„Die Welt kann von der Region lernen“

Daniel Gottschald sieht in Heilbronn-Franken eine Kompetenzregion für den deutschen Mittelstand. Foto: Matt Stark Photography

Wer ergründen will, was deutsche Familienunternehmen erfolgreich macht, muss nach Heilbronn-Franken kommen. Davon ist Daniel Gottschald vom Campus Heilbronn der TU München überzeugt. Im Interview erläutert er, woran die Wissenschaft forscht – und was die Region zu einem leuchtenden Beispiel macht.

Familienunternehmen sind ein Forschungsgegenstand an der TU München. Was macht die Region Heilbronn-Franken in dieser Hinsicht interessant für die Wissenschaft?

Daniel Gottschald: Heilbronn-Franken ist für uns interessant, weil die Region eine enorm hohe Dichte an Weltmarktführern aufweist, bei denen es sich zum großen Teil um traditionelle und tatsächlich noch familiengeführte Unternehmen handelt. Und das in einer ländlich geprägten Region, der man die hohe Wirtschaftskraft nicht auf den ersten Blick ansieht. Diese Unternehmen sind global sehr erfolgreich, aber ticken anders als multinationale Konzerne aus dem Silicon Valley.

Was macht die hier ansässigen Familienunternehmen so spannend?

Gottschald: Wir haben hier eine Unternehmenskultur, die aufgrund ihrer Eigentümerstruktur, ihres Wertegerüsts, ihrer Verlässlichkeit, ihrer Langlebigkeit besonders geeignet erscheint, als leuchtendes Beispiel zu dienen. Es birgt sicher einen hohen Mehrwert, zu schauen, was Deutschland von Heilbronn-Franken lernen kann, ja sogar was die Welt von dieser Region lernen kann, denn die TU München hat einen internationalen Anspruch.

Inwiefern ist Heilbronn-Franken hier besonders beispielhaft?

Gottschald: Wir haben hier eine idealtypische Situation dessen, was unter dem Stichwort „Glokalisierung“ läuft – also Unternehmen, die erfolgreich auf den Weltmärkten vertreten sind, aber trotzdem lokal stark verankert sind. Glokalisierung wird oft als Phrase verwendet, doch hier in der Region sieht man tatsächlich, welche Chancen dahinterstecken, aber auch welche Herausforderungen.

Was sind die Herausforderungen?

Gottschald: Zum einen strukturelle Themen. In der Region herrscht zum Beispiel eine hohe Abhängigkeit vom Automobilsektor und den entsprechenden Zulieferbetrieben. Zum anderen besteht die Notwendigkeit, sich im Wettbewerb um Fach- und Führungskräfte auf einem globalen Arbeitsmarkt zu behaupten. Das ist zwar für alle eine Herausforderung, für die Region aber eine spezielle. Mit Blick auf New Work, auf veränderte Arbeitsweisen ist man hier traditioneller unterwegs. Das ist per se kein Nachteil. Was heute altmodisch ist, kann morgen vielleicht der goldene Ratschlag sein, der einem gegeben wird. Aber damit müssen wir umgehen.

Wie geht die TUM ihre Forschung an Familienunternehmen konkret an?

Gottschald: Wir sind seit 2018 mit zwei Forschungscentern in Heilbronn vertreten: Das eine widmet sich Familienunternehmen, das andere der digitalen Transformation. Besonders spannend für uns ist die Kombination von beiden Themen, also wie Familienunternehmen mit den Herausforderungen der Digitalisierung umgehen.

Was sind die wichtigsten Fragestellungen, denen sich das Forschungscenter für Familienunternehmen widmet?

