„Die Lichter gehen nicht aus“

Künzelsau steht vor einer immensen Herausforderung. Die Stadt muss Steuern in zweistelliger Millionenhöhe zurückzahlen. Bürgermeister Stefan Neumann erklärt, wie man diese Aufgabe meistern will.

 

Herr Neumann, Künzelsau muss sparen. Die Kommune musste Anfang des Jahres rund 62 Millionen Euro an den Würth-Konzern zurückzahlen. Wie sehr hat Sie im Herbst vergangenen Jahres diese Zahl schockiert?

Neumann: Diese Zahl können wir nicht bestätigen. Zum einen aus Gründen des Steuergeheimnisses, zum anderen aber auch, weil sie noch nicht final feststeht. Wir wissen selbst noch nicht, welche Summe genau zurückgezahlt werden muss. Der Betrag setzt sich aus verschiedenen Paketen zusammen und bei zwei von dreien sind noch nicht alle Punkte geklärt. Die Summe von Paket eins ist bekannt und die haben wir bereits zurückgezahlt. Wir haben Ende August, Anfang September von zwei weiteren Paketen erfahren und davon, dass die Gesamtsumme höher ausfallen wird, als wir zunächst vermutet und zurückgelegt hatten. Das war natürlich ein Schock, denn das wird für uns weitreichende Folgen haben. Wir können uns jetzt manche Dinge einfach nicht mehr leisten und müssen genau definieren, wo wir hin wollen und wie wir das erreichen können.

Die Stadt hat daraufhin die Gewerbesteuer, die Grundsteuer, die Vergnügungssteuer und die Hundesteuer erhöht. Wie waren die Reaktionen darauf?

Neumann: Wir haben uns diese Entscheidung nicht leicht gemacht. Keiner von uns – weder die Stadträte noch die Verwaltung. Dennoch: Wir mussten schauen, wie man die Einnahmen der Stadt erhöhen kann. Das war eine notwendige Konsequenz. Und da wir in den vergangenen 20 Jahren weder die Gewerbe- noch die Grundsteuer erhöht hatten, war das für uns auch eine nachvollziehbare Entscheidung. Natürlich war niemand davon begeistert. Trotzdem haben viele Künzelsauer auch Verständnis für diesen Entschluss. Wir haben von Anfang an mit offenen Karten gespielt, waren transparent und ehrlich. Das, was wir wussten, haben wir offen unseren Bürgern kommuniziert. Und es ist ja jetzt nicht so, dass in Künzelsau jetzt alle Lichter ausgehen. Das darf natürlich nicht sein. Aber wir wollten eben auch noch Spielraum haben und jetzt agieren, bevor wir irgendwann handlungsunfähig sind.

Künzelsau hatte bereits damit gerechnet, dass eine Rückzahlung an das größte ansässige Unternehmen fällig sein würde und hatte im Vorfeld rund 24,5 Millionen Euro dafür angespart. Die haben jetzt doch nicht gereicht. Die Steuererhöhungen sind da nur ein Tropfen auf den heißen Stein. Was werden weitere Maßnahmen sein? Und welche Vorhaben werden nun erst einmal zurückgestellt?

Neumann: Für das uns bekannte erste Paket der Steuerrückzahlung haben unsere extra dafür zurückgelegten Gelder gereicht, allerdings leider nicht für die überraschend im Herbst 2015 bekanntgewordenen Pakete zwei und drei. Weitere Maßnahmen bleiben auch deshalb natürlich nicht aus. Allerdings liegt unser Hauptaugenmerk auf der Frage, was Künzelsau und seinen Ortsteilen zumutbar ist. Hier wollen wir Maß halten und nicht zu viel abverlangen. Wir werden uns aber zum Beispiel den kostenlosen Kindergarten nicht mehr leisten können und Gebühren einführen müssen. Außerdem sollen Immobilien verkauft werden. Das soll vor allem bei unter- und ungenutzten Gebäuden der Fall sein. Auf der anderen Seite müssen eigentlich geplante Maßnahmen, etwa der Bau eines Kinderhauses, die Sanierung des alten Rathauses oder das Streichen des neuen Verwaltungsgebäudes, jetzt erst einmal warten. Wir achten auch auf Kleinigkeiten, etwa aufs Porto und fragen uns genau, ob ein Schreiben wirklich postalisch versendet werden muss oder ob es nicht auch digital geht. Es ist eine Mischung aus vielen kleinen und manchen großen Maßnahmen. Eine definitive Entscheidung, was alles erst einmal warten muss, wird sicher die Haushaltsklausur bringen, die Anfang Juni stattfindet. Fest steht, dass laufende und dringliche Projekte – etwa die notwendigen Anschaffungen für Schulen – beendet werden.

