„Dieselgate“ und die Aktien

„Der größtmögliche Fehler an der Börse ist der, Aktien aufgrund aktueller Schlagzeilen zu kaufen.“ Diese Worte stammen von Warren Buffet, US-Milliardär und wohl einer der bekanntesten Investoren. Sie beziehen sich auf den aktuellen Abgasskandal des VW-Konzerns.

Am 20. September 2015 hat VW zugegeben, eine Manipulationssoftware bei Abgastests eingesetzt zu haben. In Deutschland sollen 2,8 Millionen PKW betroffen sein, weltweit elf Millionen. Audi (A1 bis A6, Q3 und Q5 sowie der sportliche TT), Seat (keine Modelle öffentlich) und Skoda (Fabia, Roomster, Superb und Octavia) sind inkludiert. 2,1 Millionen Audis sind betroffen, 1,2 Millionen Skodas und rund 700 000 Seats. Doch es kam noch doller: Die Motorenabteilung von VW hatte die Verbrauchswerte und damit den Ausstoß von Kohlendioxid zu niedrig angegeben. Dieser Schaden ist vergleichsweise gering, soll es sich hierbei doch „nur“ um rund 800 000 Autos handeln, davon 98 000 Benziner. Für diese vergleichsweise geringe Zahl muss VW Experten zufolge rund zwei Milliarden Euro zurücklegen.

Martin Winterkorn trat als Konzernboss längst zurück. Sein Amt übernommen hat Matthias Müller, ehemaliger Porsche-Chef. Trotz dieser Skandalflut möchte VW beim Kerngeschäft keine Stellen abbauen, verkündete Herbert Deiss, neuer Markenchef des Konzerns, gegenüber dem „Spiegel“. Weitere Verfehlungen seien nicht zu erwarten. Betriebsratschef Bernd Osterloh sagte gegenüber der „Süddeutschen Zeitung“, dass man zwar ein „Dieselproblem“ habe, „aber kein Absatzproblem.“ Abwarten. Auch größere Motoren sollen betroffen sein, was VW abstreitet. Sollte sich der Vorwurf bestätigen, dürfte wohl auch Müller nicht mehr zu halten sein. Der musste im Januar zunächst nach Detroit reisen. Es ist der erste offizielle Auftritt in Übersee nach dem Diesel-Dilemma. Wenn man Müller hört, schwingt da ein Mix aus Trotz und Demut in seinen Worten mit. Die Menschen würden ihm gegenüber nicht anders auftreten als zuvor. Und auch die kolportierten 90 Milliarden Euro, die auf den Konzern zukommen sollen, wollte er nicht bestätigen. Zwar habe man Fehler gemacht und die würden auch kosten, doch „90 Milliarden werden es bestimmt nicht werden“. Dennoch spielen die USA das Zünglein an der Waage. Nirgends ist der Ruf so ruiniert wie in den Staaten, wo der Dieselmotor ohnehin nicht das beste Image hat. Noch vor dem ersten Gipfeltreffen zwischen Müller und der Leiterin der US-Umweltbehörde EPA, Gina McCarthy, ließen die US-Behörden den VW-Konzern auflaufen. Sie haben die Pläne des Autobauers zur Beseitigung der Manipulationen durchfallen lassen.

Bereits Anfang des Jahres hatte die US-Regierung im Abgas-Skandal Klage gegen Volkswagen eingereicht,es droht eine Strafzahlung in Milliardenhöhe. Von der Klage ebenfalls betroffen sind die VW-Töchter Porsche und Audi. Die zuständige Bundesanwältin Barbara McQuade kündigte an, dass dies nur ein erster Schritt sei. Nicht außer Acht lassen darf der Konzern zudem die rund 500 Zivilklagen, die in den USA auf den Konzern zukommen könnten. Doch auch in Deutschland werden Schadenersatzforderungen laut. Hier gibt es nur nicht die Sammelklagen, wie sie in den USA üblich sind. Bis Mitte November fiel der Kurs der Volkswagen-Stammaktie seit Bekanntwerden des Manipulationsskandals um ein Drittel des Gesamtwerts. Bestätigt sich der Verdacht, dass der Wolfsburger Konzern die Manipulation zu spät offengelegt hat, so läge ein Verstoß gegen die Informationspflicht nach Paragraf 15 des Wertpapierhandelsgesetz (WpHG) vor. In diesem Fall sieht das Gesetz vor, Schadenersatzansprüche geltend zu machen. Es muss auch noch herausgefunden werden, ob Insidergeschäfte getätigt wurden, ehe der VW-Konzern „Dieselgate“ zugegeben hat. Es scheint, dass VW die Pflichten nach dem WpHG verletzt hat, woraus grundsätzlich Schadenersatzansprüche für die Anleger entstünden. VW-Fahrer mit dem betroffenen Dieselmotor EA 189 haben Anspruch auf Nachbesserung.

Rechtlich muss geklärt werden, was die Meldepflicht ausgelöst hatte: War es der Zeitpunkt des Bekanntwerdens oder aber der Moment der Nachforschungen der amerikanischen Behörden? Anwälte haben derweil unterschiedliche Lösungsansätze für die Anleger, die Ansprüche erheben können. Nur diejenigen hätten Anspruch, die nach dem 3. September Aktien gekauft haben, andere meinen, dass nur diejenigen Anspruch hätten, die zum Zeitpunkt des Bekanntwerdens am 20. September Inhaber einer Vorzugs- oder Stammaktie gewesen seien. Der dritte Ansatz ist der, dass diejenigen Anspruch hätten, die zwischen dem 6. Juni 2008 und dem 17. September 2015 Aktien gekauft haben. Paragraf 37 (Absatz eins, WpHG) sagt derweil, dass der Aktionär Anspruch hat, der zu dem Zeitpunkt Aktien gekauft hat, als VW schon hätte Meldung machen müssen und dies schuldhaft unterlassen hat. Dann nämlich hätte der Aktionär die Aktien zu einem nicht marktgerechten, zu teuren Kurs gekauft.

Timo Lämmerhirt