Gottschald: Das sind zum Beispiel Fragen zu Familienunternehmen und Nachhaltigkeit. Das ist ein Thema, das alle bewegt. Und es ist anzunehmen, dass Familienunternehmen, die das Prinzip Nachhaltigkeit in ihrer DNA haben, besonders geeignet sind, nachhaltig zu agieren: ökologisch, ökonomisch wie auch sozial in ihrer gesellschaftlichen Verantwortung. Es gibt aber natürlich auch Fragen rund um die Nachfolgeregelung: Bleibt das Unternehmen in der Familie? Wie lassen sich Konflikte lösen? Wie können Verlässlichkeit und dauerhafte Beständigkeit sichergestellt werden? Es ist die Frage der sogenannten Governance-Struktur. Welche Möglichkeiten gibt es, ein Familienunternehmen durch die Generationen, teilweise über Jahrhunderte hinweg, zu steuern mit einem entsprechenden Horizont?

Und welche Forschungsthemen sind mit Blick auf Digitalisierung relevant?

Gottschald: Da geht es um die Grundfrage, was Digitalisierung für Familienunternehmen bedeutet. An mancher Stelle ist sie eine Herausforderung. Man muss sich fragen: Wie schaffe ich eine digital versierte Belegschaft? Wir gehen um mit Instrumenten und Prozessen, die in vielerlei Hinsicht digital unterstützt werden, bis hin zum Einsatz von Künstlicher Intelligenz. Verstehen wir diese digitalen Anwendungen? Wissen wir wirklich, womit wir da arbeiten? Das reicht bis zu der Frage: Wie werden Entscheidungsfindungsprozesse durch Big Data und Möglichkeiten der Datenanalyse beeinflusst? Untersucht werden Familienunternehmen in der digitalen Transformation sowie die sich daraus ergebenden Schlussfolgerungen für die Unternehmensführung sowie die Umgestaltung der Prozesse.

Gibt es bereits Erkenntnisse? Wie beurteilen Sie die Innovationsfähigkeit der regionalen Familienunternehmen?

Gottschald: Der Grad an Innovationsfähigkeit ist hoch. Häufig wird gedacht, wenn ein Unternehmen eher konservativ aufgestellt ist und nicht sofort auf jede Mode oder jeden Zug aufspringt, dass das bedeute, es sei nicht innovationsfähig. Oft ist das Gegenteil der Fall. Am Ende wird die Innovation vorangetrieben, die zum Unternehmen passt und Bestand haben wird. Wir beobachten hier in höherem Maße ein vorausschauendes Agieren.

Welche Eigenschaften von Familien­unternehmen betrachten Sie als hilfreich, um Krisenzeiten, wie wir sie aktuell erleben, zu überstehen?

Gottschald: Das ist mit Sicherheit das lokale Fundament, die lokale Vernetzung und Verwurzelung. Das ist sicher auch die Nähe am Kunden und die Bereitschaft, flexibel zu agieren und sich auf Kundenwünsche einzulassen. Es gibt einen höheren Grad an Individualisierung. Und es gibt ein Wertegerüst. Das ist von zentraler Wichtigkeit. In Familienunternehmen findet häufiger eine wertebasierte Entscheidungsfindung statt. Wer ein Unternehmen an nachfolgende Generationen in der Familie weitergeben will, geht in der Führung anders vor als jemand, der nur quartalsmäßig auf die Bilanz und Aktienkurse schaut. Das sind Vorteile und Möglichkeiten, Unternehmen krisenfest zu machen.

Wie groß ist das Interesse der Unternehmen an einer Zusammenarbeit mit der TU München?

Gottschald: Wir wollen die Unternehmen abholen mit den Themen, die sie bewegen. Wir bemerken eine große Neugier, ein großes Interesse seitens der Unternehmen. Daher wollen wir Plattformen schaffen, um sinnvoll zu interagieren. Unser Interesse ist, Spitzenwissenschaft in der Forschung und Lehre der TUM zu betreiben. Das Interesse der Unternehmen ist, Probleme zu lösen. Überall dort, wo beides zusammenkommt, entsteht eine gute Basis für gemeinsame Projekte. Die Unternehmen erhalten Erkenntnisse, mit denen sie ihre Prozesse oder Strukturen optimieren können. Wir haben einen Forschungsgewinn, welcher der Allgemeinheit zugute kommt.

Wie gelingt dieser Austausch von Forschung und Wirtschaft in der Praxis?

