Die Zukunftsgeber

Große Unternehmen haben auch eine große Verantwortung: sozial, gesellschaftlich, menschlich. Viele Firmen unserer Region kommen dieser Verantwortung gerne nach – sie engagieren sich auf ganz unterschiedliche Weise. Eine davon ist AS-Schneider. Das Nordheimer Unternehmen bildet einen Flüchtling zum Zerspanungsmechaniker aus. Ein Gewinn für beide Seiten.

„Wir wollten raus aus dem Krieg, weg von Leid und Zerstörung. Wir wollten eine Zukunft“, sagt Yasan Aljeht nachdenklich. Seine Stimme ist leise. Er spricht gedämpft, mehr zu sich selbst. Noch immer scheint es ihm schwer zu fallen, das, was er und seine Familie erlebt haben, in Worte zu fassen. Die Erfahrungen scheinen sich auf seiner Seele regelrecht eingebrannt zu haben: das Verlassen der Heimat, die wochenlange Flucht über den Libanon nach Europa, die Ankunft in einem anderen Land, in einer unbekannten Stadt – mit einer fremden Sprache und einer fremden Kultur. Eine Extremsituation, die man seinem schlimmsten Feind nicht wünscht und die keiner, der diese Erfahrung nicht schon selbst gemacht hat, auch nur ansatzweise nachempfinden kann. Und doch schwingt auch Hoffnung in dem Gesagten mit.

Dann, ganz zaghaft, zeigt sich ein Lächeln auf dem Gesicht des jungen Mannes. Seine Stimmung verändert sich. Auch das Gesagte wird lauter, selbstsicherer: „Jetzt bin ich angekommen, jetzt gebe ich Gas.“ Yasan Aljeht ist 24 Jahre alt. Gebürtig stammt der junge Mann aus Syrien – aus Hama, um genau zu sein. Dort hatte der junge Mann Pläne, Ideen. Dort hatte sich der junge Mann eine Zukunft aufbauen wollen. Dort hatte der junge Mann seine Träume verwirklichen wollen. Doch es kam anders. Yasan Aljeht hatte sein Abitur absolviert, dann sollte er eingezogen werden: in den Krieg. Kämpfen. Das Land verteidigen. Töten.

Die Familie entscheidet sich gegen den Krieg, gegen Gewalt. Sie flieht. Im November 2013 erreicht sie Deutschland, wird zunächst in Karlsruhe untergebracht, dann in Flein. 3.500 Kilometer trennen Yasan Aljeht nun von seiner Heimat, von seinen Plänen, von seinen Ideen. Doch der junge Syrer gibt nicht auf. Aljeht will es auch in Deutschland schaffen, seine Träume auch hier verwirklichen. Er arbeitet hart, lernt Deutsch in Eigenregie, dann in Sprachkursen. Er möchte arbeiten. „Am Anfang wollte ich ‚nur‘ arbeiten“, erinnert er sich. Geld verdienen. Unabhängig sein. Keinem auf der Tasche liegen. Was aus seinem Leben machen. „Doch dann habe ich mich anders entschieden“, sagt der 24-Jährige und ergänzt: „Ich wollte eine Ausbildung machen.“

Chance im Familienunternehmen

Doch welches Unternehmen sollte ihn einstellen? Ein duales Ausbildungssystem wie es in Deutschland Standard ist, gibt es in Syrien nicht. Welche Firma sollte bereit sein, einen jungen Flüchtling zu beschäftigen, sich seiner anzunehmen, ihn zu unterstützen?

Das Unternehmen AS-Schneider war dazu bereit. Beim Nordheimer Armaturenhersteller sollte er eine Chance bekommen. „Bei uns steht der Mensch im Mittelpunkt, sein Charakter. Es spielt für uns bei AS-Schneider keine Rolle, wo jemand herkommt, woran er glaubt, welcher Kultur er angehört oder welche Hautfarbe er hat. Zwischenmenschlich muss es stimmen“, betont Horst Reiner, der die gewerblich-technische Ausbildung beim Familienunternehmen verantwortet.

Zwischen Yasan Aljeht und Horst Reiner hat es menschlich gepasst. „Yasan hat einen guten ersten Eindruck hinterlassen“, lobt der 49-jährige Ausbildungsleiter. Also habe man es einfach einmal versucht, Aljeht wurde eingestellt: als Auszubildender zum Zerspanungsmechaniker. Für den Syrer geht in diesem Moment ein Traum in Erfüllung, den er schon fast nicht mehr zu träumen gewagt hatte: „Ich kannte AS-Schneider, hätte mich aber nicht getraut, mich dort zu bewerben. Ich habe geglaubt, ich habe ohnehin keine Chance, dort einen Beruf zu lernen“, sagt Yasan Aljeht bescheiden.

Heute, eineinhalb Jahre später, können es sich beide Parteien nicht mehr vorstellen, dass es je anders war. Aljeht kommt gerne zur Arbeit – und das merkt der Chef. „Unser Yasan ist jahrgangsbester Azubi“, sagt Reiner zufrieden. Das kommt nicht von ungefähr. Aljeht ist fleißig, lernt viel, ist gewissenhaft. „Es geht um meine Zukunft“, sagt er. „Wer, wenn nicht ich, sollte sich darum kümmern?“

Dass AS-Schneider dem jungen Flüchtling eine Chance gegeben hat, ist keineswegs selbstverständlich. Doch es zeugt von Stärke und davon, dass man Integration und Chancengleichheit nicht nur predigen, sondern auch leben kann. Dass diese Haltung für beide Seiten ein Gewinn ist, stellt Aljeht täglich neu unter Beweis – nicht nur in der Güte seiner Arbeit, auch in seinem Verhalten. Aljeht ist dankbar – und das betont er auch. „Du brauchst dich nicht zu bedanken, Yasan“, sagt Reiner deshalb und ergänzt: „Er zahlt es ja zurück – jeden Tag.“

Lydia-Kathrin Hilpert