Hat sich die Stimmung mancher Gemüter inzwischen wieder beruhigt?

Neumann: Man kann ja nicht die ganze Zeit mit einem Puls von 180 durch die Gegend laufen. Entsprechend haben sich alle wieder beruhigt. Außerdem ist es ja nicht so, dass in Künzelsau deswegen nichts mehr geboten ist. Wir haben unser Kultur-Angebot sogar noch weiter ausgebaut. Hier kooperieren wir eng mit den Unternehmen vor Ort, sodass wir den Menschen in Künzelsau auch weiterhin einiges bieten können. Die Stadt muss ein Ort bleiben, an dem sich gut arbeiten, vor allem aber auch leben lässt. Wir wollen Menschen dazu bewegen, hierher zu ziehen beziehungsweise hier zu bleiben. Auch deshalb haben wir das Projekt „Bauwochen“ ins Leben gerufen. Hier kann man sich rund ums Thema Bauen, Umbauen oder Sanieren kostenlos beraten lassen. Bislang wird das sehr gut angenommen.

„Es werden harte Zeiten“, hatten Sie gesagt. Wie hart wird es denn nun in den nächsten Jahren wirklich werden?

Neumann: Das hängt von der laufenden Prozessdauer ab. Umso länger sich die noch offenen Punkte ziehen, desto länger können auch die Zeiten werden, in denen wir sparen müssen, weil sich die Zinsen erhöhen. Entsprechend hoffe ich auf eine schnelle Entscheidung seitens der Gerichte. Bis dahin müssen wir uns Investitionen weitgehend aus den Rippen schneiden. Wir haben gerade keine Fettpolster, auf die wir zurückgreifen können. Aktuell gehen wir davon aus, dass wir die Sparmaßnahmen in den nächsten fünf Jahren spüren werden. Das hängt jedoch davon ab, welche Rückzahlung letztlich geleistet werden muss.

Sie haben vor allem das ehrenamtliche Engagement betont, durch das sich manch Einschränkung beheben lassen könnte. Wie stellen Sie sich das konkret vor?

Neumann: Wir wollen Haupt- und Ehrenamt noch stärker verknüpfen, als ohnehin schon. Ein gutes Beispiel ist hier das Thema Asyl. Wir haben zwar eine Hauptstelle dafür geschaffen, ohne ehrenamtliches Engagement wird aber eine gelungene Integration von Flüchtlingen nicht möglich sein. Bei uns gibt es viele Menschen, die sich einbringen möchten – jedoch nicht immer dauerhaft. Projektbezogenes Engagement wollen wir deshalb ausbauen, sodass man Zeit und Ehrenamt unter einen Hut bringen kann.

Glauben Sie, die Stadt wird diese Herausforderung meistern? Warum?

Neumann: Ja, natürlich. Jedem hier ist die Situation klar. Und unsere Bürger wissen, dass wir zusammenhalten und auch kreative, ungewöhnliche Ideen haben. Der Rückhalt in der Kommune und im Gemeinderat ist groß. Wir ziehen zusammen an einem Strang und versuchen, aus der Not eine Tugend zu machen. Die Situation ist nun wie sie ist und lässt sich nicht ändern. Jetzt heißt es, das Beste daraus zu machen.

Warum ist Künzelsau dennoch eine lebenswerte Kommune?

Neumann: Weil das Angebot, das Künzelsau bietet, weit über das hinausgeht, was man bei dieser Größe einer Stadt sonst erwarten könnte. Künzelsau ist ein starker Standort – nicht nur für Gewerbe und Industrie, sondern auch zum Leben. Das wollen wir in den Köpfen der Menschen noch weiter verankern und den Fokus öffnen. Wir brauchen uns hinter Metropolregionen nicht verstecken. Wir können als Mittelzentrum absolut konkurrenzfähig sein. In Künzelsau bieten wir eine erstklassige Ausbildung vom Kindergarten bis hin zur Hochschule, ein attraktives Kulturprogramm, hervorragende Seniorwohn- und Betreuungsmöglichkeiten und ein reges Vereinsleben. Und das kann sich doch sehen lassen.

Interview: Lydia-Kathrin Hilpert