen Schritt, um unser Geschäft weiterzuentwickeln. Damit haben wir uns vom „Hidden Champion“ zu einem sichtbaren Akteur entwickelt und unsere Markenbekanntheit enorm gesteigert. Auch die rasche Aufnahme in den MDAX ist ein Beleg dafür, dass wir mit diesem Schritt die richtigen Weichen gestellt haben. Natürlich ist das öffentliche Interesse an TeamViewer seit dem Börsengang merklich gestiegen. Das spornt uns aber vielmehr an, als dass es uns unter Druck setzt. Wir haben ambitionierte Ziele und die wollen wir erreichen.

Mit TeamViewer bieten Sie eine Plattform für die digitale Vernetzung von Menschen und Maschinen. Welche Use-Cases, welche Anwendungsformen, stehen für Sie künftig besonders im Fokus?

Steil: Das Besondere an unseren Lösungen ist, dass sie branchenübergreifend sämtliche Anwendungsfelder abdecken. TeamViewer-Software ermöglicht es, aus der Ferne sicher auf Geräte aller Art zuzugreifen, sie zu steuern, zu verwalten, zu überwachen und zu reparieren – von Laptops und Mobiltelefonen bis zu Industriemaschinen und Robotern. Ein besonderer Fokus liegt für uns auf Lösungen für Facharbeiter außerhalb des klassischen Büros – diese möchten wir bei ihren manuellen Tätigkeiten durch digitale Instruktionen unterstützen. Branchenbeispiele gibt es einige: Im Gesundheitswesen werden mit unserer Software MRTs aus der Ferne gewartet während Kunden in der Landwirtschaft Melkanlagen oder moderne Landmaschinen auf weit entfernten Feldern mit Hilfe von TeamViewer-Software bedienen. Logistikunternehmen nutzen unsere Augmented-Reality-(AR)-Lösungen zur effizienten Kommissionierung im Lager und Automobilhersteller wiederum unterstützen ihre Kunden per Co-Browsing bei der Online-Konfiguration von Fahrzeugen. In der Lebensmittelindustrie können per TeamViewer ganze Anlagen aus der Ferne in Betrieb genommen werden. Anhand dieser Beispiele sieht man, dass wir mit unseren Angeboten Prozesse entlang der gesamten Wertschöpfungskette digitalisieren können.

Vergangenes Jahr hat Team Viewer das Bremer Startup Ubimax übernommen, einen Spezialisten für Wearable Computing und Augmented-Reality-Software. Wie werden diese Technologien aus Ihrer Sicht die Art, wie wir in Zukunft arbeiten, verändern?

Steil: Wir haben uns in den vergangenen Monaten insbesondere im Bereich Augmented Reality (AR) verstärkt. Dazu gehört die Akquisition der deutschen Firma Ubimax vergangenes Jahr aber auch die Übernahmen von Upskill in den USA, Viscopic in Deutschland und Hapibot in Portugal dieses Jahr. Die Zukäufe ermöglichen es uns, unser AR-Angebot weiter auszubauen. Wir bieten unseren Kunden Software an, die beispielsweise in der industriellen Fertigung oder Logistik genutzt wird und auf Wearables wie Datenbrillen läuft. Arbeiter außerhalb des Büroumfelds werden so bei manuellen Arbeitsprozessen durch intuitive Technologie digital unterstützt. Dadurch werden nicht nur Prozesse verbessert, sondern auch die Ergonomie der Mitarbeiter. Unsere Software kann zudem auf Basis von selbstlernenden Algorithmen Alarme auslösen, bevor eine Maschine auszufallen droht. Gibt es einen solchen Fehler, müssen Expertinnen oder Experten für Wartungsarbeiten nicht mehr extra eingeflogen werden. Entweder schalten sie sich direkt aus der Ferne auf die Maschine, oder rufen die Person vor Ort auf der Datenbrille an. Mit Hilfe von 3D-Elementen, die im Sichtfeld platziert werden können, kann der Person vor Ort gezeigt werden, was zu tun ist. Darüber hinaus kann die Datenbrille zum Beispiel den Aufbewahrungsort von gelagerten Ersatzteilen angeben. Mit künstlicher Intelligenz lassen sich in diesem Umfeld noch viele weitere Anwendungsszenarien umsetzen.

Arbeiten unabhängig von Standort: Welche Chancen bietet das künftig?

