Digitalisierung – schon überall angekommen?

So gern sich Deutschland in vielen Bereichen mit Technologieführerschaft schmückt, sind die Fortschritte in Sachen Digitalisierung doch eher überschaubar. Die Corona-Krise hat allerdings ein Umdenken erzwungen – ein Blick auf Beispiele aus Heilbronn-Franken.

Deutschland ist in Sachen Digitalisierung gefühlt schon immer hinterhergehinkt. Nun herrscht durch die Corona-Pandemie seit Wochen ein Ausnahmezustand: Schulschließungen, Einschränkungen von Kontakten, massenweise Beschäftigte im Homeoffice und mehr. Durch die Krise musste es nun schnell gehen. Digitale Lösungen mussten her – für Schulen, für Verwaltungen, für Firmen. Wenngleich es offenbar erst einer Pandemie bedurfte, ist es grundsätzlich positiv zu betrachten, wie die Digitalisierung nun auch hierzulande schneller voranschreitet.

Im EU-Vergleich ist Deutschland bei der Digitalisierung nur Mittelmaß, wie der Digital Economy and Society Index (DESI) der EU-Kommission feststellt. Das schlechte Abschneiden kam unter anderem in der Dimension „Öffentliche Dienste“ zustande. Hierbei wird der Fortschritt der Länder im Bereich auf E-Government und E-Health gemessen – in diesem Bereich war Deutschland weit abgeschlagen auf dem fünftletzten Platz notiert. Weitere Dimensionen, die in diese Statistik miteinfließen, sind der Ausbau des Breitbandinternets, die Internetnutzung und der Digitalisierungsgrad der Wirtschaft.

Digitale Verwaltung

Dass Deutschland digital hinterherhinkt, das merkt auch der Neckarsulmer Oberbürgermeister Steffen Hertwig an. „Wenn Leute aus dem Homeoffice arbeiten, dann ist das noch lange keine Digitalisierung. Die Krise hat aber gezeigt, dass beispielsweise Videokonferenzen funktionieren, damit kann man wunderbar arbeiten. Sie sind viel schneller, viel günstiger, Präsenztermine sind nicht immer notwendig“, sagt Hertwig über digitale Arbeitsmöglichkeiten in der Verwaltung. In Neckarsulm habe man eine Digitalisierungsstrategie auf den Weg gebracht, die aber noch einiges an Wegstrecke vor sich habe, berichtet Hertwig. Nicht nur im Bereich der öffentlichen Verwaltung nimmt die Digitalisierung an Fahrt auf. Der Blick in die Unternehmen zeigt, dass auch dort digitale Modelle verstärkt Einzug halten.

Andere Kommunikation

Treiber für die Digitalisierung sind unter anderem die Reisebeschränkungen. Diese beeinträchtigen den Arbeitsalltag der weltweit agierenden Dieffenbacher GmbH Maschinen- und Anlagenbau aus Eppingen. Das Unternehmen ist einer der führenden Hersteller von Pressensystemen und kompletten Produktionsanlagen für die Holzwerkstoff-, Composites- und Recycling­industrie. Die Vertriebs-, Projekt- und Service-Teams kommunizieren seit der Corona-Pandemie mit ihren Kunden und Partnern in Online-Meetings virtuell face-to-face.

Technologie- und Prozessführerschaft seien laut Unternehmen der Schlüssel, um die Kunden bei der Erreichung ihrer Unternehmensziele unterstützen zu können. Dieffenbacher sagt von sich selbst, dass man sich stets verbessere, damit die Kunden die neuen Marktchancen nutzen und von der Entwicklung neuer Produktionstechnologien profitieren und so den Übergang zu Digitalisierung meistern können. Mit einer permanenten Zustandsüberwachung, sich selbst steuernden Produktionslösungen und der MyDieffenbacher-Plattform habe das Unternehmen eine digitale Welt geschaffen, die seinen Kunden dabei helfe, Entscheidungen schneller und sicherer zu treffen, effizient zu arbeiten und die Produktivität der entsprechenden Anlage zu steigern.

Online-Unterricht

Der Digitalisierungsdruck ist durch Corona auch in den Schulen gestiegen. Wochenlang war kein regulärer Unterricht möglich. Schüler und Lehrer mussten auf Online-­Alternativen ausweichen. Nun ist ab dem 4. Mai der Schulbetrieb wieder schrittweise eingeführt worden. „Wir machen erste, kleine Schritte zu mehr schulischer Normalität“, sagte Baden-­Württembergs Kultusministerin Susanne Eisenmann. Der stufenweise Einstieg der Schulen in den Präsenzunterricht begann mit Schülern allgemeinbildender Schulen, bei denen in diesem oder im nächsten Jahr die Abschlussprüfungen anstehen, sowie mit Schülern der Prüfungsklassen der beruflichen Schulen.