Gottschald: Wir haben kein Patentrezept dafür, auch wenn manche das vielleicht erwarten. Die TU München ist über 150 Jahre alt und profitiert an ihrem Stammsitz sowie ihren weiteren bayrischen Standorten von Strukturen, die über einen langen Zeitraum gewachsen sind. Das macht Transferaktivitäten einfacher. Hier in Heilbronn sind wir gezwungen, wieder zum Start­up zu werden und neu anzufangen. Das ist in gewisser Weise eine heilsame Erfahrung, denn wir müssen die Unternehmen hier in der Region auf ihre eigene Weise abholen. Das bedeutet ganz praktisch und banal: Wir müssen viele Klinken putzen, Multiplikatoren finden, Partnerschaften aufbauen. Das braucht Zeit.

Was will die TU München beitragen, um den Wirtschaftsraum Heilbronn-Franken nachhaltig zu stärken?

Gottschald: Wir sind hier, um eine Heilbronner Universität zu sein und wollen mit der Region und für die Region forschen. Als deutsche Exzellenzuniversität tragen wir eine gesellschaftliche Verantwortung und wollen daher alles, was die TU München zu bieten hat, auch hier in der Region verfügbar machen. Dazu gehört, mit Spitzenforschern der TUM sowie aus unserem internationalen Partnerschaftsnetzwerk große Themen anzugehen. Im nächsten Jahr werden wir uns etwa im Bereich Data Science deutlich erweitern. Das wird im Rahmen internationaler Zusammenarbeit stattfinden. Top-Universitäten aus dem Ausland werden daran mitwirken. Wir bringen auch Internationalität bei unserer Studentenschaft mit. 80 Prozent unserer Studierenden auf dem Campus Heilbronn kommen aus dem Ausland.

Woher kommt das hohe Interesse der internationalen Studierenden?

Gottschald: Zum einen bietet die TUM in Heilbronn hochattraktive Bachelor- und Masterstudiengänge in englischer Sprache an. Zum anderen ist Heilbronn-Franken der perfekte Ort, um den erfolgreichen deutschen Mittelstand kennenzulernen. Die internationalen Studierenden sind motivierte junge Menschen aus aller Welt, die oft aus Unternehmerfamilien kommen und nach Heilbronn geschickt werden, um hier die Grundlagen für ihr weiteres Leben zu legen. Unseren Studierenden empfehle ich immer: Wenn ihr nach eurem Studium ein Jobangebot im Silicon Valley und ein Jobangebot hier in der Region bekommt, dann nehmt das Angebot aus Heilbronn-Franken, denn es ist der beste Einstieg in die Karriere. Hier gibt es solide, verlässliche Unternehmen, die euch brauchen und mit denen ihr wachsen könnt. Das zu unterstützen und der Region mehr internationale Strahlkraft zu verleihen, sehe ich ebenfalls als Aufgabe der TU München an.

Hat also die Kultur des deutschen Mittelstands das Zeug, zum internationalen Exportschlager zu werden?

Gottschald: Ich habe schon viele Innovationsstandorte im Ausland mitentwickelt. Überall wurde der „German Mittelstand“ bewundert. Er hat Strahlkraft. Doch niemand versteht im Ausland so richtig, wie er tickt und funktioniert. Sein Erfolg hat natürlich mit Kultur und Mentalität zu tun, mit den Werten und Tugenden, die gepflegt werden, ein wenig auch mit deutschen Stereotypen. Aber er ist im Vergleich zu anderen Erfolgsmodellen noch nicht so richtig erfahrbar. Will ich lernen, wie die Hightech-Branche tickt, gehe ich ins Silicon Valley. Will ich Startup-Kultur erleben, gehe ich nach Israel. Aber wo kann ich Mittelstand lernen? Aus meiner Sicht genau hier. Heilbronn-Franken muss international bekannt werden für seine Familienunternehmen. Hier ist die Kompetenzregion für die Erfolgsgeheimnisse des deutschen Mittelstands.

Interview: Dirk Täuber

Zur Person

Daniel Gottschald ist Geschäftsführer der TUM Campus Heilbronn gGmbH.