Steil: Die Chancen, die ortunabhängiges Arbeiten mit sich bringt, sind vielfältig. Durch Remote-Konnektivität werden einfach und schnell große Entfernungen überbrückt. Unternehmen sparen Zeit und Geld, wenn weniger gereist wird. Aber vor allem profitiert das Klima, da Unternehmen Treibhausgasemissionen vermeiden. Um den Effekt durch die Nutzung von TeamViewer-Lösungen auf das Klima nachzuweisen, haben wir mit dem Nachhaltigkeitsexperten des Forschungsinstituts DFGE eine Studie durchgeführt. Diese hat gezeigt, dass TeamViewer-Kunden durch die Nutzung unserer Lösungen jährlich insgesamt ca. 37 Megatonnen CO2 vermeiden.

Tore für den Zugriff von außen auf die Systeme eines Unternehmens zu öffnen, ist aber nicht ganz ungefährlich, oder?

Steil: Was die Risiken betrifft, ist das Thema Cyber-Sicherheit sicherlich zentral. Angriffe auf Netzwerke und Systeme nehmen seit Jahren zu und Hacker werden immer professioneller. Umso wichtiger ist es, das Thema Cyber-Sicherheit von Beginn an mitzudenken und die Remote-Konnektivität in einer horizontalen Lösung wie TeamViewer zu bündeln, um Fehler zu vermeiden und auf alle Endpunkte mit dem gleich hohen Sicherheitsstandard zuzugreifen. In puncto Cyber-Abwehr und -Sicherheit haben wir in den letzten Jahren massiv investiert: Wir wenden jedes Jahr zweistellige Millionenbeträge für permanente Tests und Analysen auf. Zudem haben wir ein externes Security Operations Center etabliert, das unsere Netzwerke rund um die Uhr mit den modernsten Technologien, beispielsweise aus dem Bereich der künstlichen Intelligenz, überwacht. Regelmäßige Penetrationstests, bei denen international führende Security-Experten unsere Netzwerke auf Herz und Nieren überprüfen, sorgen für ein sehr hohes Sicherheitsniveau. Auch unsere internen Experten-Teams für Produkt- und IT-Sicherheit werden laufend verstärkt. Noch wichtiger ist aber, dass das Thema im ganzen Unternehmen verankert ist. Bei TeamViewer arbeiten Hunderte Entwickler – für jeden von ihnen steht Sicherheit an erster Stelle.

Wie gelingt es Ihnen, im Recruiting die digitalen „Nerds“ zu finden, die Ihr Unternehmen voranbringen? Nicht-digitale Unternehmen tun sich da oft schwer.

Steil: TeamViewer ist ein global bekanntes Tool und für Privatanwender kostenlos – insgesamt wurde es weltweit schon 2,5 Milliarden Mal installiert. Bei technikaffinen Menschen ist TeamViewer ein vielgenutztes Tool, um Freunden oder Familie bei IT-Problemen zu helfen. Bewerber schätzen unsere Software, da sie innovativ ist. Außerdem arbeiten wir mit den modernsten Technologien und beschäftigen uns in unserer Arbeit tagtäglich mit den Megatrends unserer Zeit: Augmented Reality, dem Internet der Dinge und künstlicher Intelligenz. Das ist für IT-ler sehr interessant und bietet ihnen viele verschiedene Karrieremöglichkeiten.

Teamviewer steigt als Sponsor bei Manchester United und bei Mercedes in der Formel 1 und E ein. Was erhoffen Sie sich davon?

Steil: Wir haben uns in den letzten Jahren als Unternehmen massiv weiterentwickelt und haben auch in Zukunft noch viel vor. Dabei wollen wir TeamViewer als eine globale Technologiemarke etablieren. Beide Partner bieten dafür die ideale Plattform. Manchester United hat rund 1,1 Milliarden Fans auf der ganzen Welt. Durch die zahlreichen Werbeplatzierungen und spannende Anwendungsfälle im Vereinsumfeld, beispielsweise mit unseren Augmented-Reality-Lösungen, können wir unsere Technologie einem globalen Publikum präsentieren. Die Formel 1 wiederrum bringt Entscheidungsträger und viele der größten Unternehmen der Welt zusammen. Mehr als 120 börsennotierte Unternehmen sind Sponsoren der Formel 1, darunter weltweit führende Software-Unternehmen wie SAP. Allein Mercedes hat 22 Sponsoren und Partnerschaften mit mehr als 200 anderen Unternehmen. Mit Mercedes haben wir Zugang zu einem Weltklasse-Ökosystem mit einer Menge potenzieller Unternehmenskunden. Motorsport ist sehr technologie- und datengetrieben und eine gute Bühne für unsere Lösungen.

Interview: Dirk Täuber

Zur Person: Oliver Steil ist Vorsitzender des Vorstands und CEO der TeamViewer Germany GmbH mit Sitz in Göppingen.