Das Deutschorden-Gymnasium in Bad Mergentheim hat auch während der Corona-Krise nicht den Datenschutz außer Acht gelassen. Lehrer und Schüler treten hier mit dem Messenger-Dienst Webuntis in Kontakt – das jedoch nicht erst seit der Corona-Pandemie. Der Unterricht wurde hier in zwei Blöcken in den Leistungsfächern sowie Basisfächern Deutsch und Mathematik in den Leistungsstufen 11 und 12 abgehalten.

Schul-Messenger

Der für schulische Zwecke konzipierte Messenger-­Dienst Webuntis wird ausschließlich von den Lehrkräften verwaltet. Der Dienst funktioniere ähnlich wie Whats­app, erfülle aber die Anforderungen an den Datenschutz. Deswegen sei der Einsatz dieses Dienstes notwendig. Das Kultusministerium betrachtet aufgrund datenschutzrechtlicher Bedenken die Nutzung von Whatsapp für dienstliche Zwecke als unzulässig. Bei Webuntis ist jeder Schüler automatisch registriert. Es findet kein Austausch von Handynummern oder privaten Mail­adressen statt. Der Schulmessenger berücksichtigt den Datenschutz der EU und sorgt für eine Kommunikation innerhalb der Schule, die nicht über amerikanische Internet-­Konzerne läuft. Direkte Nachrichten zwischen Schülern können nur versendet werden, wenn die Lehrkräfte dies gestatten. Dadurch soll unter anderem Mobbing verhindert werden, ein ernstzunehmendes Thema an Schulen. Was die Schüler machen müssen? Einzig und allein auf ihrem Tablet oder ihrem Mobiltelefon die App Webuntis-Stundenplan installieren, die Anmeldedaten sind zu Beginn des Schuljahres bereits verteilt worden.

Gutes Digitalkonzept

Ebenfalls gut gerüstet zeigt sich das Gymnasium bei St. Michael in Schwäbisch Hall. Hier gibt es ein eigenes Medienkonzept, mit dem sich die Schüler in einer digitalisierten Welt besser zurechtfinden und die digitalen Werkzeuge produktiv für Lernen und Leben nutzen können. Hard- und Software sowie ein schlüssiges Digitalkonzept sind vorhanden. Dazu werden die Lehrkräfte motiviert und gefördert, digitale Kompetenzen zu entwickeln und an die Schüler weiterzugeben. Als eine von 32 Schulen in Baden-Württemberg wurde die Schule bereits im Oktober des vergangenen Jahres in Stuttgart als „Digitale Schule“ geehrt. Digitale Schule dürfen sich Schulen nennen, die durch einen vorgegebenen Kriterienkatalog eine Standortbestimmung sowie eine Selbsteinschätzung zum Thema Digitalisierung vornehmen und entsprechende Anregungen umsetzen.

Dramatisches Semester

Durch Corona durchlebt auch die Hochschule Heilbronn eine harte Zeit, wie Prof. Dr.-Ing. Andreas Daberkow, E-Learning-Beauftragter der Hochschule, sagt: „Das ist für uns bis jetzt ein dramatisches Semester, was die Digitalisierung angeht. Wir sind seit dem 16. März voll digital unterwegs.“ Viele Dozenten seien schlichtweg noch nicht fit im digitalen Umgang gewesen. Daberkow und einige seiner Kollegen richteten eine Taskforce ein, um die Kollegen zu coachen. Er regt eine Veränderung im System an, weiße Internet-Flecken dürften Lernende nicht mehr negativ beeinflussen: „Dann ist dafür zu sorgen, dass Schüler auch in der Region internetfähig sind und vielleicht auch ein Gerät haben, um digital arbeitsfähig zu sein.“ Vor allem denkt er, dass sich im Zuge der Digitalisierung an der Mobilität etwas ändern müsste. „Die Durchführung von einzelnen Lehrveranstaltungen als Online-Veranstaltungen reduziert den Zeitverlust durch die Anfahrt. Speziell im ländlich-urbanen Raum kann das außerdem zu einer Verkehrsentlastung beitragen und gut für das Klima ist es auch.“

Timo Lämmerhirt