Die Jagst ist nicht tot – sie lebt

Das Unglück an der Jagst hat im vergangenen Sommer ganz Hohenlohe in Atem gehalten. Wie ist es um den Fluss heute bestellt? Haben sich das Gewässer und die Tiere darin wieder erholt?

Es ist Samstagnacht, der 22. August des vergangenen Jahres, und es brennt – lichterloh. An einer Mühle in Kirchberg-Lobenhausen ist ein Feuer ausgebrochen. Es greift um sich. Ein Gebäude und Silos, in denen Düngemittel gelagert ist, fangen Feuer. Ammoniumnitrat ist darin. Einsatzkräfte der Feuerwehr rücken aus. Rund 30 Fahrzeuge sind vor Ort, 125 Männer nehmen den Kampf gegen die Flammen auf.

Der Einsatz dauert die gesamte Nacht. Trotz aller Vorsichtsmaßnahmen geschieht es: Das Löschwasserrückhaltebecken kann das Gemisch aus Düngemittel und Löschwasser nicht aufhalten. Verunreinigtes Wasser gelangt in die nahegelegene Jagst. Welche Konsequenzen das haben soll, kann zu diesem Zeitpunkt noch niemand ahnen.

Sonntag, der Morgen bricht an. Doch das Bild des bevorstehenden, schönen Sommertages trügt: Tote Fische treiben bäuchlings auf der Jagst, unterhalb der Brandstelle. Etwas stimmt nicht. Unmittelbar werden Proben genommen. Das Ergebnis ist erschreckend: Die Werte von Ammoniumnitrat im Mühlkanal, der in die Jagst mündet, sind bis zum 200-fachen des für Fische kritischen Werts überschritten. Je nach Fischart ist eine Ammoniumnitrat-Konzentration von 0,5 bis 1 Milligramm pro Liter für die Tiere tödlich. Am Abend ist die Rede von vier bis sechs Tonnen totem Fisch – allein an diesem Tag, allein im Landkreis Schwäbisch Hall.

Es muss gehandelt werden. Denn das Wasser bahnt sich seinen Weg – unaufhaltsam durch den Landkreis Schwäbisch Hall, in den Hohenlohekreis und schließlich in den Landkreis Heilbronn. Dort mündet die Jagst in den Neckar. Das Landratsamt in Schwäbisch Hall geht von einer ökologischen Tragödie aus. Noch ist nicht absehbar, wie viele Fische sterben werden. Noch ist nicht sicher, wie lange es dauern wird, bis sich die Jagst wieder erholt haben wird.

Szenenwechsel: Das Unglück liegt über ein halbes Jahr zurück. Was hat sich seitdem an der Jagst getan? Wie haben der Fluss selbst und die Tiere darin diesen Schaden überlebt? Gibt es eine Zukunft für die Jagst? Vor allem für die letzte Frage gilt: ja, die gibt es.

Denn entgegen der Vermutung, dass selbst Kleinstlebewesen Schaden nehmen würden, lässt sich heute sagen, dass die Jagst ökologisch nicht tot ist – im Gegenteil. Die Landräte Gerhard Bauer (Landkreis Schwäbisch Hall) und Dr. Matthias Neth (Hohenlohekreis) blicken entsprechend positiv in die Zukunft.

„Alle Fachleute sind sehr optimistisch, dass sich die Artenvielfalt in der Jagst in den nächsten Jahren vollständig erholen wird“, sagt Bauer. Selbst an der eigentlichen Unglücksstelle sei die Fischpopulation unbeschadet erhalten. Das hat seinen Grund: Die Maßnahmen, die man damals ergriffen hat, haben Wirkung gezeigt. „Im Hohenlohekreis ist zirka eine Tonne toter Fisch entsorgt werden. Zu Beginn musste man jedoch mit einem Totalverlust rechnen. Das ist zum Glück nicht passiert, weil die Maßnahmen wie Sauerstoffzufuhr oder Verdünnung gut gegriffen haben. Der Mix aus verschiedenen Mitteln hat das Schlimmste verhindert“, so Neth.

Jetzt heißt es, weiterhin zuversichtlich zu sein. Die Ökologie an der Jagst müsse nicht nur wieder hergestellt, sondern jetzt sogar noch verbessert werden – da sind sich beide Landräte einig. Die Jagst soll gestärkt aus dem Unfall hervorgehen. Das wolle man jetzt und in den Folgemonaten gezielt angehen. „Es wurden bereits verschiedene Maßnahmen angestoßen. Das ‚Aktionsprogramm Jagst‘ ist zum Beispiel angelaufen. Weitere, regelmäßige Untersuchungen folgen im Frühjahr“, erklärt Neth.

Amtskollege Bauer sagt: „Vor den Wintermonaten war es noch nicht sinnvoll, mit dem Wiederbesatz mit Fischen zu beginnen. Die Zwischenzeit hat man deshalb für ökologische Untersuchungen und vorbereitende Maßnahmen genutzt.“ Schutzzonen für Fischbrut seien geschaffen, Altarme der Jagst reaktiviert, Uferbereiche naturnah umgestaltet und sogenannte Störsteine gesetzt worden. Jetzt könne man mit der Aufzucht der Fischbrut beginnen und die Tiere peu à peu aussetzen.

Diese Aussichten lassen hoffen – darauf, dass die Jagst wieder das Biotop wird, das sie einmal war. Die Chancen dazu stehen jedenfalls nicht schlecht.

Lydia-Kathrin Hilpert