Der Wunsch nach einem konkreten Konzept, das uns als Gesellschaft sowie als starker Wirtschaftsraum perspektivisch aus dem Krisenmodus führt, ist seitens der Bürger und der Unternehmer groß. Für Landesinnenminister Thomas Strobl ist eine längerfristige Planung aber noch nicht möglich.
Ihre Heimatstadt Heilbronn wies lange Zeit die höchste Inzidenz auf und war insofern stark gebeutelt. Trifft Sie das ganz besonders?
Thomas Strobl: Zunächst haben mich die landesweit hohen Inzidenzzahlen bewegt. Die Landesregierung hat deshalb im Dezember mit den Ausgangsbeschränkungen zu einem harten, aber sehr effektiven Mittel gegriffen: Von der bundesweit höchsten Inzidenz wurde Baden-Württemberg zu dem Land mit dem niedrigsten Wert. Aber, natürlich, den besonderen Blick auf Heilbronn – die Stadt, in der ich lebe – gibt es selbstverständlich immer. Der Oberbürgermeister weist regelmäßig darauf hin, dass die hohen Inzidenzzahlen auch mit der besonders strikten Teststrategie zu tun haben – wo viel getestet wird, werden mehr Erkrankungen entdeckt.
Während des ersten Lockdowns drängten Sie auf Grenzschließungen. Jetzt wollen Sie Quarantäneverweigerer zwangseinweisen lassen. Wie weit geht die Krise noch?
Strobl: Der Lockdown ist nun bis zum 7. März verlängert, und sicher ist: Corona wird auch ab dem 8. März noch unser Leben maßgeblich bestimmen. Der Weg aus der Pandemie ist der Impfstoff und testen, testen, testen. Und es gilt: Kontakte reduzieren, Abstand halten und Maske tragen, um die Verbreitung des Virus bestmöglich einzudämmen und zurückzudrängen. So leistet jeder einzelne Bürger seinen Beitrag – auch dafür, dass wir weniger Beschränkungen benötigen.
Dennoch fordern Bürger sowie Unternehmer eine Langfristperspektive, ein konkretes Öffnungskonzept. Wie sieht der Ausweg aus?
Strobl: Eins vorweg: Wir sind alle pandemiemüde und wollten am liebsten heute zurück in die Normalität. Es muss auch eine sichere Öffnungsperspektive künftig geben. Wichtig ist jetzt, als Erstes die Kitas und Grundschulen vorsichtig und begleitet von engmaschigen Testungen zu öffnen, da gerade die Familien und die Kleinen unter geschlossenen Schulen und Kitas besonders leiden. Die Ministerpräsidenten haben zuletzt zusammen mit der Bundeskanzlerin vereinbart, dass weitere Schritte möglich sind, wenn die Inzidenzzahl stabil nach unten geht – dann gibt es Öffnungen, auch im Einzelhandel. Das sollten wir dann auch machen.
Das heißt konkret?
Strobl: In der konkreten Umsetzung heißt das, dass wir uns alle gemeinsam vorsichtig und umsichtig auf die jeweilige Lage einstellen müssen. Angesichts der Gefahr, die von Virusmutationen ausgeht, ist eine längerfristige Planung leider nicht möglich: Sie würde auch keine Planungssicherheit geben, weil wir Tag für Tag neue Erkenntnisse gewinnen und sich vom einen auf den anderen Tag die Lage ändern kann.
Während diverse Einzelbetriebe von Schließungen betroffen sind, können Industrieunternehmen weitermachen. Halten Sie das für verantwortungsvoll?
Strobl: Das wichtigste im Kampf gegen die Pandemie ist es, Kontakte zu reduzieren. Deshalb muss überall dort, wo es möglich ist, auf Homeoffice umgestellt werden. In der Produktion, etwa auch im Baugewerbe, bei vielen Dienstleistungen geht das natürlich nicht. Deshalb muss dort mit besonderen Schutzkonzepten gearbeitet werden. Das Ziel des Lockdowns ist nicht und kann nicht sein, das komplette wirtschaftliche Leben auf null herunterzufahren. Das sind alles Abwägungsentscheidungen: Was muss offen bleiben, was muss geschlossen werden? Ich habe allergrößtes Verständnis dafür, dass Branchen, die von Schließungen betroffen sind, das als ungerecht empfinden – auch deshalb sind massive
finanzielle und vor allen Dingen schnelle Unterstützungen für die geschlossenen Branchen so wichtig.
Erzeugen die Coronabeschränkungen eine Art wirtschaftliche Neuordnung?
Strobl: Ja, diese Coronakrise verursacht auch Ungerechtigkeiten. Mit der finanziellen Unterstützung durch das Land und durch den Bund wird hier so gut es geht gegengesteuert. Damit wird man – leider – nicht allen vollumfänglich und gerecht helfen können. Das Ziel ist, die Betriebe, auch die von Ihnen angesprochenen Kleinunternehmer, bestmöglich durch die Krise zu bringen. Und dann müssen die Rahmenbedingungen sehr rasch auf volles Wachstum und Innovationen gestellt werden.
Zusätzlich stehen heute mehr Menschen als noch vor einem Jahr vor ihren existenziellen Trümmern. Wie ist es um die innere Sicherheit bestellt ? Könnte es auch hier zu Ausschreitungen kommen, wie damals in Stuttgart?
Strobl: Kritik an der Regierung, auch an der Coronapolitik der Regierungen, ist absolut in Ordnung, wenn sie sich im Rahmen von Recht und Gesetz bewegt. Wo das nicht der Fall ist, wird eingegriffen. Deshalb beobachtet seit Ende des vergangenen Jahres das Landesamt für Verfassungsschutz die Organisationsebene der Querdenken-Bewegung. Konkrete Hinweise darauf, dass es zu Ausschreitungen kommen könnte, liegen aktuell nicht vor. Und wenn doch irgendwo die Grenzen von Recht und Gesetz überschritten werden, greift die Polizei konsequent ein.
Befeuern Impfgegner das Spannungsfeld?
Strobl: Natürlich wird es immer Menschen geben, die einer Impfung kritisch gegenüberstehen und die sich nicht impfen lassen wollen. Dafür mag es auch Gründe geben, die es zu respektieren gilt. Die Impfung ist jedenfalls der einzige verlässliche und sichere Weg aus dieser Krise, im Kampf gegen Corona. Ich habe auch sehr den Eindruck, dass die überwiegende Zahl der Menschen den Impfstoff als Boten der Hoffnung versteht.
Und wenn sich nicht genügen Menschen freiwillig impfen lassen?
Strobl: Wir müssen alles tun, damit wir die Erfolge in der Bekämpfung der Pandemie jetzt nicht verspielen, gerade angesichts der Gefahren durch die Virusmutationen. Ich bin überzeugt, dass sich viele Menschen impfen lassen werden – ich will aber keine Impfplicht.
Was nehmen Sie als Privatmensch aus der Pandemie mit?
Strobl: Das beste Signal aus dieser Pandemie ist, dass die Menschen in Baden-Württemberg wirklich großartig sind. Der Kampf gegen Corona verlangt allen Bürgern sehr, sehr viel ab – und wie wir zusammenstehen, die Regeln einhalten, um die Schwachen zu schützen, das ist schon sehr beeindruckend.
Interview: Melanie Boujenoui